In den beiden letzten Tagen des Wettbewerbs haben mich zwei Filme sehr  beeindruckt, die tatsächlich mit Laienschauspielern in den Hauptrollen besetzt sind und gewissermaßen auf leisen, unaufdringlichen Sohlen daherkommen, obwohl die realen Probleme, die sie behandeln, größer und entsetzlicher nicht sein könnten: Gemeint ist zunächst einmal „Just the wind“, ein minimalistischer A-day-in-a-life-Film des ungarischen Regisseurs Bence Fliegauf: Es ist der letzte Tag im Leben der Familie von Mari, einer tapferen Roma-Frau, die mit ihren Kindern in einem sehr ärmlichen Häuschen in einer Romasiedlung wohnt: Morgens steht sie in aller Frühe auf, füttert den hinfälligen Vater und macht sich auf den Weg zu ihren diversen Putzjobs. Tags zuvor wurde eine andere Romafamilie des Dorfes brutal hingemetzelt. (Der Film beruht auf wahren Tatsachen! – Der Vorspann weist ausdrücklich auf eine fremdenfeindliche Mordserie hin, die sich vor einigen Jahren in Ungarn ereignet hat.)

Die Kamera klebt förmlich an Maris gesenktem Kopf und später an den geduckten Leibern ihrer Kinder, die sich auf den Weg in ihren von permanenter Bedrohung und Angst vergifteten Tag machen.: Der Bus auf den Mari wartet, hält 20 Meter hinter der Bushaltestelle, die Tochter Anna wird eines Diebstahls bezichtigt, kaum hat sie den Klassenraum betreten, ein Polizist sagt zu einem anderen Polizisten „Das Blöde an Zigeunerkindern ist, dass sie heranwachsen!“, ein Auto fährt bedrohlich langsam neben dem Sohn her…Die Laiendarsteller in den Hauptrollen – Gyöngyi Lendvai, Lajos Sárkány und Katalin Toldi, wie auch alle anderen mitwirkenden Roma, spielen sich ohne großartige Dialoge dermaßen unaufdringlich in die Herzen der Zuschauer und dass ohne Geigen oder  grandiose Schneelandschaften – wie bei dem deutschen Wettbewerbsbeitrag „Gnade“ – im Hintergrund. Da könnte sich so mancher untalentierter „Bel Ami“ (und sein Regisseur) mal eine dicke Scheibe von abschneiden. Fliegauf hat keinen Film über Roma gedreht, sondern ermöglicht uns ganz tief mit ihnen zu fühlen! Und darin besteht die Hoffnung dieses kleinen Filmjuwels.

Ähnlich stark berührt hat mich dann auch „War Witch“ von Kim Nguyen – ein Film über eine Kindersoldatin in Zentralafrika. Vor diesem Film hatte  ich zugegeben auch ein bisschen Angst, wollte mich von der politisch korrekten Thematik, die diesem Film zugrunde liegt, nicht manipulieren lassen. Doch meine Zweifel erwiesen sich als völlig unbegründet: Das 14-jährige Mädchen Komona erzählt dem ungeborenen Kind in ihrem Bauch ihre Geschichte. Sie hat Angst vor dem Ungeborenen, da es Produkt der wiederholten Vergewaltigung durch den Rebellenführer „Great Tiger“ ist. Mit 12 Jahren wurde sie von den Rebellen gekidnappt und gezwungen ihre eigenen Eltern zu erschießen. Fortan bekommt sie eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt, die ihr die Eltern ersetzen soll…. Komona wird geschlagen, erpresst und mit Drogen vollgepumpt. Da sie als einzige einen Angriff der Regierungstruppen überlebt, wird sie zur Kriegshexe ernannt und Maskottchen des Rebellenführers. Rasch erfahren wir, worum es in diesem Guerillakrieg eigentlich wirklich geht, nämlich um Coltan, das für Handys und Labtops gebraucht wird. Aber inmitten dieses Grauens gibt es auch eine zarte, hoffnungsspendende und tatsächlich glaubwürdige Liebesgeschichte, zwischen dem Mädchen und einem anderen Kindersoldaten, einem Albino. „Star“ des Films ist die unglaubliche 15-jährige Kongolesin Rachel Mwanzan, die der kanadische Regisseur Kim Nguyen von der Straße gecastet hat. Als sie auf der Pressekonferenz ausführlich ihre Lebensgeschichte erzählt, begreife ich, wie sie aus dem Stand eine so schreckliche Rolle dermaßen glaubwürdig ausfüllen konnte: Als ihre Eltern sich trennten und weggingen, kam sie mit ihren fünf Geschwistern zur Oma, die aber arbeitslos ist und nur eine sehr kleine Hütte hat. Immer wieder maltätierte die Großmutter sie,  versuchte das junge Mädchen zu verscheuchen, da sie schon groß genug war, sich womöglich allein durchzuschlagen. Schließlich ging sie wirklich fort und lebte vom Verkauf von Nüssen bis sie letzlich für den Film engagiert wurde….Hält womöglich ein wenig mehr Wirklichkeit Einzug in die Kinos? Damit ein paar mehr Träume auch Wirklichkeit werden können?