Von Fatma Aydemir

Leute wissen, wo sie waren, als Prinzessin Di gestorben ist. Ich weiß noch, wo ich war, als Queen Bey geboren wurde. Ich war 12, saß im Wohnzimmer meiner Oma und lutschte ein Capri-Eis. Dann kam meine Tante – 18 Jahre alt, mit Kreolen, Jeansjacke und Hass auf die Welt, weil sie die Zwölfte wiederholen musste – und legte ihre frisch gekaufte Single-CD in die Stereo. „Get on the Bus“ von Destiny’s Child. Ich sah meine Tante wie hypnotisiert an. Das Capri-Eis schmolz mir über die Hand. Spätestens beim Übergang von Timbalands Intro zur ersten Strophe war klar („I don’t wanna fuss with youuu“): Das war mit Abstand die coolste Musik, die ich je gehört hatte.

© Eva Feuchter/Missy Magazine

Destiny’s Child waren damals vier, zwei Mitglieder gingen nach dem zweiten Album, zwei Neue kamen, eine ging wieder. Ganz schön chaotisch – bloß, dass es niemanden wirklich gejuckt hat. Mit jedem Album wurde die Band interessanter und erfolgreicher. Im Zentrum von Bühne und Hits stand und steht für immer: Beyoncé Knowles. Beyoncés Stimme begleitet mich jetzt ziemlich genau seit zwanzig Jahren, wir sind einander treu geblieben. Aber wie es bei Langzeitbeziehungen nun mal so ist, gab es auch eine Zeit, in der Beyoncé mir ziemlich auf die Nerven ging.

Das war kurz nach Erscheinen des zweiten Soloalbums „B’Day“. Bey schaffte plötzlich den Crossover an die Spitze der deutschen Popcharts und ich musste sie nun mit Leuten teilen, von denen ich mich eigentlich krampfhaft versuchte abzugrenzen. Gefühlt jede*r zweite Kandidat*in bei „DSDS“ trat mit „Irreplaceable“ zum Casting an. In den Werbepausen lief ein L’Oreal-Haartönung-Spot mit einer optisch aufgehellten Beyoncé. Ihre Mucke lief auf jedem Lokalradiosender, auf jeder Student*innenparty und, ja, selbst bei Edeka.

Erst zwei Alben später („4“) war ich unbeschwert genug, Beyoncé wieder laut aufzudrehen. Ihre musikalische Entwicklung ist der Soundtrack meines Erwachsenwerdens – eine Sache, die ich vielleicht schon lange so empfunden habe. Richtig bewusst wurde mir das aber erst bei Beyoncés bombastischem Auftritt beim Coachella-Festival in der südkalifornischen Wüste.

Seit einer Woche nun versuche ich mich schon, von Beychella zu erholen. Vom Aufbau des Sets. Von der makellosen und doch nie seelenlosen Choreografie. Von der Auflösung der Choreografie für einen letzten intimen Fansong („Love on Top“). Von Beyoncés Stimmgewalt. Von der Ausdauer ihrer Oberschenkelmuskulatur. 65 Minuten Gänsehaut. Klingt so, als sei ich da gewesen? Zum Glück nicht. Ich saß wie der Rest des Beyhives gebannt vor dem Laptop. Die Kameraführung ließ Bey aber so aufwendig und vielseitig orchestrieren (da kommen echt nur die Superbowl-Shows heran, und die gehen nur eine Viertelstunde), dass wir vor unseren Bildschirmen sicher mehr vor der Show gesehen haben als die Druffis dort in der Wüste.

Das mit den Druffis ist nicht nur ein Vorurteil. Ich habe ein Auslandssemester in San Diego gemacht und kann mich ganz genau daran erinnern, wer da so hinfährt. Es waren vor allem weiße, privilegierte Kids, die ihre fünfhundert US-Dollar allein für die Eintrittskarte hinblättern konnten. Wieso ich das erwähne? Weil Coachella ein Festival für vornehmlich weiße Collegekids ist. Und Beyoncé dort nicht nur als erste Schwarze Frau den Headliner gemacht hat – sie tat das mit einer durch und durch Schwarzen Show.

Angefangen von ihrem maßgeschneiderten Nefertiti-Outfit von Balmain, bis hin zu den Referenzen auf die Black-College-Culture und der Performance von „Lift Every Voice and Sing“, das inoffiziell als Schwarze US-Nationalhymne gilt: Beyoncé ließ mit ihrem vielleicht bisher größten Auftritt nicht einfach sich selbst feiern. Sie zelebrierte die Black Music Culture, deren Geschichtsschreibung spätestens jetzt nicht mehr ohne Beyoncés Namen auskommen wird.

Dass sie ihre Weggefährt*innen mit auf die Bühne nahm, war da nur noch eine Extrakirsche auf diesem Sahneberg von Show: Destiny’s Child, Solange, Jay-Z (wobei Jay-Z’s Performance eher wie eine unnötige Nettigkeit wirkte, die Bey ihm aus irgendeinem Grund zugestand – keine*r hätte ihn vermisst).

Ein ganz grundlegender Bestandteil der Show dagegen waren diese bewusst gesetzten Augenblicke, die sich alle paar Lieder wiederholten: Beyoncés Blick. Straight. In die Kamera. Was ist das für ein Blick? Ist das Stolz? Ist das Empowerment? Ist das Caring? Es ist alles, was du willst. Wie ein Spiegel, in dem du zwar nicht dein Make-up, aber deinen Gefühlsstand checken kannst. Was macht die Show gerade mit dir? Wo bist du? Was bedeutet dir das? Alles. Beyoncé ist alles.