Jens Friebe trägt Lipgloss, singt androgyn-mehrdeutig über die Liebe, musiziert auffallen oft mit Frauen – und macht auch sonst vieles richtig.

 

»Nie sah ich einen lauen Friebe / Drum gilt ihm aller Frauen Liebe.« So schüttelreimt Kollege Dietmar Dath über Jens Friebe im Nachwort zu dessen Blog-Tagebuch »52 Wochenenden« und bringt es damit gut auf den Punkt. Sieht man Friebe auf der Bühne oder hört die bislang drei Alben, drängt sich das Gefühl auf, dass dieser schlaksige, blonde Mensch, der sich selbst als eine Art glamouröser Loser inszeniert, in seiner Kunst grundsätzlich alles gibt.

Die zweite Reimzeile muss dahingehend ergänzt werden, dass Friebe mit dieser emphatischen Einstellung nicht nur beim weiblichen, sondern auch beim schwulen Publikum große Sympathien weckt. Vielleicht liegt es daran, dass er auf Albumcovers gerne mal mit Make-up experimentiert, in seinen Liedtexten das Geschlecht der (oder des) Besungenen oft in der Schwebe lässt und sich auch auf der Bühne auf die androgyne Inszenierung spezialisiert hat, die man sonst von den Singer-Songwriter-Kollegen Patrick Wolf oder Rufus Wainwright kennt und die immer leicht an verarmten Adel erinnert: ein bisschen blass um die etwas zu lange Nase, das blonde kinnlange Haar akkurat seitlich gescheitelt, die stechend blauen Augen mit etwas Kajal dramatisch betont und gerne mit allerlei Klunkern behangen. Die Berliner Schwulenzeitschrift Siegessäule nannte Friebe dafür mal »Berlins homosexuellsten Heterosexuellen«. Im eigentlichen Sinne singen kann Friebe nicht, seine Stimme hat eher den Charme des leicht Quengeligen. Was ihm aber hier an Begabung fehlt, macht er mit einem feinen Gespür für gute Popmelodien sowie einem noch feineren Gespür für sprachliche Finesse wieder wett. Letzteres stellt er nicht nur in den eigenen Songtext-Miniaturen über Liebe, Begehren, Selbstzweifel und andere Abgründe des Alltags unter Beweis, sondern auch in den bereits erwähnten »52 Wochenenden« – der so pointiert wie unterhaltsam geschriebenen Chronik eines Berliner Ausgeh-Jahres.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Jens Friebe in Lüdenscheid im Sauerland aufwuchs und vor seiner Musikerkarriere mal eine Weile Musikwissenschaft und Philosophie studierte. Außerdem ist er der kleine Bruder von »Digitale Bohème«-Autor Holm Friebe, den er für »52 Wochenenden« in einem Akt von Geschlechtersubversion zu einer Schwester verfremdete. Kein Wunder, dass der Mann als Vorzeige-Genderboy gehandelt wird.

WAS GLAUBST DU, WARUM WIR DICH FÜR DIE RUBRIK AUSGEWÄHLT HABEN? Die Leute scheinen generell zu glauben, dass ich als Mann zum Thema Gender und Feminismus etwas zu sagen habe. Das war schon seit meiner ersten Platte so. Da habe ich mit einer sehr maßvoll androgynen Inszenierung schon so ein Aufsehen erregt. Da war zum einen die Textzeile: »Bring mich zum Wagen, bring mich zum Weinen. Lass mich dir sagen, ich habe außer dir noch keinen so geliebt.« Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir damals über eine schwule Lesart keine Gedanken gemacht habe – »keinen« reimte sich einfach besser. Dazu kam noch, dass ich auf dem Cover des Albums Lipgloss trug. Da war ich in der Presse schon gleich »Vorzeige-Gender«. Ab dem zweiten Album habe ich dann bewusst mit diesem Image gespielt, da waren dann auch konkrete Verweise, wie die Liedzeile: »Nur Beeilung, es gibt Hoffnung, es gibt Heilung, ein Licht am Ende des Darkrooms«.

WAS INTERESSIERT DICH AN DIESEM SPIEL? Das habe ich mich auch schon gefragt. Natürlich ist eine Bühne ein Ort, wo man mehr Freiheit hat, sich zu inszenieren. Zu der Zeit bin ich in Köln auch viel schwul ausgegangen. Ich mochte einfach die Atmosphäre an solchen Abenden, wo man nicht mehr wusste, wer ist jetzt was und am Ende so eine universelle Zärtlichkeit herrschte. Das wollte ich auch in meiner Musik rüberbringen.

DAS BEGEHREN IN DEINEN LIEDERN IST HÄUFIG SOWOHL HOMO-ALS AUCH HETEROSEXUELL ZU LESEN. Das ist kein aktivistisches Statement. Ich finde es einfach eleganter, wenn nicht so dichotom von ihr und ihm die Rede ist, wenn das in der Schwebe bleibt.

GAB ES FRAUEN, DIE DICH MUSIKALISCH BEEINFLUSST HABEN? Ich habe in meiner Jugend gerne die Breeders gehört und Suzanne Vega, auch wenn ich deren Produktionen meist schrecklich fand. Ich mochte als großer Lennon-Fan auch Yoko Ono. Am meisten beeinflusst hat mich aber vielleicht Alice Nutter, die Sängerin von Chumbawamba. Die Art, wie sie ernsthafte Statements in cheesige Popsongs brachte, das war damals was sehr Neues, Erfrischendes. Bei meinem Song »Deutsches Kino« habe ich später was Ähnliches probiert. Mein Lieblingsalbum von einer Frau ist »Blue Bell Knoll« von den Cocteau Twins (Anm.: deren Sängerin Elisabeth Fraser schrieb die Lyrics für das Album). Meine Lieblingssängerin ist allerdings keine Popsängerin, sondern singt vor allem Renaissance-Stücke: Montserrat Figueras.

DU SPIELST ZUSAMMEN MIT SANDRA UND KERSTIN GRETHER IN DEREN BAND DOCTORELLA UND BIST SCHLAGZEUGER BEI BRITTA, WO DU EBENFALLS MIT DREI FRAUEN AUF DER BÜHNE STEHST. SPIELST DU BESONDERS GERNE MIT FRAUEN ZUSAMMEN? Vielleicht verstehe ich mich einfach gut mit Frauen. Julie Miess von Britta hatte vorher schon in meiner Band Bass gespielt, so bin ich bei Britta reingerutscht. Und auch die Grether-Schwestern kenne ich schon lange.

WELCHE FRAU AUS DER GESCHICHTE WÜRDEST DU GERNE TREFFEN? Oh je, jetzt kommen diese Fragebogenfragen, auf die mir immer keine Antworten einfallen. Ich sage mal Sappho, die große Dichterin der Antike, weil ich über die gerade vor Kurzem was gelesen habe. Ich weiß nicht viel über die Antike, ich hätte viele Fragen und wir kämen gut ins Gespräch. Mir eine fremde Epoche, die meist nur mit männlichen Helden verbunden wird, von einer Dichterin erklären zu lassen, stelle ich mir sehr aufregend vor.

BEOBACHTEST DU EIGENSCHAFTEN AN DIR, DIE STEREOTYPERWEISE FRAUEN ZUGESCHRIEBEN WERDEN? Eitelkeit. Nicht, dass ich morgens lang im Bad brauche, aber Fotosessions für neue Platten sind immer der totale Horror. Bis ich da ein Bild finde, dass ich irgendwie ertragen kann. Da zeigt sich dann die Entwicklung, die man beim morgendlichen Blick in den Spiegel sonst nicht sieht. Dass ich mit zunehmendem Alter so eine breitere, männlichere Fresse kriege, passt mir zum Beispiel nicht so recht.

UND WO BIST DU DANN DOCH WIEDER STEREOTYP MÄNNLICH? Ich gestehe hiermit offiziell meine Vorliebe für Fußball.

WOMIT TRÖSTEST DU DICH, WENN DU TRAURIG BIST? Kommt drauf an. Wenn ich so gefühlsduselig traurig bin, lese ich irgendwas abstrakt Theoretisches oder schaue Fußball, irgendwas, was einen auf unpersönliche Weise in Bann zieht. Wenn ich aber einen ganz krassen Kater habe, bekomme ich am nächsten Abend eine Art Todesangst. Dann schaue ich gerne Horrorfilme, das hilft komischerweise.

(Interview: Chris Köver. Erschienen in: Missy 03/09)