medieneliteIch war heute auf einem Vortrag von Nina Degele und Tanja Walther-Ahrens an der HU Berlin. Beide gaben jeweils einen theoretischen und einen praktischen Einblick in das Thema Homophobie im deutschen Fußball, viele spannende Fragen aufwarf und für mich überraschende Erkenntnisse mit sich brachte.

Nina Degele begann ihren Vortrag mit einer kleinen Anekdote der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich, als Harald Schmidt den damals noch aktiven Jürgen Klinsmann als „Schwabenschwuchtel“ und „Warmduscher“ betitelte. Dass das aus Harald Schmidts Mund kommt, hätte ich so nicht erwartet, aber zu der Homophobie-Akzeptanz im Kontext Fußball später mehr.

Degele ging der Frage nach, welche Funktion Homophobie im Fußball übernimmt: Sie markiert und sanktioniert Abweichung bzw. Differenz (Bsp: „Du schwule Sau“), stabilisiert Heterosexualität als Norm und hält Geschlechterdifferenzen aufrecht (Bsp: Gender-Performances, die sich häufig an stereotypen Rollenbildern orientieren). Damit bestätigt Homophobie das eigene „Normalsein“. Würde ich so unterschreiben, der Punkt mit der Aufrechterhaltung von Geschlechterdifferenzen war mir allerdings neu. Degele trennt Homophobie und Sexismus nicht, beide Unterdrückungsmechanismen bedingen hegemoniale Geschlechterdiskurse.

Degele fasste einen Teil ihrer empirischen Erkenntnisse über Körper, Geschlecht und Sport zusammen, ein Themenfeld worüber sie (neben Intersektionalität) aktuell forscht. Sie fand heraus, dass Homophobie sich oft versteckt in Ausweichungen äußert. Sie zeigte ein Bild von Rosenberg und Sanogo (Werder Bremen), die sich kuschelnd auf dem Rasen in den Armen liegen und befragte dazu im Vorfeld verschiedene Fanclubs und beobachtete Gespräche. Oft kritisierten die Vertreter_innen an diesem Verhalten eine die zunehmende Kommerzialisierung und Inszenierung von Individuen, die ihr Glück öffentlich zur Schau stellen. Dahinter vermutet Degele homophobe Tendenzen, denn offenbar kritisierten die Befragten die Öffentlichmachung von etwas, dass lieber verschwiegen werden sollte.

In den weiteren Ausführungen von Nina Degele ging es um die Alltagsübertragbarkeit dieser öffentlichen Körperlichkeit bei Fußballspielen und stellte fest, dass dies nicht möglich sei. Fußball diene hier als Schutzraum, um Körper, Geschlecht und Sexualität zu inszenieren, ohne sich dabei permanent an normativen Geschlechterrollen zu orientieren. Es finde emotionale Körpernähe statt, die nicht sexuell gedeutet oder angenommen wird; Trikots markieren hierbei diesen Schutzraum, unter der Dusche wäre dann also Schluss mit knuddeln. Hier besteht also Angst vor einer Kontextverschiebung, deshalb lässt man die Gefühle und die Körperlichkeit lieber auf dem Platz.

Spannend fand ich besonders folgenden Aspekt im Hinblick auf Frauen- und Männerfußball: Während der Tabubruch im Männer-Fußball bei Sexualität anfängt (Schwul oder nicht?), beginnt er bei Frauen bereits bei der Frage von Geschlecht und -inszenierung. Frauenfußball oder Frauensport im allgemeinen impliziert eine Körperlichkeit, die im Widerspruch zu vorhandenen Gender- und Geschlechterperformances stehen kann. Das wiederrum löst Irritationen aus. Heißt: Frauen mit vermeintlich männlichen Verhaltensweisen (ruppige Zweikämpfe) oder männlichem Aussehen (Muskelaufbau, Statur) werden nicht mehr mit Weiblichkeit assoziiert – sie „wirken wie Männer“. Damit geht auch einher, dass bei diesen Frauen vordiskursiv Homosexualität angenommen wird, die aber als gesellschaftlich legitimiert gilt, weil sie stereotypen Erwartungen entspricht.

Dabei gibt es in Deutschland keine einzige Fußballerin, die sich in der Öffentlichkeit geoutet hat. Schlimmer noch: Laut Tanja Walther-Ahrens ist die Gender-Performance der Spielerinnen geprägt von der Er- und Ausfüllung vermeintlicher Weiblichkeit, hier findet also eine permanente Rechtfertigung für das eigene Geschlecht statt. Polemisch ausgedrückt: Lieber lange als kurze Haare. Auch innerhalb weiblicher Teams achten die Frauen peinlich genau darauf, nicht homosexuell „zu wirken“ – obwohl doch gerade niemand Anstoß daran finden würde, wenn diese sich outen. Walther-Ahrens betonte allerdings, dass Frauenfußball keineswegs homosexueller sei als Männerfußball und verwies auf die statistischen fünf bis zehn Prozent.

Sie kritisierte den DFB, der noch immer eine Hierarchisierung der Diskriminierungsformen vornimmt, indem er Rassismus an die oberste Stelle platziert. Alle anderen Formen wie Antisemitismus, Xenophobie, Homophobie und Sexismus seien entweder nachstehend oder kaum beachtet. Sie zeigte dies anhand von Fotos aus Stadien, in denen Fans die völlig sanktionsfrei homophobe Banner platzieren können, um den Gegner herabzusetzen (Bsp: Schwuler Verein XY). Im deutschen Fußball fehle das Bewusstsein oder eine kritische Reflektion, bis heute sei das Argument „Aber im Fußball gibt es doch gar keine Homosexuellen“ (bzw. zu wenige, um sich des Problems anzunehmen) gängig.

In der nachfolgenden Diskussion ging es natürlich um die obligatorische Frage, ob denn Coming Outs überhaupt sein müssten, schließlich sei das doch Privatsache der Spieler_innen. Degele und Walther-Ahrens standen dem entgegen: Je weniger sich outen würden, desto mehr würde Heteronormativität bestätigt werden. Diese gilt es aber aufzubrechen. Ein Coming Out sei bis heute ein Politikum geblieben, haben viele Homosexuelle diese Norm schon so weit internalisiert, dass sie ein Zweitleben erfinden, um nicht als abweichend wahrgenommen zu werden. Dieses Versteckspiel ist in erster Linie ein körperlicher und geistiger Kraftakt, eine Einschränkung der Lebensqualität und in zweitens auch die Reproduktion und Stabilisierung von Kategorien, Geschlechterverhältnissen und Heteronormativität.