Prostitution sei immer Missbrauch, argumentieren KritikerInnen. Aber Prostituierte per se zu Opfern zu erklären, stigmatisiert jene, denen geholfen werden soll.

Von Chris Köver, Stefanie Lohaus, Margarita Tsomou, Katrin Gottschalk

(Dieser Text ist eine Reaktion auf den Kommentar von Volker Zastrow in der FAS vom 17.11.2013 sowie auf den Appell gegen Prostitution der EMMA.)

„Firefly“ hieß eine amerikanische Fernsehserie über ein zerbeultes Raumschiff, das sich durch den weiten Weltraum bewegt, staatenlos, im Widerstand gegen eine fast allmächtige Allianz, die nach einem Bürgerkrieg das Universum kontrolliert. Die Serie von Joss Whedon spielt 500 Jahre in der Zukunft und wurde gefeiert, vor allem auch wegen ihres facettenreichen Frauenbildes, ihres Bildes aller Geschlechter im Grunde. Die Frauen in „Firefly“ sind Schiffsmechanikerinnen, Soldatinnen und Sexarbeiterinnen. Fast alles, was ihnen geschieht, zeugt von Ansehen. Man sieht in dieser Serie fast nur Frauen, die selbstbestimmt, kompetent und jenseits von stereotypen Geschlechterrollen handeln. Entsprechend wird auch über sie, ihre Kompetenzen, ihren Intellekt gesprochen. Sie werden respektiert – und dieser Respekt ist die Voraussetzung für einen gleichberechtigten Umgang miteinander. Wer einer Person auf Augenhöhe begegnen will, muss sie anerkennen und achten.

„Firefly“ ist nur eine Fernsehserie, das Raumschiff Serenity gab es nie wirklich. Aber so wie auf der Serenity Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihres Begehrens oder ihres Geschlechts ganz verschiedene Rollen annehmen können und für diese geachtet werden, könnte das auch andernorts passieren. Weil es an einer Gesellschaft selbst ist, sich die Regeln zu schaffen, nach denen sie ihr Zusammenleben gestalten will.

Ein erster Schritt in diese Richtung wurde in Deutschland im Jahr 2002 gemacht, als die rot-grüne Koalition ein Gesetz schuf, um die Arbeit von Prostituierten aufzuwerten, zu einer anerkannten Dienstleistung, für die sie sich anmelden, krankenversichern, Steuern zahlen können. Diese Reform hat sich leider als unzureichend erwiesen, weil das Stigma, mit dem der Handel mit Sex besetzt ist, nach wie vor stark ist. Viele Frauen, sie sich für Sexarbeit entscheiden, melden sich lieber als Masseurinnen oder Performance-Künstlerinnen an. Eine Familie, die sich nicht dafür schämen würde, dass die eigene Tochter oder der Sohn Sex verkauft, ist schwer vorstellbar. Vor einem Szenario wie in „Firefly“, eine Gilde angesehener, selbstbestimmter sexueller DienstleisterInnen, sind wir sehr weit entfernt.

Nun hat die Emma einen Appell gegen Prostitution gestartet, die für sie gleichbedeutend ist mit Menschenhandel, eine moderne Form der Sklaverei. Die Verschleppung von Menschen, Mädchen, Frauen zur sexuellen Ausbeutung ist furchtbar, und wir müssen alles dafür tun, um sie zu verhindern. Aber Prostitution mit Menschenhandel gleichzusetzen, wie die Emma dies tut, und so zu tun als sei der Tausch von Sex gegen Geld per se eine Misshandlung, ein Verstoß gegen die Menschenwürde von Frauen, ist der falsche Weg. Denn er stigmatisiert jene noch stärker, die ohnehin schon stigmatisiert sind. Er erklärt alle Frauen, die sich für die Sexarbeit entscheiden, zu Opfern. Dass sie sich noch so artikuliert und selbstbestimmt zu Wort melden und widersprechen, wird ausgeblendet, diese Frauen werden als die privilegierten Ausnahmen für nichtig erklärt. Auch die Behauptung, das neue Prostitutionsgesetz habe Deutschland zu einer „Drehscheibe“ für Menschenhandel gemacht und das Vorgehen dagegen erschwert, ist schwer zu belegen. Fachleute, die Gegenteiliges behaupten, werden in der Debatte nicht gerne gehört – sie stören mit ihrem Hinweis auf fehlende Beweise die Argumentation.

Um all das geht es in dieser Debatte aber ohnehin nicht – oder nur oberflächlich. Sondern um die Frage, ob Sex eine Ware sein kann, eine Dienstleistung wie andere. Die KritikerInnen sind – mal offen, mal verhohlen – der Ansicht: nein. Weil es per se gegen die Menschenwürde verstoße. Weil es Frauen immer entwerte. Und weil wir als Gesellschaft dafür zu sorgen haben, dass Menschen ihre Menschenwürde nicht aufgeben dürften – auch nicht freiwillig. Nur seit wann regelt die Menschenwürde unser Verhältnis zur Sexualität? Wer legt hier für wen fest, wo ihre vermeintlichen Grenzen verlaufen?

Und warum ausgerechnet entlang dieser Linie? Wenn wir uns um die Ausbeutung von Frauen sorgen: Warum verbieten wir nicht die Ausbeutung von Frauen im Niedriglohnsektor? Illegalisieren wir nicht Fernsehformate oder Medien, die Frauen erniedrigen? Warum gestatten wir es, dass öffentlich für Diäten, Schönheitsoperationen und andere Formen geworben wird, in denen Frauen Gewalt gegen ihre Körper ausüben? Oder verbieten es Frauen nicht, unbezahlt ihre alten Angehörigen und Kinder zu pflegen oder den Großteil der Hausarbeit zu verrichten und noch zusätzlich Vollzeit zu arbeiten?

Und wenn wir schon dabei sind: Warum sorgen wir nicht für Gesetze, die MigrantInnen besser schützen, ihnen mehr Recht und damit Optionen einräumen? Wir sprechen von Prostitution als Sonderfall statt allgemein über die Ungerechtigkeiten in einem globalen Arbeitsmarkt, der viele Menschen zwingt, Tätigkeiten in anderen Ländern aufzunehmen, die so unangenehm und gefährlich sind, dass niemand sonst sie ausüben will. Das tun wir, weil immer noch davon ausgegangen wird, dass Sex etwas Heiligeres sei, etwas, das zu verkaufen Frauen auf andere Weise „beschädigt“ als andere Formen von Ausbeutung und sie immer zum Opfer macht.

Niemand muss argumentieren, dass Sexarbeit ein begehrenswerter Beruf sei. Wie oft oder ob überhaupt Frauen und Männer in einer Situation, in der ihnen genug andere zureichende Optionen zur Verfügung stehen, sich für diese Tätigkeit entscheiden würden, das bleibt erst noch zu sehen. Denn dafür müssten wir erst eine Gesellschaftsordnung schaffen, die Menschen nicht aufgrund von Gender, Hautfarbe oder Nationalität marginalisiert. In einer Gesellschaft, die sich selbst respektiert, sollte das eigentlich Standard sein. So lange wir nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind, wäre es vielleicht besser, jenen, die weniger privilegiert sind, als wir selbst zu überlassen, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen.

Popreferenz-Nachtrag:

Warum wurde „Firefly“ damals als feministische Serie gefeiert? Schließlich zeigte Joss Whedon Frauen darin nicht nur als Wissenschaftlerinnen oder Waffenspezialistinnen, sondern auch als Prostituierte. Vielleicht lag es daran, dass die „Companions“, wie SexarbeiterInnen in „Firefly“ heißen, keine unterdrückten und misshandelten Frauen waren. Sondern angesehene hochausgebildete Expertinnen, die unter anderem auch in Schwertkampf, Kalligraphie und Psychologie glänzen mussten. Die die Regeln ihrer Arbeit selbst bestimmten – etwa, welche Klienten sie annehmen wollten. Prostitution, wie sie auf der vormaligen Erde existierte, war längst abgeschafft, ersetzt von der staatlich anerkannten „Companion’s Guild“, die ihre eigenen Regeln schuf. So durfte kein Haus je von einem Mann geleitet werden, die Ausbildung in den einzelnen Häusern war umfassend geregelt und beinhaltete Tanz und musische Bildung ebenso wie akademische Fächer. Frauen wie Männer wurden hier ausgebildet, Frauen wie Männer bedienten KlientInnen beiden Geschlechts. Wer ein Mitglied der Gilde je respektlos behandelte, wurde für immer auf eine schwarze Liste gesetzt und könnte nie wieder die Dienste einer Companion in Anspruch nehmen. In Begleitung einer solchen Frau bei einer Party zu erscheinen, war nicht mit Stigma besetzt. Warum auch, die Companions galten als Elite ihrer Gesellschaft, in den Kreis ihrer Gunst vorgelassen zu werden, steigerte das Ansehen. Sex zu verkaufen verstößt immer gegen die Menschenwürde von Frauen, sagen KritikerInnen. Prostituierte sind immer Opfer. Aber Sexarbeit und Menschenhandel gleichzusetzen, stigmatisiert nur diejenigen weiter, denen geholfen werden soll.