Von Barbara Vorsamer

Frauen verdienen 22 Prozent weniger als Männer, sagt das Statistische Bundesamt. Nein, sie nehmen nicht einmal die Hälfte ein, berechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hingegen bereinigt den sogenannten Gender Pay Gap, bis er nur noch zwei Prozent beträgt. Wer rechnet hier falsch? Spoiler: Alle rechnen richtig. Und alle Zahlen sind handfeste Beweise dafür, dass Frauen finanziell und strukturell benachteiligt sind.

Illustration: Riikka Laakso

Bei den Ursachen für die Unterschiede sind sich alle Institute völlig einig: Frauen arbeiten häufiger Teilzeit und/oder setzen einige Zeit aus. Frauen arbeiten in schlechter bezahlten Berufen und Branchen. Frauen arbeiten seltener in Führungs­positionen. Frauen verhandeln schlechter. Und überhaupt: Wenn Frauen einfach ein bisschen mehr wie Männer wären, würden sie auch das Gleiche verdienen – so ist das doch, oder?

Jedes Jahr wird zum Equal Pay Day der „unbereinigte Gender Pay Gap“ des Statistischen Bundesamtes angeprangert. Zuletzt lag er bei 22 Prozent. Das bedeutet, dass der Brutto-Stundenverdienst von Männern – quer über alle Branchen und Hierarchiestufen – im Jahr 2013 im Schnitt bei 19,84 Euro die Stunde lag, während sich Frauen mit 15,56 Euro zufriedengeben mussten.

 

Der „bereinigte“ Gender Pay Gap: sieben Prozent
Um den Vorwurf des schiefen Vergleichs zu entkräften, berechnet das Statistische Bundesamt auch alle paar Jahre den „bereinigten Gender Pay Gap“, das letzte Mal 2010. Dabei werden Frauen und Männer nicht mehr insgesamt verglichen, sondern nur noch diejenigen mit vergleichbarer Qualifikation, Tätigkeit und Branche. Sieben Prozent Gehaltsunterschied bleiben dabei übrig.

Die KollegInnen vom IW Köln machen das im Prinzip genauso, nutzen aber eine andere Daten­basis und bereinigen noch mehr, zum Beispiel, indem sie auch Teilzeitphasen und berufliche Auszeiten in die Berechnungen einfließen lassen. Eine Auszeit von mehr als 18 Monaten wirkt sich demnach mit einer Lohndifferenz von elf Prozent aus. Bei Frauen, die kürzer oder gar nicht pausieren, verengt sich die Gehaltslücke auf weniger als zwei Prozent.

Bisher ging es um Stundenlöhne. Das DIW hat sich alternativ dazu die Einkommensverteilung angeschaut, also neben dem Bruttojahresgehalt auch Einnahmen aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit, Kapital-, Vermietungs- und Gewinneinkünften miteinbezogen. Hier sind nun auch die oft sehr hohen Einkommen von FirmeninhaberInnen, Immobilien­besitzerInnen, AktienmogulInnen mit drin, zu denen – Überraschung! – nicht besonders viele Frauen gehören.

Männer haben mehr Vermögen
Schon ab einem Jahreseinkommen von mehr als 25.000 Euro stellen Männer die Mehrheit, nur 20 Prozent der Einnahmen von mehr als 75.000 Euro gehen auf das Konto einer Frau. Als durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen kommen bei Frauen gerade einmal 49 Prozent des Einkommens der Männer an. 72 Prozent aller Frauen sind derzeit in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, und nur diese sind in den ganzen Berechnungen überhaupt mit drin. Okay, manche davon in Teilzeit, was, wenn man Jahreseinkommen vergleicht, einen Teil der Differenz sinnvoll erklärt. Hausfrauen und Minijobberinnen verfälschen die Statistik demnach aber nicht. Klar bekommt eine, die 60 Prozent der Stunden arbeitet, nur 60 Prozent des Gehalts.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Das Argument Teilzeit führen auch die StatistikerInnen ins Feld, die Stundenlöhne vergleichen. Die 60-Prozent-Angestellte bekommt brutto jedoch nicht 60 Prozent vom Gehalt ihres männlichen Vollzeitkollegen, sondern meistens deutlich weniger.

Alles eine Teilzeitstrafe?
Der Gender Pay Gap sei in Wirklichkeit eine Teilzeitstrafe und habe nichts mit dem Geschlecht zu tun, behauptet die amerikanische Wissenschaftlerin Claudia Goldin. Sie hat Gehälter in verschiedenen Branchen verglichen und herausgefunden, dass der Gap umso größer ist, je mehr eine „The winner takes it all“-Kultur im Berufsumfeld herrscht, Beschäftigte sich also kaum gegenseitig vertreten. Im Gesundheitswesen ist ihr zufolge die Gehaltslücke am geringsten, weil hier Übergaben Standard sind. Das macht es Teilzeitbeschäftigten leichter, genauso viel Verantwortung zu übernehmen wie KollegInnen in Vollzeit.

Es gibt demnach keine einzelne Maßnahme, die das Problem löst. Die kürzlich eingeführte Frauenquote setzt zum Beispiel am Punkt „Frauen in Führungspositionen“ an – trotz aller berechtigter Kritik, sie helfe nur privilegierten Frauen, ist sie ein erster wichtiger Schritt. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) will in diesem Jahr das Entgeltgleichheitsgesetz durchbringen, das Unternehmen ab 500 MitarbeiterInnen dazu verpflichtet, offenzulegen, ob und warum Frauen weniger als Männer verdienen.

Frauen wollen nicht nur „dazu verdienen“
Es braucht aber auch einen Bewusstseinswandel: zum einen, dass es in heterosexuellen Beziehungen nicht zwingend die Frau sein muss, die für Kind oder Pflege beruflich pausiert. Zum anderen müssen Unternehmen lernen, auch Teilzeitbeschäftigte für voll zu nehmen. Die wenigsten Frauen wollen dauerhaft nur hinzuverdienen, gleichzeitig wollen fast alle Mütter (und auch sehr viele Väter) beruflich kürzertreten, wenn die Kinder klein sind.

Teilzeit darf keine Falle sein, aus der man nicht mehr herauskommt, eine zeitweise Unterbrechung der Berufstätigkeit kein Stigma, das man nie wieder loswird. Hier ist Ministerin Schwesig mit ihrem Vorschlag einer staatlich geförderten 32-Stunden-Woche auf dem richtigen Weg.

Neues Verständnis von Arbeit
Auch die ungleiche Bezahlung von typischen „Männer-“ und „Frauenberufen“ muss sich ändern. Denn mit welcher Begründung sind Fachinformatiker oder Mechatroniker so viel besser bezahlt als Hebammen oder Erzieherinnen? Ist ihre Arbeit so viel komplexer und verantwortungsvoller?

Unsere Gesellschaft scheint zu erwarten, dass Pflege und Erziehung erstens von Frauen und zweitens, wenn schon nicht umsonst, so doch zumindest für einen geringen Lohn geleistet werden. Beides muss sich ändern. Care-Arbeit muss uns mehr wert sein und für beide Geschlechter attraktiv gemacht werden.