Von Delia Friess

„Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind ein globales Verbrechen, das ignoriert und immer noch oft bagatellisiert wird“, sagt Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin der Frauenrechtsorganisation medica mondiale. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie in Südosteuropa (Bosnien und Herzegowina, Kosovo), Nordirak, Afghanistan, Westafrika (Liberia) und in der Region Große Seen (Burundi, DR Kongo, Ruanda, Uganda) aktiv. Dort entstehen, gemeinsam mit bestehenden Frauenorganisationen, weitere Anlaufstellen für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen und Mädchen mit psychologischen, medizinischen und juristischen Beratungsangeboten von lokalen Fachkräften. In Konfliktsituationen wird sexualisierte Gewalt auch kriegsstrategisch eingesetzt, um die individuellen Frauen als auch ganze Bevölkerungsgruppen zu demoralisieren, zu schwächen und zu demütigen. Auch Männer, Jungen und nicht-binär verortete Personen erleben häufiger sexualisierte Gewalt: In der Region Große Seen zum Beispiel werde eine erhöhte Vergewaltigungsrate von Männern festgestellt, sagt Hauser.

Monika Hauser © Lela Ahmadzai/medica mondiale
Vereinsgründerin Monika Hauser © Lela Ahmadzai/medica mondiale

Sexualisierte Gewalt auf der Flucht und in Geflüchtetenunterkünften
Das hört sich zwar auch ein wenig nach „white savior complex“ an, allerdings distanziert sich Hauser deutlich davon, die rape culture ausschließlich außerhalb Deutschlands zu verorten: „Die rape culture ist kein Import aus anderen Ländern, sondern wir leben in einer patriarchalen Welt. Auch Deutschland ist von frauenverachtenden patriarchalen Strukturen durchzogen. Wir fordern seit Langem eine Verschärfung der Paragrafen 177 (Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; Anm. der Autorin) im Strafgesetzbuch und der Umsetzung der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt; Anm. der Autorin).“

Auch Frauen, Kinder und LSBTI auf der Flucht und in Flüchtlingsunterkünften seien verstärkt von sexualisierter Gewalt betroffen: „Diese wird von Mitflüchtenden, von Soldaten, Mitarbeitern von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen, Schleppern, Regierungsangehörigen, Verwaltungsangestellten oder Hausmeistern in Unterkünften für Geflüchtete ausgeübt.“ Medica mondiale kritisiert, dass die Versorgungsstrukturen für traumatisierte Zufluchtssuchende mangelhaft seien: „Die Anzahl von Menschen, die flüchten, sei voraussehbar gewesen. Wir fordern Expert*innengruppen, die traumatisierten Frauen und Mädchen unterstützend zur Seite stehen, und dass spezielle Schutzräume entstehen.“

Gemeinsam mit dem Kölner Flüchtlingsrat e.V. veröffentlichte medica mondiale ein an das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen gerichtetes Positionspapier. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte übt in einem eigenen Policy Paper Kritik daran, dass zu wenig gegen sexuelle Gewalt in Flüchtlingsunterkünften getan werde. Die Unterbringungsstandards und das Vernetzungs- und Beschwerdemanagement müssten verbessert werden, um Betroffenen Zugang zu Schutzmaßnahmen zu gewährleisten.

Medica mondiale wird bereits 1993 gegründet. Als die Assistenzärztin Monika Hauser im Dezember 1992 von den Massenvergewaltigungen während des Jugoslawienkriegs erfährt, ist sie entsetzt von der Brutalität, der die Frauen ausgesetzt sind – und vom fehlenden Engagement großer Hilfsorganisationen. Hauser reist ins Kriegsgebiet, verschafft sich einen Überblick und gründet im Frühling 1993 mit lokalen Fachfrauen das Frauentherapiezentrum medica Zenica in Zentralbosnien. Im gleichen Jahr entsteht parallel in Köln die Frauenorganisation medica mondiale, die heute weltweit tätig ist.

Die Verleihung des Alternativen Nobelpreises in Stockholm am 8. Dezember 2008. Monika Hauser (2. von links) mit den anderen Preisträgerinnen, der somalischen Frauenrechtlerin Asha Hagi, der Inderin Sankaralingam Jagannathan und die US-Journalistin Amy Goodman. © Cornelia Suhan/medica mondiale
Die Verleihung des Alternativen Nobelpreises in Stockholm am 8. Dezember 2008. Monika Hauser (2. von links) mit den anderen Preisträgerinnen, der somalischen Frauenrechtlerin Asha Hagi, der Inderin Sankaralingam Jagannathan und der US-Journalistin Amy Goodman. © Cornelia Suhan/medica mondiale

Medica mondiale baut Beratungsstrukturen in Krisenregionen auf, bildet Ärzt*innen, und Pflegepersonal sowie Verantwortliche bei Polizei und Justiz auch in Deutschland weiter und schafft geschützte Räume für traumatisierte Frauen. Bosnien und Herzegowina sei noch immer eine zutiefst traumatisierte Gesellschaft, sagt die heute 57-jährige Ärztin. „Die Unterstützung in der Nachkriegszeit gehört deshalb auch zu unseren Aufgaben.“ Wie auch im Nachkriegsdeutschland stellt sexualisierte Gewalt in vielen Teilen der Welt ein Tabu dar, das mit Scham, Angst und Schweigen besetzt ist, weil ihre Community die Betroffenen ausgrenzt, anstatt sie solidarisch zu unterstützen. Hauser sieht in der Auseinandersetzung mit den Gewalterfahrungen von Geflüchteten auch eine Chance für die Aufarbeitung von Gewaltstrukturen in Deutschland.

Partnerorganisationen im Ausland
Die Arbeit der Partnerorganisationen von medica mondiale findet unter ganz unterschiedlichen und teils lebensgefährlichen Bedingungen statt. In Afghanistan arbeiten die Fachfrauen inmitten einer extrem instabilen Sicherheitslage. „Trotzdem knicken die afghanischen Kolleginnen in puncto Frauenrechte nicht zugunsten einer vermeintlich verbesserten Sicherheitslage ein. Ganz im Gegenteil: Sie wissen, dass sich Benachteiligungen von Frauen negativ auf die Sicherheitslage auswirken.“

Der gefährlichste Ort für eine Frau sei ihr Zuhause, berichten die Kolleginnen von medica Afghanistan. Deshalb ist es wichtig, zum Beispiel in Krankenhäusern geschützte Räume zu schaffen. Nur so können Frauen, die von ihrem Ehemann oder Familienangehörigen begleitet werden, gefahrlos von ihrer Gewalterfahrung erzählen. Im Rahmen der umfassenden Unterstützung begleiten die Mitarbeiterinnen in den Projekten vor Ort Frauen und Mädchen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben.

Das geschieht zum Beispiel durch Einkommen schaffende Maßnahmen, Rechtshilfe oder psychosoziale Beratung. In bestimmten Regionen in Liberia und in der DR Kongo ist die Bevölkerung von Hunger und extremer Armut betroffen. Frauen und Mädchen in den Dorfgemeinschaften erreichen die Provinzhauptstädte nur schwer. Medica mondiale initiiert deshalb gemeinsam mit den lokalen Partnerinnen Frauensolidargruppen und schult Frauen in den Dörfern zu Beraterinnen.

Zwar gibt es sowohl in Afghanistan als auch in einigen afrikanischen Ländern neue Gesetze zum Schutz von Frauen, aber häufig scheitert es an deren Implementierung und Umsetzung. Von der internationalen Politik fordert Monika Hauser ein stärkeres humanitäres Engagement in Krisenregionen, einen Stopp von Waffenlieferungen, zivilen Wiederaufbau statt Militärinterventionen und ein Ende der neoliberalen Wirtschaftspolitik des Westens. Sie verlangt die paritätische Besetzung mit Frauen bei internationalen Friedensverhandlungen. 2008 erhält Monika Hauser für ihre Arbeit den Right Livelihood Award, der auch als Alternativer Nobelpreis bekannt ist.