Interview: Stefanie Lohaus

Saralisa Volm, du hast die Ausstellung “bitch MATERial” kuratiert, die derzeit im Kunstquarter Bethanien in Berlin zu sehen ist. Ihr wollt damit den Mutterbegriff in der Kunst erweitern.  Gab es dabei besondere Herausforderungen?
Saralisa Volm: Es war ein langer Prozess, die entsprechenden Arbeiten und Künstler*innen zu finden. Wir – ich und meine Co-Kuratorin Britta Helbig – haben über zwei Jahre an der Ausstellung gearbeitet. Zunächst ist uns aufgefallen, dass es sehr wenige moderne Mutter- oder Elternbilder in der bildenden Kunst gibt. Natürlich gibt es Abbildungen von Müttern in der Kunsthistorie, aber die beschränkten sich eben auf die stillende Mutter oder die Mutter, die das Baby auf dem Schoß hat. In der Zeitgenössischen Kunst gibt es auch nicht besonders viele Arbeiten zu Elternschaft oder Kindern. Darüber hinaus hatten wir das Problem, dass Künstler*innen, deren Arbeiten wir passend fanden, explizit nicht in einer Ausstellung auftauchen wollten, die Mutterschaft zum Thema hat.

© Iris Schieferstein

Warum war das so?
Volm: Die ganz große Angst war, dass es eine trutschige Mutti-Ausstellung sein könnte, unter der das eigene Image leidet. Das Klischee ist ja, dass Mütter eher Laien sind, Kunsthandwerkerinnen, die basteln. Kunst auf einer Stufe mit dem selbst genähten Babylätzchen. Wir mussten uns also erst mal eine neue Taktik überlegen: Wir haben in unserem persönlichen Umfeld angefangen, Künstler*innen direkt anzufragen – wie etwa Cornelia Renz, mit der ich heute hier bin –, und sind dann schon mit einem Portfolio an andere herangetreten.

Cornelia Renz: Ich freue mich, bei der Ausstellung dabei zu sein. Ich bin Künstlerin, aber auch Vorstandssprecherin des Berufsverbands Bildender Künstler*innen (bbk). In dieser Funktion setze ich mich mit der Diskriminierung von Frauen im Kunstfeld auseinander. Wir führen gerade eine Umfrage unter Berliner Künstlerinnen durch, die Ende April veröffentlicht wird und mit der wir herausfinden wollen, wie sich ihre Situation in Bezug auf den Gender Pay Gap, die familiäre Lage und ihre Beteiligung am Kunstmarkt darstellt. Es ist zwar schon bekannt, dass der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen in der Kunst viel größer ist als in der Wirtschaft, aber warum das so ist und wie sich die Situation von Frauen letztendlich darstellt, darüber gibt es nur Vermutungen.

Cornelia Renz hat Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert und ist als bildende Künstlerin in Berlin und Jerusalem tätig. Sie ist Preisträgerin des Marion Ermer Preises und des Förderpreises Bildende Kunst der Schering Stiftung. Seit 2014 ist sie im Vorstand und seit 2016 Sprecherin des bbk Berlin.

Saralisa Volm (*1985) ist Schauspielerin, Filmemacherin, Autorin (”Mamabeat”) und Kuratorin. Mit ihrer Firma POISON versucht sie immer wieder zu relevanten Gesellschaftsdebatten anzuregen, ob durch Kinofilme, Musikvideos oder Ausstellungen. Die studierte Kunsthistorikerin und Philosophin lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Berlin.

Welche Vermutungen habt ihr?
Renz: Kunst von Frauen und insbesondere von Müttern wird gesellschaftlich abgewertet. Das liegt daran, dass keine*r letztendlich objektiv Qualität beschreiben kann, sie ist eine gesellschaftliche Übereinkunft. Solange ein patriarchales System besteht, in dem Männer entscheiden, was Qualität ist, ist es schwierig als Frau.

Volm: Gerade in der bildenden Kunst ist es schwieriger, mit Außenseiter*innenpositionen Geld zu verdienen, weil du am System nicht vorbeikommst. Mit Musik kannst du Geld verdienen, indem du dich direkt an ein Publikum wendest, du kannst die Gatekeeper ausschalten. In der bildenden Kunst geht das nicht. Bis dich überhaupt jemand sieht, entscheiden nur Galerist*innen, Kurator*innen und Sammler*innen, ob deine Kunst gut ist, ob überhaupt eine Chance auf Öffentlichkeit besteht.

Renz: Dann habe ich beobachtet: Ich kenne fast nur alleinerziehende Künstlerinnen. Die haben aber nicht unbedingt als Alleinerziehende angefangen. Das Leben als Künstlerin mit Kind ist sehr anstrengend, weil es so schwer ist, überhaupt Geld zu verdienen, das ist nur mit Nebenjobs möglich. Dadurch werden Partnerschaften belastet, was wiederum zu Trennungen führt. Und du musst dich als Künstlerin zwar bei keinem Chef oder keiner Chefin für eine Abwesenheit entschuldigen, aber du kriegst eben auch kein Krankengeld, musst vielleicht eine Ausstellung absagen, weil dein Kind krank ist. Dann giltst du als unzuverlässig und wirst abgeschrieben. Ruckzuck landest du auf Hartz IV.

Volm: Ich kenne viele Paare, wo beide berufstätig und kreativ sind und sich alles teilen und an Gleichberechtigung glauben. Das funktioniert genau bis zum ersten Kind und dann hörst du immer Gründe, warum es nicht geht. Es geht schon, aber du musst krass dafür kämpfen und Nachteile in Kauf nehmen, weil wir die erste Generation sind, die das wirklich einfordert, in einer Gesellschaft, die nicht die nötigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen hat. Wir haben zur Ausstellung ein Buch gemacht, das nicht nur die Exponate zeigt, sondern auch begleitende Texte. Die Journalistin Mirna Funk, die auch alleinerziehend ist, beschreibt, dass sie unmöglich besteuert wird. Sie ist Alleinverdienerin, sie bezahlt alles und wird schlechter besteuert als ein verheirateter Mann, der eine Frau hat, die einen Zuverdienst hat und ihm die ganze Erziehung und Hausarbeit abnimmt. Das ist so unverschämt und es trifft alleinerziehende Künstler*innen besonders stark.

Seit vielen Jahrzehnten wird das männliche Genie in der Kunst kritisiert und abgelehnt. Glaubt ihr, dass diese Vorstellung heute noch Auswirkungen hat?
Renz: In den Köpfen herrscht die Idee vor, dass die Frau ihre Kreativität dadurch ausdrückt, dass sie gebärt, und deswegen weniger kreativ sein kann. Das Genie-Klischee wird als veraltet abgelehnt, schwirrt aber unterbewusst noch herum. Dass Frauen Künstlerinnen sind, wird heute weitgehend akzeptiert, aber an dem Punkt, wo Familie mit ins Spiel kommt, wird es sehr viel schwieriger. Dabei ist die Tatsache, dass eine Frau Kinder bekommt, ja erst mal völlig unbedeutend für ihren Output. Klar, man hat weniger Zeit, muss sich besser organisieren, aber das war es dann auch, auf die Qualität der Arbeit hat es keine negativen Auswirkungen.

Ihr habt dennoch viele sehr unterschiedliche spannende Kunstwerke zusammengetragen. Können Kinder auch Inspirationsquelle für Kunst sein?
Volm: In den Arbeiten, die wir in der Ausstellung zeigen, wird Familie sehr intensiv bearbeitet. René Schoemakers etwa porträtiert ständig seine Familie und seinen Alltag – bei ihm ist die Familie das Motiv und die Quelle der Kreativität. Ob ein Caravaggio aus seinen Saufgelagen schöpft oder ein Künstler aus seinem Familienleben, ist doch egal. Irgendwas musst du ja künstlerisch verarbeiten und es ist halt dein Leben.

Renz: Viele Frauen, die sich am Kunstmarkt behaupten, wollen nicht abgestempelt werden und entscheiden sich dann, sich in ihrer Kunst nicht mit Familie oder Kindern zu befassen. Das ist eher eine Beschränkung als eine Freiheit. Dabei gibt es durchaus verschiedene Möglichkeiten, als Familie zu leben, Familie als Inspiration zu sehen. Es gibt sogar Künstler*innenpaare, die gemeinsam zu Familie arbeiten und dabei gute Kunst produzieren. Das ist doch eine schöne Vorstellung.

Volm: Und es funktioniert und verkauft sich auch. Courtney Kessel macht jedes Jahr mit ihrer Tochter zusammen eine Performance auf der Wippe: Sie sitzt auf der einen Seite, auf der anderen sitzt ihre Tochter, und dazu stellt sie lauter Dinge, die symbolisieren, was sie auch noch im Alltag bewältigen muss. Es stapelt sich so lange, bis sie die Wippe nicht mehr halten kann. Es gibt die Fotoarbeiten von Iris Schieferstein, die sie zusammen mit ihren Kindern zeigen. Sie fragen: Wer bin ich, welches Rollenbild habe ich? Ein Bild von ihr haben wir als Postkarte für unser Crowdfunding gewählt: Sie ist das Pferdchen, das vom Sohn dirigiert wird.

Warum macht ihr ein Crowdfunding?
Volm: Nicht nur die Suche nach Künstler*innen, auch die Sponsorensuche gestaltete sich schwierig. Viele Firmen haben abgesagt, weil sie den Titel “Bitch Material“ zu krass fanden. Sie wollen nur im cleanen Instagram-Account werben. So nach dem Motto: Es ist ja toll, dass Frauen Kinder kriegen, aber sie sollen bitte nicht ihre Tage und bloß keinen Sex haben. Wir wollten aber unbedingt einen bleibenden Katalog produzieren. Den finanzieren wir jetzt per Crowdfunding.

Unter www.bitchmaterial.art kann man sowohl das Kunstbuch als auch Editionen der Künstler*innen erwerben. Die Macherinnen wollen gerne auch Spin-offs der Ausstellung möglich machen.


Es ist wirklich haarsträubend, dass Kinderkriegen immer noch eine Art Tabu in der Kunstwelt zu sein scheint. Es gibt etwa die Abject Art: Kunst wird wortwörtlich aus Scheiße gemacht oder aus verderbenden Lebensmitteln, das hängt in den größten Museen. Aber eine Ausstellung zu Mutterschaft ist schwierig zu finanzieren.
Renz: Wie es der Titel sagt: Bitch Material. In dem Moment, wo du eine Mutter wirst, wirst du entsexualisiert und zur Unberührbaren. Deine Funktion ist es, das unschuldige Kind zu schützen.

Volm: Die Kunstwelt will sich gerne radikal, progressiv und edgy zeigen. Also ist sie entweder schlecht für das Kind oder die Kritiker*innen glauben, du machst die Kunstwelt zum Kindergarten. Wir zeigen eine tolle Arbeit von Lara Schnitger, eine Patchwork-Decke, auf der eine Frau mit gespreizten Beinen zu sehen ist, ein Motiv aus der Pornografie. Der handgearbeitete Quilt und das Pornobild von der Frau mit den gespreizten Beinen, das sind zwei Bilder, die du unendliche Male gesehen hast, aber du kriegst sie im Kopf kaum zusammen. Renz: Es gibt Kunst über das Altern, über Verwesung, über Sex, über alles. Doch oft geht es immer noch darum, Kunst vom Banalen zu trennen, die zwei Bereiche nicht zu vermischen. Kinderkriegen, Haushalt, das sind in unserer Gesellschaft banale Themen, mit denen Frauen konnotiert sind.

Die Ausstellung ”bitch MATERial” ist noch bis zum 08.04. in Berlin zu sehen und wird von einem spannenden Rahmenprogramm begleitet. Am 05.04. moderiert Stefanie Lohaus den Talk ”Gorillas. MUMS. Gender & Gap – The Talk”. Beginn: 19 Uhr. Veranstaltungsort: Studio 1, Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin.

Wie können wir mehr und größere Ausstellungen über solch spannende Themen wie Elternschaft zu sehen bekommen?
Renz: Wir müssen in einen Prozess der Auflösung des männlichen Blickes auf diese Themen einsteigen. Mehr Frauen müssen mit ihren Themen präsent sein. Eigentlich müsste es ja wahnsinnig viele künstlerische Arbeiten zum Thema Mutterschaft geben, weil Kunst vom Leben inspiriert ist.

 Volm: Es ändert sich nichts, wenn wir einfach weitermachen wie bisher, das ist überall so, nicht nur in der Kunst. Machtstrukturen ändern sich, wenn Menschen aktiv daran arbeiten, sie zu verändern. Wenn Kunst zu Mutterschaft nicht in den Galerien gezeigt wird, dann müssen wir eben eine Ausstellung selbst organisieren. Gleichzeitig sollten wir nicht so tun, als ob es die Neuerfindung des Rades wäre, dass Frauen Kunst machen. Es gab und gibt viele große und erfolgreiche Künstlerinnen. Oft werden sie jedoch nach ihrem Tod aus der Geschichtsschreibung getilgt und sind viel weniger bekannt als ihre männlichen Zeitgenossen. Ob das jetzt eine Maria Sybilla Merian ist oder eine Angelika Kaufmann. Wir müssen selbst Vorbilder schaffen, wir müssen historische Vorbilder immer wieder neu ausgraben. Als Mütter vorleben, was alles möglich ist. Ich kenne viele Frauen, die Angst davor haben, Kinder zu kriegen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass sie dann ihren Beruf auch noch behalten können. Ich hatte zum Glück eine Mutter, die immer gearbeitet hat, deswegen hatte ich nie eine solche Angst. Deswegen ist mir die Ausstellung so wichtig. Es gibt Künstlerinnen, die Mütter sind, es gibt Väter, die Kindererziehung übernehmen. Und das alles führt auch noch zu spannender, inspirierender Kunst.