Von Hengameh Yaghoobifarah

 Im Rahmen der Berliner Festspiele startete am 3. Juni das Theatertreffen der Jugend, bei dem sich junge Kulturschaffende vernetzen konnten. Bundesweit reisten junge Theatergruppen an, auch das Stück  „one day I went to *idl“ vom Ballhaus Naunynstraße wurde eingeladen. Am 4. Juni teilte Benita Bailey, eine der Schauspieler*innen, folgenden

Post auf Facebook:

Aus dem Stück "one day I went to *idl" © David Großmann
Aus dem Stück „one day I went to *idl“. © David Großmann

 Liebe Freunde und Bekannte, wie ihr vielleicht wisst, wurden wir mit ,one day I went to *idl‘ (Ballhaus Naunynstrasse) zum ttj der Berliner Festspiele eingeladen. Gestern Abend war Eröffnungsabend. Leider kam es zu einem schrecklichen Zwischenfall. Die eingeladenen Theatergruppen sollten sich performativ gegenseitig vorstellen. Als letzte Gruppe wurden wir von einer Aachener Theatergruppe vorgestellt. 21 Jugendliche marschierten militant mit Sonnenbrillen ,maskiert‘ und Einkaufsbeuteln ausgestattet auf die Bühne. Die Steigerung in den Albtraum begann mit dem gemeinsamen Ausspruch ,Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann‘, dann wurde der Song im Ghettoblaster aufgedreht und affig dazu rumgetanzt, es sah wie ein schlechtes Imitat einer unserer Szenen aus – das alles war wahrscheinlich nicht genug, denn am Ende gingen sie mit ihren Einkaufsbeuteln ins Publikum und verteilten Bananen.

Ihr Lieben, das ist die schlimmste Beleidigung, die ich als Künstlerin je erlebt habe. Manche aus unserem Team (welches nur aus POCs und postmigrantischen jungen Erwachsenen besteht) sind nicht sicher, ob sie heute Abend nach so einem Vorfall überhaupt spielen wollen. Dieser Wettbewerb und dass wir dort spielen dürfen, ist so eine hohe Auszeichnung für uns und nun das. Wir wissen nicht, was heute Abend passiert, aber bitte, wenn ihr in Berlin seid, kommt heute Abend zum Berliner Festspielhaus. Setzt ein Zeichen für junge Nachwuchsschauspieler. Schaut euch das Stück an, wenn es gespielt wird (Abendkasse), oder seid einfach da, um zu zeigen, dass ihr dies nicht unterstützt.

Mit dieser schrecklichen Erfahrung weiß ich einmal mehr, warum es immer noch nötig ist, stets auf die Situation von SchauspielerInnen mit sichtbaren Migrationshintergrund hinzuweisen. Leider ist es noch nicht überflüssig.“

Der Beitrag wurde knapp 300 Mal geteilt. Missy sprach mit der Berliner Schauspielerin Benita Bailey, die Teil des Stücks ist und bei den Ereignissen anwesend war.

MISSY: Du bist in der Theatergruppe, die „one day I went to *idl“ aufführt, und warst bei den rassistischen Vorfällen während des Theatertreffens der Jugend dabei. In deinem Post berichtest du von dem Vorfall.
Benita Bailey: Ja, was dabei sogar noch unerwähnt blieb, ist, dass einige der Aachener Performenden (Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 17 und 23 Jahren) sich Jutebeutel über die Gesichter zogen. Mehr rassistische Bilder in einem 5-minütigen Act sind kaum möglich. Wichtig ist auch festzuhalten, dass dies kein Spontanprogamm war, wie von den Veranstalter*innen in ihrem offiziellen Statement beschrieben. Jede Gruppe wurde ca. vier Wochen vor Festivalbeginn darüber informiert, welche Gruppe und welches dazugehörige Stück vorgestellt werden soll – es bestand also ausreichend Zeit zum Planen und Proben. Diese performativen Trailer wurden im Übrigen nicht in einer Art Kennenlernspiel nur unter Teilnehmenden, sondern in einem öffentlichen Rahmen während der Festveranstaltung, in der auch die Auszeichnungen übergeben wurden, aufgeführt. Allerdings waren die ca. fünfminütigen Kurzvorstellungen nicht vorher von der Theaterleitung gesichtet worden, sondern standen allein in der Verantwortung der Theatergruppen und ihrer Leiter*innen.
 
Wie haben die Leute im Saal auf den Vorfall reagiert?

Es war für mich sehr erschütternd zu sehen, dass jegliche Reaktionen ausblieben. Wie gesagt saßen etwa 400 Leute im Publikum, darunter nicht nur Jugendliche, sondern Theaterleiter*innen, Pädagog*innen, Jurymitglieder, die Festivalleitung, Vertreter*innen der Politik und jede Menge Künstler*innen. Ich begann mit Buhrufen und wurde zur Ruhe gebeten. Es gab keine Möglichkeit zu intervenieren, da sie den Ghettoblaster auf der Bühne hatten und manuell bedienten. Man konnte also auch nicht den Stecker ziehen. Als letzte Möglichkeit sah ich nur die Option zu gehen. Leider folgte niemand. Nur drei Frauen verließen das Publikum, alle drei Betroffene: die Leiterin der Akademie der Autodidakten, Ballhaus Naunynstraße, die Regisseurin von „one day I went to *idl und ich.

Gab es Interventionen?
Ich weiß nicht genau, was passiert ist, nachdem ich rausgegangen war. Später wurde mir erzählt, dass unsere Spielleiterin noch während der Präsentation zurückkehrte und versucht hat zu intervenieren, indem sie mit auf die Bühne ging und die Frage stellte: „Ist das euer Ernst? Dass ihr jetzt auch noch Bananen verteilt? Aus den Publikumsreihen soll es dann geheißen haben: „Das sei künstlerische Freiheit.“

Wie haben sich die Organisator*innen zu dem Vorfall verhalten?
Direkt nach dem Vorfall kam eine Vertreterin vom Haus, um sich bei uns zu entschuldigen. Es schien, als seien alle komplett geschockt. Noch am gleichen Abend wurde ein Statement verfasst, ein weiteres folgte, aber am Montag haben sich die Berliner Festspiele von ihrem Statement leider wieder distanziert. Sie haben den Rassismus, der uns widerfahren ist, als eine „Kränkung bagatellisiert und sich bei der Aachener Gruppe, die den Rassismus ausgeübt hat, entschuldigt. An dieser Stelle würde ich gern einen Kommentar der Theatermacherin und Autorin Simone Dede Ayivi zum Verhalten der Organisator*innen zitieren: 

„Es gibt ein Update der Stellungnahme, in dem die Berliner Festspiele sehr ausführlich deutlich machen, dass sie [der Theatergruppe] ,rohes Theater‘ aus Aachen keinen vorsätzlichen Rassismus unterstellen wollten. Da hätte es auch ein Satz getan, aber klarzustellen, dass da niemand irgendwie absichtlich rassistisch sein könnte, ist wohl sehr wichtig. Weiterhin wird von der Akademie der Autodidakten durchgehend als ,die gekränkte Gruppe‘ gesprochen. Es wurde hier aber nicht einfach nur ein Gruppe gekränkt. Es geht um Rassismus, ob intendiert oder nicht. Die Stellungnahme der Aachener Gruppe verharmlost außerdem Rassismus und ist keine Entschuldigung!
,Wir sind keine Rassisten! Aber wir wissen nun, wie es sich anfühlt, als Rassisten bezeichnet zu werden‘ ist der Einstieg und ,Wir sind keine Rassisten, aber wir wissen nun, wie Stigmatisierung sich anfühlt und dass das nicht sein darf‘ der Schlusssatz. Die Täter – wie auch immer sie dazu wurden – machen sich nun also selbst zum Opfer. Nicht der Rassismus, sondern der Rassismusvorwurf wird hier als Problem benannt. Für dieses unverschämte Statement stellen die Berliner Festspiele auch noch die eigene Plattform zur Verfügung. Dass die Gruppen nun offensichtlich im Gespräch sind ist sicherlich gut – allerdings profitieren davon nur diejenigen, die zwar nach eigener Aussage keine Rassist_innen, aber dennoch für die rassistische Performance verantwortlich sind. Die jungen Theatermacher_innen, die schon in ihrem Alltag und durch ihr Projekt genug Aufklärungsarbeit leisten – dürfen das jetzt wieder tun, trotz und wegen der traumatisierenden Ereignisse. Darüber hinaus wird vergessen, dass es nicht nur um die Festivalteilnehmer_innen geht. Die politische Dimension des Ganzen zu verkennen ist überaus ignorant.“

(Nachzulesen ist dieses Statment auf der Facebook-Seite des „Bündnis kritischer Kulturpraktiker_innen“)

Wie werdet ihr als Theatergruppe mit der Situation umgehen?
Das kann ich noch nicht genau sagen. Ich habe die meisten von uns in den letzten Tagen leider nicht viel gesehen. Verständlicherweise nehmen einige von uns nicht mehr am Treffen teil. Aktuell gibt es gefühlt zwei Lager auf dem Festival. Die einen, die sich mit den Aachenern solidarisieren und nicht nachvollziehen können, dass sie trotz Entschuldigung immer noch Gegenwind erfahren. Und die anderen, Menschen, die nicht verstehen können, wie es überhaupt dazu kommen konnte, und die eine Entschuldigung ohne Wenn und Aber fordern und dass man zu dem rassistischen Vorfall steht bzw. ihn zugibt. Zum Teil ist eine richtige Hetze in beide Richtungen entstanden. Der Leiter der Aachener wird als Charlie Hebdo gesehen und man stellt sich hinter ihn, als sei derjenige, der letztlich alles zu verantworten hat, einem Attentat zum Opfer gefallen. Darauf gibt es heftige Reaktionen. Ich glaube, mit einem klaren Statement der Leitung hätte man so eine Eskalation vermeiden können.

Wie können Außenstehende euch unterstützen?
Das Hauptproblem ist ein strukturelles. Viele Menschen wissen nicht, wie privilegiert sie sind, und haben daher wenig Empathie für Menschen, die sich tagtäglich mit Rassismus auseinandersetzen müssen. Die Mehrheitsgesellschaft ist weiß und aktuell noch so strukturiert, dass wir nicht die Wahl haben, ob wir uns mit Rassismus auseinandersetzen oder nicht. Jede*r sollte an der Stelle und in der Verantwortung, die si*er hat, sehen, wie si*er da etwas ändern kann. Konkret uns als „one day I went to*idl“ unterstützen? Da gibt es viele Dinge, die man tun könnte, z.B. einen offenen Brief an die Festivalleitung und das Haus schreiben und erklären, dass es eben nicht nur um „Kränkung“ geht, wenn ihr das auch so seht.

Erfährst du den Vorfall als eine besondere Dimension von Rassismus auf der Bühne oder hast du als Schwarze Schauspielerin schon ähnliche Fälle erlebt oder beobachtet?
Diese Form des Rassismus in solch einem öffentlichen Rahmen zu erleben, war definitiv eine neue Dimension. Das war ja das Schlimme. In einem solchen Rahmen kommt es noch viel überraschender als in der U-Bahn oder bei alltäglichen Besetzungsfragen. Als Schwarze Schauspielerin bin ich ohnehin mit vielen Hürden konfrontiert, z.B. bekommt man bestimmte Rollen gar nicht angeboten, weil ganz klar definierte phänotypische Merkmale vorhanden sein müssen, um eben eine Hauptrolle in einem klassischen deutschen Stück oder in einem deutschen Spielfilm zu bekommen. Auch dort werden wir Schauspieler*innen of Color oft als „sensibel“ beschrieben, wenn Kritik an der weißen Besetzungspolitik geübt wird. Eine Kollegin hat am Mittwoch im Rassismus-Dialog der Berliner Festspiele richtig gesagt: „Es ist nicht schlimm, wenn wir als POCs eine Ausländerin oder eine Geflüchtete spielen müssen. Es ist aber schlimm, wenn wir es immer tun müssen.“

Dieser Vorfall hat auch deswegen besonderes Gewicht, weil das Haus der Berliner Festspiele ein bedeutendes und ehrwürdiges Haus ist, ein Ort, wo jede Theaterschauspieler*in im deutschsprachigen Raum mal auf der Bühne stehen möchte. Dort so erniedrigt und gedemütigt zu werden ohne jegliches Eingreifen der Leitung ist ein unvergessliches Erlebnis. Die Festspielleitung und alle anderen, die die Geschehnisse bis heute verharmlosen, müssen sich bewusst sein, dass dieser rassistische Vorfall so viele negative Kindheitserinnerungen triggert und eine*n diese dramatischen Ereignisse erneut durchleben lässt, auch, wenn man längst in einem multi-ethnischen Stadtteil Berlins lebt und glaubt und hofft, mit diesen existenziellen Grenzerfahrungen abgeschlossen zu haben.

Was würdest du dir von der Theaterleitung wünschen, wie sie nun weiter mit dem Vorfall umgeht?
Wenn ich mir etwas wünsche würde, dann wäre es, dass ein ganz klares Zeichen gegen Rassismus gesetzt wird. Das kann nur von der Leitung kommen. Ich habe mit den Verantwortlichen des Festivals über Ausschluss gesprochen. Ausschluss bedeutet ja nicht zwingend, die Aachener*innen nach Hause zuschicken, aber man hätte nach anderen Konsequenzen schauen können, z.B. sie für einen Tag zum Aufklärungsworkshop schicken können.

Keinem von uns geht es darum die „Täter*innen“ besonders hart zu bestrafen. Es geht vielmehr darum, dass sie verstehen, dass es sehr schlimm war, was sie getan haben, ob intendiert oder nicht. Sie haben bestimmte rassistische Aussagen auch in ihren eigenen Stücken und müssten diese komplett überdenken. Aktuell ist es so: Sie können während des Festivals Workshops machen, sich künstlerisch weiterentwicklen und Kontakte knüpfen, während wir uns außerhalb des Festivals von dem Schock erholen müssen, und wenn wir da sind, dauernd gezwungen sind, über Rassismus zu reden, uns für „unsere Verletzung“ zu rechtfertigen und anderen Rassismus-Nachhilfe zu geben. Das ist auch ein Nachteil für diejenigen von uns, die weiter am Festival teilnehmen wollen. Für uns ist es also gar nicht möglich, einfach weiter teilzunehmen. Wenn wirklich etwas in den Köpfen der anderen passieren soll, muss ein unmissverständliches Zeichen gesetzt werden. Das ist dann noch nicht einmal eine Bestrafung, sondern sollte eigentlich eine Möglichkeit für das Festival aufzeigen, wo und wie es sich positioniert und für welche Werte es steht.