Von Gala Rexer

Der Sound der israelischen Musikerin Noga Erez bewegt sich irgendwo im wabernden Gefilde zwischen Synthie-Pop und Elektro-HipHop, begleitet von ihrem teils abgehackten, kühlen, aber gleichermaßen ephemeren, geschmeidigen Gesang. Diese sehr kontemporäre Ästhetik könnte dazu verführen, einmal hinzuhören und weiterzuswipen. Wer allerdings genauer horcht, wird überrascht von feministischer Herrschafts- und Machtkritik. Im Interview spricht Erez über die politische Dimension von Emotionen, Privilegien, die Musikszene in Tel Aviv und darüber, was es bedeutet, eine israelische Künstlerin zu sein.

© Tonje Thilesen

Viele Songs auf deinem Debütalbum handeln von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Wie politisch sind deine Musik und dein Songwriting?
Als ich anfing, Musik zu schreiben, wollte ich keine politische Musik machen. Aber ich konnte nicht die Tatsache ignorieren, dass ich an einem Ort lebe, an dem die ganze Zeit viele Dinge um mich herum passieren. In Tel Aviv zu leben bedeutet, in Komplexität zu leben. Musik zu machen ist für mich ein Weg, zu verarbeiten, was ich hier mache. Ich bin mit mir selbst im Dialog darüber, wie ich mich damit fühle, anstatt eine eindeutige Botschaft in die Welt zu tragen.

Denkst du, dass Künstler*innen eine Verantwortung haben zu reflektieren, was in der Welt passiert?
Ich denke nicht, dass Künstler*innen diese Verantwortung haben sollten. Politiker*innen tragen diese Verantwortung, Menschen, deren Aufgabe es ist, uns zu repräsentieren. Künstler*innen haben die Verantwortung, Kunst zu machen. Aber wenn sie noch etwas Zusätzliches machen können, ist das toll. Ich finde es wirklich großartig, wenn Künstler*innen diese Rolle annehmen und ich glaube, dass das wirklich Veränderung schaffen kann. Aber es ist eine komplizierte Rolle, weil du die ganze Zeit über viele Dinge reden musst, die nicht deine Kunst sind.

In einem anderen Interview meintest du, dass du dir wünschst, Menschen Momente zum Nachdenken und zur Inspiration zu geben und zugleich durch deine Musik Eskapismus und Spaß anzubieten. Wie setzt du das um?
Ich glaube, Musik ist dafür das effizienteste Format, weil du in deinen Lyrics ein sehr ernstes Thema transportieren kannst, während du das Ganze in Musik einpackst, die sehr tanzbar und spaßig sein kann. Ich liebe die Idee, dass du diese beiden Dinge gleichzeitig machen kannst. Einerseits wirst du unterhalten, andererseits über Dinge informiert, die gerade passieren.

Das passt gut zu deinem Song „Dance While You Shoot“, der in deinen eigenen Worten von Emotionen handelt, die sich in etwas Physisches verwandeln können, wie etwa Tanzen, aber auch gewalttätige Handlungen oder Widerstand. Wie übersetzt du Emotionen in Musik?
Meine Songs handeln grundlegend von Gefühlen. Und manchmal verbinden sich eben meine Emotionen und Gedanken, mit dem, was um mich herum passiert. Das mag sich sehr politisch anhören, aber in Wirklichkeit ist es sehr persönlich. Ich versuche, eine bestimmte Atmosphäre zu finden. Ich versuche also, mich mit dem zu verbinden, was gerade mit mir passiert und was ich fühle, und dabei sehr direkt und authentisch zu sein, um das dann in Form von abstrakter Musik zu fassen.

In „Worth None“ geht es um Privilegien und die Scham, wenn man diese plötzlich bei sich selbst realisiert, oder?
Ganz genau. „Worth None“ ist ein Song, der von den Ereignissen 2014 rund um die „Operation Protective Edge“, die bislang gewalttätigste militärische Konfrontation im israelisch-palästinensischen Konflikt, inspiriert wurde. Das war ein sehr wichtiger Moment für mich, weil ich bis dahin immer dachte, ich wüsste, was los wäre. Ich verfolgte die Nachrichten und machte mir viele Gedanken, hielt mich selbst für total aufgeklärt. Nun begann ich zu verstehen, wie wenig ich verbunden war mit dem, was da vor sich ging. Ich realisierte, dass es immer eine Distanz gibt zwischen dem, was wirklich passiert, und dem, wie es sich für Außenstehende anfühlt. Ich möchte über diese Distanz sprechen, um sie kleiner zu machen.

Welche Reaktionen bekommst du als israelische Künstlerin?
Viele finden das exotisch und wollen durch mich etwas über Israel lernen. Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Land aussieht. Etwa wie ein Ort, der nur aus Wüste besteht, der ständig bombardiert wird und wo sich die Leute gegenseitig erschießen. Weil ich in meinen Songs keine eindeutige Botschaft anbiete und mich nicht auf eine Seite stelle, wollen viele wissen, ob ich z. B. pro oder anti Palästina bin. Dann muss ich immer erklären, dass ich pro Menschenrechte bin und gegen Rassismus und alles, was damit zu tun hat.
Aber ich denke, dass ein Boykott aller in Israel lebender Menschen aufgrund einer kleinen Minderheit im Land nicht unbedingt das Beste ist, was man machen kann. Wenn du Veränderung schaffen willst, musst du diejenigen stärken, die für Frieden und eine gerechte und offene Gesellschaft sind, statt sie zu schwächen, nur weil du den Rest schwächen willst.

Noga Erez „Off The Radar“
City Slang/Universal, bereits erschienen

Die Repräsentation von weiblichen und queeren Künstler*innen in der elektronischen Musikszene Tel Avivs ist in den letzten Jahren gestiegen. Wie würdest du diese Szene aus einer feministischen Perspektive beschreiben?
Die Szene in Tel Aviv ist vergleichbar mit denen in anderen Städten weltweit, die ein hohes kulturelles Kapital haben, wie Berlin, London oder New York. Es gibt eine große Diversität, es passieren viele Dinge. Tel Aviv ist eine sehr kulturelle Stadt, die Künstler*innen in vielen Aspekten unterstützt. Es herrscht also eine bestimmte Atmosphäre, und ich glaube, das kann man insbesondere in der alternativen Szene spüren. Hier gibt es sehr viele Kick-Ass-Künstlerinnen, die Karriere machen.
Der Mainstream dagegen wird von männlichen Künstlern dominiert, im Mainstreamradio werden vor allem Männer gespielt. Ich glaube nicht, dass es da ein Bewusstsein dafür gibt oder dass Leute etwas ändern wollen. Das ist so traurig, weil es extrem viele tolle Künstlerinnen gibt, die großartige Musik machen. Es verändert sich etwas in der Off-Szene, in der alternativen Musikszene, aber leider nicht im Mainstream.

Dieses Interview ist in einer kürzeren Version zuerst in Missy 03/2017 erschienen.