DER DOKUMENTARFILM »ABORTION DEMOCRACY« ZEIGT, WELCHE KONSEQUENZEN GESETZE ZUM SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH FÜR DAS LEBEN VON FRAUEN HABEN. EIN INTERVIEW MIT DER FILMEMACHERIN SARAH DIEHL.

DEIN FILM ZEIGT DIE SITUATION IN POLEN UND SÜDAFRIKA. WARUM HAST DU DIESE BEIDEN LÄNDER AUSGEWÄHLT? Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich das Thema Abtreibung in verschiedenen demokratischen Gesellschaften bewertet wird und wie sich das auf das Leben von Frauen auswirkt. Polen und Südafrika sind dafür gute Beispiele, weil beide Länder erst vor relativ kurzer Zeit ihre Abtreibungsgesetze geändert haben: Die Solidarnosc-Regierung in Polen hat Anfang der 1990er Jahre Abtreibung fast vollständig illegalisiert, um sich die Unterstützung der katholischen Kirche zu sichern. Südafrika hat sie im Zuge der Reform des Gesundheitssystems nach dem Ende der Apartheid legalisiert.

WIE HAT SICH DIE SITUATION IN DEN BEIDEN LÄNDERN DANACH GEÄNDERT? Das Interessante ist, dass die Zahl der Abtreibungen und der Zugang zu sicheren Eingriffen nicht nur damit zusammenhängen, ob Abtreibungen legal oder illegal sind. In Polen ist es etwa trotz der Strafbarkeit relativ leicht, an eine sichere Abtreibung zu kommen, für ein entsprechend hohes Honorar bieten viele Ärzte den Eingriff an. In Südafrika, wo Abtreibungen dagegen offiziell legal sind, haben es Frauen viel schwerer, Zugang zu Informationen und sicheren Eingriffen zu bekommen, weil die Mentalität des Gesundheitspersonals in den Krankenhäusern nach wie vor konservativ und die Gesundheitsversorgung allgemein sehr schlecht ist.

WICHTIGER ALS DIE GESETZGEBUNG IST ALSO EIN MENTALITÄTSWANDEL? Ja. Nur ein fundamentaler Wandel der Einstellung zu Abtreibung und Verhütung kann sicherstellen, dass Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Wenn Ärzte sich aus moralischen Gründen weigern, den Eingriff durchzuführen oder die Pille herauszugeben, hilft es auch nicht, dass der Abbruch legal ist.

IN DEUTSCHLAND IST ABTREIBUNG IMMER NOCH ILLEGAL, WIRD ABER UNTER BESTIMMTEN VORAUSSETZUNGEN GENEHMIGT. WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE SITUATION HIER? Dass der Zugang zu Abtreibung willkürlich erschwert werden kann. Die Zwangsberatung stellt in dem Zusammenhang ein großes organisatorisches Problem dar, gerade in ländlichen Gebieten. Es gibt immer noch viele Fälle, wo Frauen nach Holland mussten oder arme und illegalisierte Frauen versuchen, selbst einen Abbruch vorzunehmen, was schlimme gesundheitliche Risiken birgt.

ABTREIBUNGSGEGNER BEHAUPTEN, DASS MAN MIT EINEM VERBOT DIE ZAHL DER ABTREIBUNGEN SENKEN KÖNNE. Nein. Die internationalen Zahlen zeigen, dass Illegalisierung nicht dazu führt, dass weniger abgetrieben wird. Eine Frau, die unter sozialem und ökonomischem Druck steht, wird eine ungewollte Schwangerschaft trotzdem beenden. Die Illegalisierung bedeutet nur, dass mehr Frauen bei illegalen Eingriffen ihr Leben riskieren und finanziell ausgebeutet werden. Laut der WHO stirbt alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen einer illegalen Abtreibung. Viele davon sind Mütter, lassen also Kinder zurück. Das muss man sich mal bewusst machen. Das Einzige, was die Zahl der Abtreibungen senkt, ist bessere Aufklärung, leichterer Zugang zu Verhütungsmitteln und mehr Verantwortung auf Seiten der Männer.

WEN WILLST DU MIT DEM FILM ERREICHEN? ÄrztInnen, Hebammen, PflegerInnen und ApothekerInnen, also alle, die direkten Kontakt mit den schwangeren Frauen haben. Nur wenn diese Menschen Abtreibung als Menschen- und Frauenrecht wahrnehmen, werden Frauen auch Zugang zu einer sicheren Versorgung haben. Meine andere Zielgruppe sind PolitikerInnen – in Deutschland, aber auch auf EU-Ebene und bei der UNO. Ich will, dass sie sich der Verantwortung für ihre Bürgerinnen wieder bewusst werden, die Frage stärker aus der Perspektive der betroffenen Frauen sehen, statt Spekulationen über potentielles Leben anzustellen, die Frauen entmündigen.

DIE ABTREIBUNGSGEGNER ZEIGEN GERNE BILDER VON BLUTIGEN FÖTEN. DU ZEIGST IN DEINEM FILM EINE POLIN, DIE BLIND GEWORDEN IST, WEIL IHR EINE ABTREIBUNG VERSAGT WURDE. IST DAS NICHT POLEMISCH? Alicja Tysiac ist in Polen ein prominenter Fall, weil sie vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ihre Regierung klagt. Ich finde es wichtig, diesen Fall zu dokumentieren, weil er zeigt, wie extrem die Situation in Polen ist. Die alleinige Fokussierung auf die Rechte des Fötus’/Embryos führt dazu, dass die körperliche Integrität von Frauen völlig ausgeblendet wird. Gleichzeitig bin ich nicht der Ansicht, dass ein Fall so extrem sein muss wie der von Tysiac, um eine Abtreibung zu rechtfertigen. Alle Frauen sollten ohne Begründung und Entschuldigung Zugang zu einem Abbruch haben. In England dürfen Frauen übrigens mit Hinblick auf die medizinischen Erkenntnisse über den Fötus bis zur 24. Woche abtreiben. Er sieht zwar äußerlich sehr menschenähnlich aus, es besteht aber noch kein Gefühl oder Bewusstsein

Interview: CHRIS KÖVER

»Abortion Democracy: Poland/South Africa« Deutschland 2008 • Regie: Sarah Diehl • 50 Min. • www.abortion-democracy.de