Ein Gastbeitrag von Christin Bolte

We Will Fail, die im Rahmen der CTM Live im Berghain auftrat, spricht über ihren Entwicklungsprozess, die Wichtgkeit des Lernens und eines flexiblen live Set-Ups:
„Ende 2013 habe ich nach einer langen Pause auf einer Party irgendwo in Warschau gespielt. Mir war das dort auf einmal ganz klar, dass es genau das ist, was ich machen will. Meine Skills hatte ich schon sechs, sieben Jahre davor gesammelt und jetzt vor drei Jahren etwas mehr reingehauen. Ich war mal in einer Performancegruppe, dort habe ich das Selbstvertrauen erlernt vor einem Publikum zu stehen, das war eine gute Schule. Meine Arbeit ist eine Art Forschung, viel denken und hören. Mit meiner Musik möchte ich eine Art abstrakte Geschichte erzählen, für die ich meistens einfach nur versuche, die perfekten Worte zu finden.

We Will Fail (Foto: Promo)

Ich benutze Software und Digitalprozessoren und werde bald an einem Programmierworkshop teilnehmen, weil ich herausfinden möchte, inwiefern mir das beim Komponieren von Sounds hilft. Um Hi-Quality-Sound aufzunehmen benutze ich den Digitalrekorder Zoom HD2. Als Live Set-Up den Computer mit Controller. Der Controller ist vollends kompatibel mit der Software (Ableton Live mit Push), das hilft, wenn du während des Live-Sets etwas schnell und präzise ändern willst.

Ich unterrichte nicht professionell, aber ich gebe mein Wissen gern weiter. Ich gebe Freunden Ableton Live-Stunden. Im April werde ich als Mentorin an einem Workshop teilnehmen und jungen Menschen das Potential des Field-Recordings als Basis für Kompositionen zeigen.

Ich empfehle der Nachwuchsproduzentin, ihrer Neugier zu folgen. Erst vor einer Woche habe ich mit einer Freundin gesprochen, sie sagte, sie würde sich schämen, etwas Neues zu lernen, weil dann müsste sie wen fragen, sie zu unterrichten, und die Person würde merken, dass sie nichts weiß. Come on! Ist doch klar, um etwas zu wissen, musst du es doch zuerst lernen! Leg dir die Steine doch nicht selbst in den Weg!“

Klara Lewis (Foto: Hampus Högberg)

Klara Lewis, die ihren siebten Live-Gig überhaupt im Berghain hatte, zieht die künstlerische Idee der technologisch, hoch entwickelten Umsetzung vor:
„Meinen ersten Track habe ich mit 14 Jahren gemacht, als ich an einem Video für ein Kunstprojekt arbeitete, ich wollte meinen eigenen Soundtrack machen, der auf den Sounds meiner Clips basiert. Als ich 18 war, veröffentlichte ich meine erste EP selbst auf Bandcamp, mit der gleichen Technik, die ich immer noch heute nutze. Ein Jahr später stellte ich mein Debutalbum fertig und sendete es an das Label Editions Mego. Ich entwickle mein Live-Set ständig weiter, im Berghain das war ja erst meine siebte Live-Show überhaupt.

Meine Arbeit basiert auf Field-Recordings, die ich editiere und stark manipuliere, um aus ihnen Rhythmen und Melodien zu bauen. Ich sample auch und benutze synthetische Klangerzeugung. Mein Fokus liegt auf dem Ton und der Atmosphäre, ich versuche ganz neue Welten mit meinen Sounds zu bauen.

Ich würde gerne Ableton Live eine echte Chance geben, bisher arbeite ich ausschließlich mit Logic Pro. Ich freue mich, mehr über das Produzieren zu lernen, bisher habe ich mich auf das Komponieren konzentriert. Ich stehe nicht so sehr auf Technologie, ich denke, ich habe eher eine Art Lo-Fi Zugang. Ich denke, der Fokus auf Technologie kann dem qualitative Ergebnis der eigentlichen Arbeit im Weg stehen. Musik ist nicht besser, weil du hochentwickelte Technologie benutzt hast.

Meine Empfehlung an den Nachwuchs ist, es einfach zu versuchen! Du kannst sehr schnell und einfach mit Musicsoftware loslegen und dich leicht selbst Stück für Stück vorarbeiten. Auch ist es wichtig, sich selbst wirklich zu glauben, dass du es verdienst, dir den Raum zu nehmen. Ich denk immer, wenn an all diese Typen das so machen, warum ich nicht auch?

Hab’ keine Angst deine Komfortzone zu verlassen, ich habe mein Album an meine erste Wahl für ein Label geschickt und ich dachte mir, „was ist das schlimmste, was mir passieren kann?“, die Antwort ist einfach, sie könnten es ablehnen aber sie sagten ja, und das ist, wie meine Karriere begonnen hat.“

Gazelle Twin (Foto: Tash Tung)

Und auch für Gazelle Twin überwiegt der hervorbringende, von Technik unabhängige Anteil in ihrer künstlerischen Arbeit, die für sie in der körperlichen Live-Performance einen Höhepunkt findet:
„Es hat mich 33 Jahre gebraucht, um das zu tun, was ich heute mache. Mein gesamtes Leben bis heute – vorherige Leben und Traumzeit natürlich nicht mitgezählt. Ich habe Flöte und Klavier gelernt als ich klein war, aber meine Stimme war immer da, und sie war immer das natürlichste und verlässlichste musikalische Werkzeug. Ich benutze Technologie, um mich selbst und meine Stimme zu verstärken und sie direkter zu machen. Musik ist ein Kommunikationsinstrument. Etwa wie eine ganz eigene Sprache, die unendlich eigenartig ist. Manchmal weißt du gar nicht, was du sagen willst, bist du’s auf einmal schon gesagt hast.

Live benutze ich das Boss VE20 Vocal Performer Pedal und mein Live-Performance Partner den Roland SP-404SX Sampler. Das ist es. Es ist einfach, verlässlich und Low-Tech. Genau, wie ich es für Unflesh wollte. Die körperliche Performance selbst ist hier der Fokus, nicht die Gerätschaften. Mein künstlerischer Ansatz ist die brutale Ehrlichkeit, an die Ränder der Komfortzone gehen. Verspieltheit ist auch sehr wichtig. Ich bin keine todernste Person und mag es auch herumzualbern, dann funktioniere ich am besten.

Ich wäre eine schlechte Lehrerin, weil ich nicht sehr gut im Dinge erklären bin. Aber ich freue mich immer, mein Wissen und meine Ideen weiterzugeben. Keine Geheimnisse. Sei beharrlich und halte durch, koste es, was es wolle!“

Maria Witek (Foto: Aarhus University)

Die Kognitionswissenschaftlerin Maria A.G. Witek betont, wie wichtig die Balance von Neugier und Fokussierung bei der Arbeit ist:
„Ich komme aus der Musikwissenschaft und habe mich nach und nach immer mehr für die kognitionspsychologischen Aspekte von Musik interessiert, und damit einfach eine Forschungslücke entdeckt! Wir wissen noch sehr wenig über Groove und Tanzmusik. Ich habe mich oft gefragt „what is it about music that makes me want to move, and why does it feel so good?“ Das hat mich inspiriert, eine akademische Karriere aus dieser Perspektive zu verfolgen. Mein Wissen und meine Fähigkeiten habe ich durch meinen Master in Musikpsychologie erhalten, von dem aus ich in den PhD für Musik, Psychologie und Neurowissenschaften gerutscht bin.

Ich habe mich immer gefreut, meine Forschung zu präsentieren und bin da mit der Zeit viel viel selbstsicherer geworden. Nach einer Weile zeigst du immer wieder das gleiche, also kommt die Selbstsicherheit einfach mit Wiederholung und der Übung. Es hilft, na klar, wenn du deine eigene Forschung faszinierend findest!

Als Kognitionswissenschaftlerin, benutze ich eine Vielzahl von verschiedenen Technologien. Ein paar Programmierskills sind nützlich bei dieser Arbeit, damit du Scripts schreiben, und deine Daten effizienter auswerten kannst. Um Musikstimuli zu erzeugen, habe ich Ableton Live, Garageband, Cubase, Logic und Audacity benutzt. Ich finde es interessant, dass Musiktechnologie nicht mehr nur ein Mittel zum Musik machen ist, sondern Teil der ästhetischen Praxis geworden ist.

Es ist wichtig, das zu studieren, was du interessant und inspirierend findest, aber auch den Fokus zu behalten und zu versuchen, deine Arbeit systematisch anzugehen. Es ist leicht, sich in den ganzen unbeantworteten Fragen zu verzetteln und sie allesamt auf einmal beantworten zu wollen. Aber du musst eine Sache, einen Aspekt, eine Frage zur Zeit angehen und kannst vielleicht später
mehr Fragen hinzufügen, um deine These zu entwickeln.

Viele Frauen in der Wissenschaft machen Erfahrungen mit Sexismus. Es ist ein Feld, wo es in den höheren Positionen, fast nur Männer gibt und diese Kultur kann daher sehr männlich dominiert sein. Viele dieser Dinge müssen sich ändern damit junge Leute die gleichen Chancen in akademischen Berufen haben, egal was für ein Geschlecht sie haben. Wenn dich etwas leidenschaftlich interessiert, dann bist du fast da! Nutze deine Neugier und Passion als Motivation für dein Lernen. Wissenshunger ist nichts was einem peinlich sein sollte. Je mehr ich lerne, desto öfter denke ich, das, was ich nicht weiß, wird immer mehr.“

Annie Goh bei Quin Kennedys Installation „Black bar booth“ (Foto: Annie Goh)

Für die Soundkünstlerin und CTM Mit-Kuratorin Annie Goh ist das Zusammenspiel von Kunst und Forschung treibende Motivation und sie betont, wie wichtig ist, sich Vorbilder und Alliierte zu suchen, um sich in männerdominierten Feldern durchzusetzen:
Dieses Jahr war ich Co-Kuratorin des CTM des Diskursprogrammes. Es gab ein paar Förderprobleme und das finale Programm war ein langer Prozess an Diskussionen, Recherchen und Papers lesen. Mit Leuten reden und sich Rat von Leuten einholen, die besser über ein bestimmtes Feld bescheid wissen. Ich bin riesig interessiert daran, Sound nicht nur als Künstlerin, sondern auch auf einem theoretischen, diskursiven Level zu entdecken. Es passieren wirklich interessante Dinge in der akademischen Welt und ich finde, das diese nicht nur von einer kleinen Elite gehütet werden sollten – CTMs hybrides Programm ist eine gute Plattform für den Ideenaustausch.

Offensichtlich gibt es zu wenig Frauen in Technik oder Sound und Musik. Ich habe mich auch nicht annähernd eingeladen gefühlt, bis ich viel älter war. Mein Ansatz ist verspielt und experimentell und ich versuche Dinge zu verstehen, damit ich sie in etwas umwandeln kann, was Bedeutung für mich hat.

Ich habe mich selbst gequält, in SuperCollider Sound programmieren zu lernen und habe es für mein Projekt Banality of Affect benutzt. Ich mag den Sound, aber es war sehr schwer zu lernen und hat sehr lange gedauert und ich bin immer noch nicht wirklich gut darin. Ich mag daran, dass es Freeware ist und Opensource und, dass du Kontrolle über alle Parameter hast und nicht gezwungen wirst, Musik auf eine bestimmte Weise zu machen.

Für mich ist es wichtig, immer politische und soziale Dimensionen zu thematisieren – z.B. Gender, Herkunft, Sexualität und mich eigentlich immer zu fragen, „was würde Bell Hooks dazu sagen?“

Ich liebe es, zu unterrichten. Es macht wirklich Spaß und belohnt einen sehr. Insbesondere so viel wie möglich über Gender zu reden. Ansonsten sehe ich zu lehren als eine Möglichkeit, Diskussionen und Reflektionen anzuregen, eher als einfach top-down Wissen weiterzugeben.

Ich möchte Frauen ermutigen, ihren Interessen an Technologie, Sound und Musik nachzugehen. Und nicht vor der Benutzung von Technologie zurückzuschrecken, sich einschüchtern zu lassen oder sich doof gegenüber solchen zu fühlen, die besser sind oder etwas länger machen. Findet Vorbilder und Alliierte! Es ist für Frauen in Männer dominierten Feldern immer schwerer und nicht auf-leicht voreingestellt. Schreck‘ nicht zurück zu fragen und zu lernen, auch wenn Dinge oldschool und ungemütlich gegendert sind, geh’ darüber hinweg – lerne, zu wissen, was du brauchst und dreh’ den Spieß um und mach etwas damit. Für das Lernen musst du dich nicht schämen.“