Von Franziska Schutzbach

In „GRRRRRL“ gibt es einen utopischen Ort, der heißt Fort „GRRRRRL“ und ist eine Art verwunschener Campingplatz. Ein queer_matriarchales Paradies mit viel Chips und O-Saft. Fort GRRRRRL ist der Platz, an dem die Weltverschönerung gefördert wird, an dem es kein Zuviel an Gefühlen gibt und kein Zuviel an Körper. Hier müssen sich Frauen nicht schämen, nicht hassen, hier gibt es überall WLAN, eine Hexenschule und Menstruationsblut.

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© Paula Reissig

Mit dieser Utopie beginnt die Produktion „GRRRRRL“, die das feministische Performancekollektiv Henrike Iglesias nun in Berlin aufführt. Im Stück geht es aber nicht um paradiesische Harmonie, sondern um weibliche Zerstörungskraft und Rebellion. „GRRRRRL“ ist ein Abend über böse Frauen, die das System (zer-)stören, aus den Fugen heben. Eine Hommage an das Unangepasste, das Hässliche, das Laute, die Grenzüberschreitung. Fort GRRRRRL ist der Flirt mit einem Versprechen, das es so nicht gibt, nicht mal in der besten aller Welten, nicht im Matriarchat und nicht im Himmel. Es sich auszumalen aber verleiht rebellische Superkräfte.

Der Utopie-Ort ist nicht die Lösung, sondern der Anfang. Die Solidarität unter ungleichen Frauen ist der Boden, auf dem die Einmischung und somit die Veränderung des Systems gelingen kann. Zentral in der Show ist im letzten Akt das sogenannte „Eintreibungsritual“, eine Art umgekehrter Exorzismus, bei dem das Publikum aufgefordert wird, sich Wut, Zerstörung und die Kraft des Bösen eintreiben zu lassen. Ein erster Schritt ist es laut den Macher*innen des Stücks, sich negative Zuschreibungen widerständig anzueignen.

Jede Frau, die verdammt noch mal etwas will in dieser Gesellschaft, gilt bis heute als unziemlich. Frauen haben das einprogrammiert: Selbstzweifel, sich nicht als Expertinnen fühlen, das Zusammenzucken über die eigene laute Stimme. Und deshalb – wie die Performerinnen von Henrike Iglesias es mit Mona Eltahawy formulieren – gibt es keine andere Option: „Wir müssen über unsere Leben sprechen, als wären sie wirklich wichtig, das ist das Subversivste, was Frauen tun können.“

Während ihrer Recherche haben sich die Performerinnen eingehend mit der bösen „Frau“ beschäftigt. Das „Böse“, also das, was von der Gesellschaft an Frauen als „böse“ konstruiert wird, zeigt sich in verschiedenen Figuren: etwa in der bösen Mutter, der schreibenden Frau, überhaupt in Frauen, die mitreden wollen, im Flintenweib und natürlich in der sexuell aktiven Frau. Die Performerinnen haben sich auch mit „Expertinnen des Bösen“ getroffen, z. B. mit einer Hexe, einer Domina und einer politischen Aktivistin.

„GRRRRRL“ ist eine Koproduktion der vier Performerinnen und Autorinnen Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth, dem Roxy Theater Birsfelden in Basel und den Sophiensaelen Berlin. Die Gruppe gibt es seit 2012, sie ist im Zuge gemeinsamen Nachdenkens und Arbeitens während des Studiums entstanden. Henrike Iglesias – der Name ist ein ironisches Zitat auf den Macho-Schnulzensänger Enrique Iglesias – hat erfolgreich vier Inszenierungen auf die Bühne gebracht, ist auf Festivals aufgetreten und hat das Themenspektrum kontinuierlich ausgeweitet.

Sie oszillieren zwischen dem Populären und dem Politischen: „Wir sind radikal politisch, haben aber auch ein zärtliches Verhältnis zu Popkultur, wir sind im Netz groß geworden und wir wollen Frauenzeugs machen.“ Und so verbindet das Kollektiv in seinen Produktionen Themen wie Sexarbeit und Castingshows oder thematisiert das Erwachsenwerden im medialen Zeitalter.

798_foto_grrrl_c_paula-reissig_2 Henrike Iglesias ist ein Performance- und Autorinnenkollektiv, das 2012 gegründet wurde. Die Produktion „GRRRRRL“ ist am 14./15./16./17. September in den Sophiensælen Berlin und am 13./14./15. Oktober im Schauspiel Leipzig, Residenz zu sehen.

Die „Eintreibung“ beginnt mit einer Passage aus dem Hexenhammer, dem Manifest des Frauenhasses par excellence aus dem 15. Jahrhundert: „Das Weib ist ein unvollkommenes Tier, lasterhaft und dumm.“ Spätestens seit der „Guardian“-Studie über Hasskommentare im Internet ist wieder klar geworden, dass Frauen bis heute gehasst werden, und zwar systematisch. Misogynie ist grundlegend, der Hexenhammer lebt. Gerade dann, wenn Frauen den Mund aufmachen, sich anmaßen zu schreiben, eine Stimme zu haben.

Die Hexenhammer-Szene in „GRRRRRL“ endet mit einem gezielten Blick der Performerinnen ins Publikum: Die Zuschauer*innen werden einzeln taxiert, das Objekt der Betrachtung schaut zurück. Den Blick der Figuren in „GRRRRRL“ gilt es auszuhalten, ein
unmissverständliches Signal: Wir schauen, wir werden nicht „geschaut“. Klar?

– Dieser Artikel erschien zuerst im Missy Magazine 02/2016