Von Marinela Potor

Lia Samantha Lozano Rendón ist eine vielbeschäftigte Frau. Erst nach drei Versuchen erwische ich sie am Telefon. „Entschuldige bitte,“ sagt sie, „ich habe derzeit sehr viel in meiner Boutique zu tun und dann noch die Kleine.“ Gemeint ist ihre dreijährige Tochter. Was sie erst einmal nicht erwähnt: dass sie neben der eigenen Modeboutique und der Familie noch ganz nebenbei eine neue CD mit ihrer international erfolgreichen Band Vodoo SoulJah’s aufnimmt. „Wir wurden 2016 zum South by Southwest Festival eingeladen,“ erzählt sie ganz bescheiden – als ob es nicht eines der größten Musikfestivals der Welt sei. Und schließlich entwirft sie auch noch unter ihrem eigenen Namen Modedesigns, mit denen sie 2014 zu Kolumbiens bester Nachwuchsdesignerin gekürt wurde. Seitdem kann sich Lia Samantha Lozano Rendón vor Aufträgen kaum noch retten.

© Juan Moore
© Juan Moore

Gerade hat Lozano Rendón die Bühnen-Outfits für die Tour von Carlos Vives entworfen, einem der berühmtesten Sänger des Landes und sie designt die Mode für den nationalen Schönheitswettbewerb, während sie auch noch an ihrer eigenen Kollektion arbeitet. Diese wird sie 2016 unter anderem auf der New York Fashion Week, der L.A. Fashion Week und der Pariser Modenschau präsentieren. Sie lebt derzeit zweifellos einen Traum, nicht nur sprichwörtlich. Denn viel Schlaf bekommt sie im Moment nicht, gesteht sie: „Der Geist ist immer sehr wach, aber der Körper, ja, der leidet derzeit ein bisschen. Ich schlafe im Moment hauptsächlich im Flugzeug.“

Harte Arbeit scheint Lozano Rendón nichts auszumachen. Das fing schon in ihrer Jugend an. Während andere Kinder Popstars anhimmelten und von Jungs schwärmten, startete sie gemeinsam mit ihren Brüdern als 11-Jährige eine Hip Hop Band. Da die Hip-Hop-Mode aber aus den USA importiert wurde und für die Geschwister unbezahlbar war, gründete die dann 16-Jährige kurzerhand Kolumbiens erstes Hip Hop Modelabel, Familia Ayara.

Die künstlerische Inspiration komme von ihrem familiären Umfeld, erzählt die heute 34-Jährige. Ihre Großmutter zog aus der ärmlichen Küstenregion Chocó in die Hauptstadt Bogotá, brachte aber die reiche afro-kolumbianische Tradition der Region mit in die neue Heimat. „In unserem Haus wurde ständig gesungen und getanzt und mein Vater ist Schneider – ich glaube von diesem Umfeld habe ich meine künstlerische Seite.“

Doch es war nicht nur die Region Chocó, die die Designerin stets inspirierte, sondern auch Afrika. Eine Konsequenz der vergangenen Versklavung und Kolonialisierung afrikanischer und lateinamerikanischer Länder durch europäische Herrschaftsmächte ist eben auch, dass Personen wie Lozano Rendón die konkrete kulturelle und geografische Abstammung ihrer Vorfahren nicht bekannt ist – außer eben, dass sie irgendwo auf diesem Kontinent liegen muss. „Ich konnte mich, als ich klein war, mit sehr wenigen Kolumbianern identifizieren. Alle Menschen, die ich in den Medien sah, waren weiß, keiner sah so aus wie ich. Und so hab ich mich auf die Suche nach meinen Wurzeln gemacht.“

© Juan Moore
© Juan Moore

Viele meinen, Lozano Rendóns Mode sei sehr „afrikanisch“. Doch vielleicht wäre es besser zu sagen, dass ihre Mode einfach ist wie sie selbst: kontrastreich und farbenfroh. Dementsprechend entwirft Lozano Rendón ihre Designs nicht für eine bestimmte Zielgruppe, sondern schlicht für alle, die sie tragen möchten: „Ich will mit meiner Mode alle integrieren und niemanden ausschließen.“ Eine Einstellung, die ihr selbst nicht gleichermaßen entgegen gebracht wird.

Wie viele andere Afro-Kolumbianer*innen im Land , erlebt auch die Modedesignerin täglich offenen oder unterschwelligen Rassismus. Das beginnt bei einem sehr erfolgreichen Comedian, der sich jahrelang mit Blackface über Afro-Kolumbianer*innen lustig machen durfte, geht über Schulregelungen, in denen Afro-Kolumbianerinnen ihre Haare nicht mit traditionellen Perlen schmücken dürfen, bis hin zur politischen Unterrepräsentation – Kolumbien hat gerade einmal zwei afro-kolombianische Senatoren.

Wie viele Afrokolumbianer*innen kann Lozano Rendón einige Geschichten über Diskriminierung und Rassismus erzählen. Als Jugendliche etwa sagte ihr Schwarm ihr, dass er sie zwar möge, aber nicht mit ihr zusammen sein könne, weil sie Schwarz sei. Doch anstatt bitter zu werden, motiviert Lozano Rendón das nur noch mehr: „Afro-Kolumbianerin zu sein heißt für mich jeden Tag mit dem Bewusstsein aufzustehen, meine Sache gut zu machen, um allen zu zeigen, dass wir nicht den negativen Vorurteilen entsprechen.“ Vielleicht ist die Designerin, Musikerin und Mutter gerade deshalb so arbeitswütig.

© Juan Moore
© Juan Moore

In ihrer Mode sieht Lozano Rendón auch eine politische Botschaft. Sie kämpft mit ihren Designs gegen Rassismus: „Ich versuche das zum Beispiel, indem ich ein glamouröses, elegantes Afrika mit stolzen Frauen zeige. Meine Botschaft ist: Lernt unsere Kultur kennen, seht, dass ihr uns nicht diskriminieren müsst – und ich drücke das eben über die Sprache der Mode aus.“ Erfolgreich ist Lozano Rendóns Mode jedenfalls – und laut der Modedesignerin geht dies auf einen entscheidenden Moment zurück.

Wie die meisten ambitionierten kolumbianischen Modedesigner*innen, wollte auch Lozano Rendón ihre Kollektion auf der Colombiamoda zeigen, der wichtigsten Modenschau im Land. Als sie jedoch sah, dass dafür ein Universitätsabschluss notwendig war, packte sie die Bewerbung enttäuscht wieder weg. Sie hatte ihr Studium nach einigen Semestern schmeißen müssen, weil sie dazu einfach nicht mehr das Geld aufbringen konnte. „Ich dachte mir deshalb, nun gut, dann kann ich meine Kleidung eben nicht auf Colombiamoda zeigen, und so habe ich die Kollektion erstmal auf Instagram und Facebook hochgeladen.“

Wenige Tage später hatte sie eine Nachricht auf Facebook: Hallo, ich bin Amelia Toro von Inexmoda, wir organisieren Colombiamoda und ich bräuchte deine Email-Adresse, um dir eine Einladung zu mailen. Lozano Rendóns Reaktion? „Ich war schockiert.“ Für sie kam die Anfrage überraschend. Eine sympathische Bescheidenheit. Denn schließlich war die Einladung letztlich das Ergebnis von sehr viel Kreativität – und harter Arbeit.