digitallife-rahmenEs geht heute um Nerds und um eine These, die ich mit Beispielen aus der Popkultur unterstützen möchte. In der aktuellen brandeins ist ein Artikel über diesen Typus Mensch. Nun, eigentlich geht es um diesen Typus Mann: „Praktisch waren es immer Männer“, heißt es. Nerd-Sein wird mit dem Aspergers-Syndrom in Verbindung gebracht, das eine „Extremvariante männlicher Intelligenz“ sei. Frauen dagegen kommen in Thomas Vaseks „Die Rache der Nerds“ einmal als Sekretärinnen vor, für die frei konfigurierbare Linux-Rechner ein Alptraum sind. Vor allem aber sind sie das potentielle heterosexuelles Gegenüber des Nerds: „Und ja, es gibt Frauen, die Nerds ziemlich erotisch finden.“

Schon wieder kommen weibliche Nerds nicht vor. Schon wieder werden Frauen auf das Beiwerk reduziert, auf diejenigen, deren Körper und Liebe eine Prämie ist. *Gähn* Was ist mit Lisbeth Salander, was ist mit unseren Lieblingsstreberinnen aus den Missy Heften?

Antje Schrupp hat den brandeins Artikel aber anders gelesen als ich und mir mit ihrem Text Nerds (m/w). Eine Analyse und eine Frage zu Denken gegeben. Ihre These lautet:

Bei der Diskussion über die Nerds geht es um einen Konflikt zwischen Männern. Verhandelt wird daran ein sich veränderndes Männerbild. Der visionäre, polternde, machtbewusste, charismatische Macher-Mann, der seit einigen Jahrzehnten das männliche Role-Model war (nicht zufällig denke ich hier an Frank Schirrmacher) wittert Konkurrenz durch eine neue Sorte Mann, der er der Einfachheit halber den Namen „Nerd“ gibt.

Ich glaube, dass Antje Recht hat. Die dauerhaft krisengeschüttelte hegemoniale Männlichkeit arbeitet sich gerade an den Nerds ab. An diesen Leuten, die unsere digitalisierte Welt scheinbar noch am besten verstehen, die erfolgreiche Megakonzerne wie Google leiten und sich an anderen Statussymbole messen. Zu glauben, dass in dieser Welt das von Linus Torvalds geprägten Credo „Talk is cheap. Show me the code“ gilt, wäre naiv. Aber bei vielen Nerds kommen Quadrocopter mit selbstgelöteter Steuerungseinheit, T-Shirts mit Insiderwitzen oder eine gut sortierte Comicsammlung vermutlich besser an als der neuste Sportwagen oder die Mitgliedschaft im elitären Golfclub.

Als ich über den Nerd-Diskurs als Frage von Männlichkeiten nachgedacht habe, ist mir The Big Bang Theory eingefallen. Die Serie erfreut sich in meinem Freundeskreis großer Beliebtheit, obwohl sie den Bechdel-Test vermutlich nur um ein Haar besteht. Es geht um vier Kumpel, die als Physiker respektive Ingenieur an einer Uni arbeiten. Ihre Nachbarin Penny (Kaley Cuoco) arbeitet als Kellnerin und träumt von einer Hollywoodkarriere. Sie ist blond, kauft gerne Schuhe und ist mit ihrem Humor und common sense ein schöner Gegenpart zu den nerdigen Jungs. BBT ist voller Nerdhumor, der sehr sorgfältig recherchiert ist. Mir macht das extrem großen Spaß, obwohl im Zentrum des Geschehens genau die Frage steht, die auch der brandeins Artikel über Nerds aufmacht: Verlieben sich (solche) Frauen in Nerds?

Ich habe mich schon länger gefragt, warum eine Serie wie Big Bang Theory so erfolgreich ist und warum es sie gerade jetzt geht. Vielleicht geht es genau darum, eine andere Form von Männlichkeit zu repräsentieren und sie sich sehr sympathisch an hegemonialen Vorstellungen von Mann-sein abarbeiten zu lassen. Davon bleibt auch Penny nicht unberührt, denn sie ist oft tougher und weniger zimperlich als die Jungs.

Ein noch besseres Beispiel für diesen Konflikt zwischen Männlichkeiten in der Popkultur scheint mir aber der Musical-Film Dr. Horrible’s Sing Along Blog zu sein. Die dreiteilige Webserie von Regisseur Joss Whedon – bekannt für die feministischen weiblichen Charaktere in Buffy – erzählt die Geschichte von Billy aka Dr. Horrible (Neil Patrick Harris), einem aufstrebenden Superschurken, Captain Hammer (Nathan Fillion), seinem Erzfeind und (schon wieder!) Penny (Felicia Day), in die beide verliebt sind. Mit diesem klassischen Setting ironisiert die Serie die Frage, was ein richtiger Mann ist. Captain Hammer macht sich als extrem überzeichneter, narzistischer Superheld lächerlich. Er ist der hegemoniale Mann alter Schule. Dr. Horrible will mit seinen nerdigen Erfindungen wie dem Freeze-Ray die Weltherrschaft erkämpfen. Auch er ist fest davon überzeugt, dass er eingreifen und den Lauf der Welt beeinflussen muss. Wenn ich so darüber nachdenke… irgendwie erinnert er mich an die Piratenpartei.

Da werde ich doch wieder skeptisch, denn es stimmt vermutlich beides. Der Nerd-Diskurs ist ein Diskurs über Männlichkeiten. Aber es gibt auch Girl-Nerds und Girl-Geeks. Die nicht zu erwähnen stinkt, auch wenn es um ein alternatives Bild von Männlichkeit geht. Und wenn diese Männer „kaum noch Geschlechterklischees und patriarchales Überheblichkeitsgetue an den Tag legen“ (Antje Schrupp), während sie sich gegen die alten hegemonialen Männlichkeiten behauptet, ist das Ausblenden von Girl-Nerds um so symptomatischer.