Der letzte Teil unseres Sexismus-Dossiers versucht die Debatte in eine konstruktive Richtung zu lenken und zeigt mögliche politische Perspektiven auf.

Comic: Zach Weiner

Die rege Beteiligung an der Aufschrei-Aktion bestätigt die Dringlichkeit nach strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und im Umgang der Geschlechter miteinander. Da fragt man sich doch, warum kein Mensch aus dieser Auseinandersetzung mehr ziehen will, als von Erfahrungen aus dem eigenen Privatleben zu berichten. Im Grunde war das Problem von Sexismus den meisten (Frauen) doch längst bekannt, da muss man sich nur mal in seinem Freundeskreis umgucken. Solche Vorfälle ans Tageslicht zu bringen ist zwar der erste Schritt, aber nicht der Letzte. Hinter all den versteckten Alltags-Sexismen, liegen Strukturen, die an der Wurzel zu packen und herauszureißen sind. Klar, es kann kein Allgemeinrezept für ein ewig friedliches und gleichberechtigtes Verhältnis der Menschen miteinander geben. Trotzdem gibt es einige Ungerechtigkeiten, die nach Abschaffung stinken! Hier wird versucht, die maßgeblichen Probleme zusammenzutragen und praktische Vorschläge zu sammeln, wie man eine Gleichstellung der Geschlechter, nicht nur vordergründig, sondern praktisch umsetzen könnte. Die folgenden Forderungen und Ansätze sind nur ein Anfang und sicherlich ausbaufähig, aber sie liegen wie Blei auf den weiblichen Herzen.

1. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Es ist doch wirklich zum verrückt werden, dass sich Frauen im Großen und Ganzen für die gleiche Arbeit, wie sie Männer verrichten, ihren Hintern wesentlich wunder arbeiten müssen.
2. Gleicher Zugang zu gleicher Arbeit! Warum wird vorwiegend ein Mann für einen Job ausgewählt, wenn eine Frau mit gleicher Qualifikation daneben steht? Klar, weil der, der die Macht hat das zu entscheiden meist auch ein Mann ist und die Mächtigen dieser Welt bekanntlich stark daran interessiert sind, ihre Macht zu erhalten. Ob eine Verbesserung der Situation mit einer Frauenquote zu erreichen ist, ist eine andere Frage. Aber ändern muss sich auf jeden Fall etwas an diesem Zustand!
3. Care-Arbeit (wie Kinder- und Familienpflege, Hausarbeit usw.) sollte zum Thema von Mann und Frau werden. Noch immer wird über 70 Prozent der Care-Arbeit von Frauen übernommen, die dafür selten Anerkennung, geschweige denn eine finanzielle Entschädigung erhalten. Das hält Frauen vom Berufsleben und vom politischen Engagement fern und stärkt die männliche Obrigkeit in diesen Bereichen.
4. Her mit der flächendeckenden, kostenlosen Kinderbetreuung! Der erste Schritt ist getan, denn laut Kinderförderungsgesetz (Kifög) haben ab August 2013 alle Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, einen Anspruch auf einen Kita-Platz. So die Theorie. Wie das Gesetz in der Praxis durchgeführt wird, werden wir sehen. Wahrscheinlich wird die Betreuung weiterhin auf dem Rücken von schlecht bezahlten ErzieherInnen lasten, eine andere altbekannte Ungerechtigkeit.
5. Weg mit dem unrealistischen Schönheitsideal! Schönheits- und Bekleidungsnormen sind ein wichtiges Element sexistischer Unterdrückung, halten Frauen ständig auf Trab und versetzen sie in Stresssituationen. Das ewige Diät halten, aufhübschen, shoppen gehen für das andere Geschlecht kann einen ja wahnsinnig machen. Schönheitsideale und sexistische Werbung machen die Frau zum Objekt und in der Wirtschaft zu einem Investitionssektor. Allerdings darf auch nicht der Fehler gemacht werden, Frauen wegen ihres stereotyp weiblichen Äußeren als unemanzipiert abzulehnen. Denn Emanzipation bedeutet die vollkommene Entscheidungskraft über den eigenen Körper, auch wenn frau sich an Mainstream-Idealen orientiert.
6. Der Schutz vor sexuellen Übergiffen muss gewährleistet werden! Wenn etwa 25 Prozent aller Frauen und 3-7 Prozent aller Männer in ihrem Leben zum Opfer sexueller Gewalt werden, zeigt dies, dass ein gesamtgesellschaftliches Problem vorhanden ist, auch wenn Frauen häufiger betroffen sind. Vor allem sollte aufgehört werden, mit Sprüchen wie „selber Schuld, wenn du dich so aufreizend anziehst“ das Opfer zum Täter zu machen. Ein bisschen Zivilcourage und Aufmerksamkeit hat noch keiner Gesellschaft geschadet.
7. Frauen müssen auch zu Wort kommen! Häufig haben Frauen und Männer eine andere Diskussionskultur, so dass Frauen einfach abgewimmelt werden. Was nicht unbedingt bösartig gemeint sein muss, trifft dennoch auf viele Gesprächsgruppen zu: Männer unterbrechen Frauen fünf mal so häufig wie umgekehrt und beanspruchen statistisch gesehen 80 Prozent der Redezeit. Meist bleibt Frauen nichts anderes übrig, als das männlich-dominante Verhalten zu kopieren, um zu der Diskussion etwas beizutragen.
8. Egalitäre Erziehung ist das A und O! Einfach mal aufhören das Mädchen direkt nach der Geburt in einen rosa Lillifee-Strampler zu stecken, ihm ein Püppchen in die Hand zu geben und daneben den Jungen zu setzen, der im Spiderman-Shirt mit Lego spielt. Keinem Kind kann es schaden, sowohl Barbie als auch Powerranger-Spielzeuge zu besitzen und das Bäumeklettern macht doch auch irgendwie beiden Spaß…
9. Frauenräume schaffen! Hier soll es nicht um einen umgekehrten Sexismus gehen, sondern einfach darum, Frauen und Mädchen Räume zu geben, in denen sie sich frei und ohne Repressionen auf- und verhalten können. Gäbe es keinen Sexismus, bräuchte es auch keine Räume nur für weiblich Sozialisierte geben. Solche Räume tragen dazu bei, bei den Frauen ein Selbstbewusstsein aufzubauen, damit es irgendwann keine Frauenräume mehr geben muss.
10. Bedenke: Nicht alle Frauen sind gleich und Geschmäcker sind verschieden! Wenn von Sexismus die Rede ist, dann meist in Bezug auf weiße, heterosexuelle Frauen. Doch Frauen sind individuell und so unterschiedlich sind auch ihre sexuellen Vorlieben. Manche Frauen, stehen auf Männer, andere wiederum auf Frauen. Dass letztere häufig sogar noch krasser von Sexismus betroffen sind, vergisst man schnell. Bei dunkelhäutigen Frauen paart sich der Sexismus dann auch häufig mit Rassismus. Und auch queere Identitäten werden im Diskurs vernachlässigt.

 

Und zu guter Letzt: Wer von Sexismus eingeschränkt, bedroht oder verletzt wird, ist nicht alleine und kann sich wehren.

Neben den üblichen Anlaufstellen gibt es viele neue Projekte, die dabei helfen, institutionalisiertem Sexismus den Ruf des totgesagten Randphänomens zu nehmen und wieder in die Mitte des öffentlichen Diskurses zu tragen. Global, national und digital schließen sich Menschen zusammen, um Betroffenen zu helfen, TäterInnen und Verantwortliche zu enttarnen und einfach einmal laut und offen anzusprechen, was in unserer Kultur im Argen liegt.

Aber ihr wisst Bescheid: Selbst wenn ihr kein passendes Projekt findet oder lieber einzeln agiert, könnt ihr effektiv etwas verändern. Da Sexismus im Kleinen anfängt, können sexistische Strukturen auch ausgezeichnet durch die persönlichen Partisanenkämpfe des Alltags aufgebrochen werden. Lasst euch nicht alles gefallen, versteht die Geschichte und habt eine Vision für die Zukunft. Und gerade die lässt sich übrigens besonders gut mit anderen teilen. Im Rahmen der eher unschönen und doch recht erhellenden Diskussion um Transmenschen im Feminismus in den britischen Medien zitierte Paris Lees abschließend den schönen und motivierenden Aphorismus von Dale Spender:

„Feminism has fought no wars. It has killed no opponents. It has set up no concentration camps, starved no enemies, and practised no cruelties… Its battles have been for education, for the vote, for better working conditions, for safety on the streets, for childcare, for social welfare, for rape crisis clinics, women’s refuges, reforms in the laws. If someone says, „Oh, I’m not a feminist!“ I ask, ‚Why? What’s your problem?'“

Der Feminismus hat keine Kriege angezettelt. Er hat keine Gegner umgebracht. Er hat keine Konzentrationslager errichtet, keine Feinde ausgehungert und keine Gräueltaten verübt… Seine Schlachten waren für Bildung, für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Sicherheit auf den Straßen, für Kinderbetreuung, für Sozialhilfe, für Krisenzentren für Vergewaltigte, Frauenhäuser, Gesetzesreformen. Wenn jemand meint: „Oh, ich bin keine Feministin!“, frage ich: „Warum? Wo liegt das Problem?“

Es gibt viele Gründe, wütend zu sein. Aber es gibt noch mehr gute Gründe, nicht nur wütend sondern auch aktiv zu werden und laut zu sein. Anstatt sich ohnmächtig zu fühlen, hilft ein Blick auf all das, was bereits erreicht wurde. Und das Gefühl, nicht allein zu sein.

 


Wir haben hier einige wenige interessante Initiativen und Informationen versammelt, nur um einen kleinen Einblick in den vielfältigen neuen Aktionismus zu geben.

http://www.everydaysexism.com
http://alltagssexismus.de
http://www.watchgroup-sexismus.at/cms/
http://www.ihollaback.org
http://anarchorobben.blogsport.de/2012/02/12/wieso-soll-ich-sexistisch-sein-ich-bin-anarchist/#more-4
http://www.nomas.org
http://notyourbaby.com
http://skepchick.org/2013/02/proving-and-quantifying-sexism/
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