Und keinen “Job”. Arbeiten ist das, was Billy gerne macht/e, um – surprise! – davon zu leben. Üblicherweise sucht mensch die Strick-, Steck- oder Akupunkturnadel (viele auch die rare Sicherheitsnadel), wird initiativ bzw. fündig, und bewirbt sich mit so genannten Bewerbungsunterlagen. Dazu können u.a. Zeugnisse gehören, die andere zuvor mehr oder weniger wohlwollend, mehr oder weniger eloquent, über einen abgelegt haben, in Zahlen (Bildungsnoten) oder Worten, d.h. in Arbeits-, Job-, oder Vor-der-bezahlten-Arbeit-(in vulgo: Praktikums)Zeugnissen. Total praktisch zum Bewerben und zum Arbeit finden ist, wenn der Vorname auf allen diesen eigenen Zeugnissen, Urkunden und Zertifikaten auch mit dem eigenen Vornamen übereinstimmt. Was aber, wenn dem noch nicht so ist?

Alle Hürden einer Transition – u.a. verbale Unverschämtheiten und Nicht-Kooperation (vermeintlicher) Fachkundiger, Kilometer von Anträgen, sprich: Extremstress – erfolgreich gemeistert, hält mensch es schließlich in den Tatzen: das Urteil des Amtsgerichtes, also so etwas wie die eigene zweite erste “Geburtsurkunde”.

Nachdem ich sie gefeiert hatte, wie sich das bei einer Geburt gehört, war’s dann auch schon flotti wieder so weit: Ich suchte Arbeit, holte also meine stattliche Zeugnissammlung hervor und machte mich daran, ehemalige Arbeitgeberinnen (Männer sind mitgemeint) zwecks Umschreibung zu kontaktieren. Sollte ja kein so komplexer Vorgang sein, einen Vornamen zu ändern. Zumal ich den Beweis für die Notwendigkeit solch‘ eines Vorgangs ja in den Händen hielt und bereits zigmal kopiert hatte, um ihn freigiebig zu verschenken.

Miss- und Unverständnisse

Erste Anlaufstelle: das Universitätsdekanat einer Millionenstadt. Kostprobe: “Ja, also nein, das geht nicht! Das machen wir ja auch nicht, wenn jemand heiratet.” Ne klar. Total verständlich, da 102% vergleichbar. “Mit Verlaub, sie müssen die Urkunde umschreiben, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet, und zwar mit identischem Siegel, Datum und Unterschrift der alten Urkunde.”

Zur allgemeinen Erinnerung (Personaler_innen aller Branchen, aufgepasst!), es gibt in diesem Land das so genannte Offenbarungsverbot, siehe auch hier und hier unter ‚Outing‘. Auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.)  ist unter „Musterbriefe/Argumentationshilfe gegenüber (früheren) Arbeitgebern wegen Änderungen von Zeugnissen“ zu lesen:

Eine […] rechtskräftige Entscheidung zur Namensänderung nach TSG [Transsexuellengesetz], wirkt zurück bis auf den Zeitpunkt der Geburt. Es besteht sogar, verankert im Gesetz TSG §5, ein ausdrückliches Offenbarungsverbot durch Behörden. Die früheren Namen müssen aus allen Akten so getilgt werden, dass sie nicht mehr ausforschbar sind. Entsprechend besteht dann auch ein gesetzlicher Anspruch, dass alle Zeugnisse und Bescheinigungen geändert werden.

Zurück zur Uniwesidäd: “Also das wird aber dauern. Dekan … ist auch gar nicht mehr im Amt.” Billy ins Netz, den ehemaligen Dekan herausgesucht, aktuelle Sprechzeiten inklusive. Nächster Versuch: “… hat aktuell in Raum … dann und dann Sprechzeiten. Wenn es das Umschreiben beschleunigt, gehe ich da gerne selbst mit den Unterlagen vorbei.” Dauer, bis ich die korrekt umgeschriebene Urkunde in den Händen hielt: mehrere Wochen.

Nächste Anlaufstellen waren, u.a., ein öffentlicher Stipendiengeber und ein internationales Großunternehmen (beide mit Sitz in Deutschland). Sinngemäße Erstantwort beider Stellen war diese:

Aber sie waren doch zu dem Zeitpunkt eine Frau! Eine Umschrift suggerierte, dass sie schon zum damaligen Zeitpunkt keine waren.

Von letztgenannter, sich beharrlich weigernder Stelle wurde mir u.a. schriftlich mitgeteilt, dass “die Rechtsabteilung” eingeschaltet worden sei. Der es offensichtlich an Imagination und Kompetenz, für die sie höchstwahrscheinlich bezahlt wurde und weiterhin wird, mangelte.

Tiiiief durchatmen, von Zehn auch Null rückwärts zählen. Dann setzte ich Schreiben Nummer 4 (5?) auf und teilte mit, dass ich, sollte das Arbeitszeugnis nicht umgehend umgeschrieben werden, dazu gezwungen sei, meinen Berater beim Arbeitsamt zu verständigen und bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes anzurufen. Da ging’s dann plötzlich sehr flott.

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.V.) stellt übrigens einen so genannten „Ergänzungsweis“ aus, wenn alle Voraussetzung dafür erfüllt sind, Informationen dazu hier. Ich zumindest habe im Falle der Zeugnisse etc. leider nicht die Erfahrung gemacht, dass dieser Ausweis für Umschreibungen ausreichend war. Trotzdem finde ich’s super, dass es ihn gibt und ich habe mich im Alltag damit direkt entspannter gefühlt.

Der erwähnte öffentliche Stipendiengeber weigerte sich zwar anfangs ebenfalls, ist aber bis heute die einzige Stelle, die sich für die dadurch entstandene Verzögerung bei mir entschuldigte und mich darüber informierte, dass nun intern Vorkehrungen existierten, um in solchen Fällen in Zukunft schneller umzuschreiben. Da sag‘ ich doch: Eins plus mit Doppelsternchen!

Diskriminierung von trans* im Arbeitsleben

Auf den Seiten der Antidiskriminierungsstelle gibt es einen interessanten Report unter dem Titel „Benachteiligung von Trans*Personen, insbesondere im Arbeitsleben“ zum Herunterladen (einfach im Freitext „transgender“ eingeben und auf Senden klicken). Ich muss allerdings an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass ich nach der Durchsicht auf mein Frühstück verzichtet habe (genau, mir war schon schlecht). Und alle weiteren Stellen, nicht nur die, die sich weigerten oder zögerten, meine Zeugnisse umzuschreiben, mit diesem Report als PDF oder Hinweis und einer kostenlosen juristischen Beratung in Sachen Offenbarungsverbot beglückt habe.

Dass nach mehreren Monaten immer noch nicht, und das bis heute, alle meine Zeugnisse, Urkunden und Zertifikate korrekt umgeschrieben waren bzw. sind, ist inakzeptabel und erhöht meine Chancen auf Arbeit nicht.

Nichtsdestotrotz habe ich die allerwichtigsten Dokumente jetzt zusammen und bewerbe mich optimistisch. An einem besonders hungrigen und dunklen Tag habe ich eine Liste erstellt, die ich immer mal wieder ergänze, Titel:

Kompetenzen, u.a. durch Transitionserfahrung/en ausgebaute

  • Organisationstalent
  • Gender-Kompetenz
  • Kreativität
  • Konflikt(lösungs)fähigkeit
  • Adaptionsfähigkeit
  • Belastbarkeit
  • Lernfähigkeit
  • Durchsetzungsvermögen
  • Flexibilität
  • Geschick im Umgang mit Behörden und Ämtern

Und welche_r kompetente Arbeitgeber_in schätzt diese Kompetenzen nicht?

P.S. Gespannt warte ich auf die Auswertung des „European LGBT Survey“ und hoffe auf frühstückstaugliche Ergebnisse.