Von Kristina Marlen

Die letzte Frau, die zu mir kam, war kurz vor Ende der Session windelweich. Sie reckte mir beständig ihre Vulva entgegen und rief: „Das ist so geil, so geil! Ich halt’s nicht aus. Mach weiter, mach weiter!“ Dann bäumte sie sich noch mal heftig auf, warf sich ein paar Mal hin und her, um dann mit einem fulminanten Orgasmus auf meiner Hand zu ejakulieren.

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© Katja Kat

Eine andere, die regelmäßig kommt, ist immer sehr still. Sie möchte eigentlich vor allem fest und lange gefesselt werden. Am Anfang war ich mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt gevögelt werden möchte. Als ich sie fragte, schaute sie mich nur schweigend an und nickte ernst. Auch wenn es passiert, ist sie meistens sehr still. Wenn sie auf dem Bauch liegt, stöhnt und sabbert sie ein wenig in das Kissen. Wenn sie einen Orgasmus hat, spüre ich das eigentlich nur daran, dass sich ihre Möse fest zusammenzieht und sich ihr Po anspannt.

Eine Kundin, die regelmäßig Termine bei mir bucht, wird seit der Trennung von ihrem Mann nicht mehr berührt. Sie hat sich am Anfang geschämt, zu mir zu kommen. Sie fühlte sich hässlich, alt und nicht begehrenswert. In der Zwischenzeit hat sie ihren G-Punkt entdeckt und bringt mir jedes Mal ein neues Spielzeug mit, das ich an und in ihr ausprobieren soll. Sie hat letztens zu mir gesagt, sie kann nicht fassen, wie sie ein Eheleben verbracht hat, ohne je diesen Punkt entdeckt zu haben.

Eine weitere möchte mich gerne lecken und dabei masturbieren. Gefickt werden will sie nicht. Es gibt ihr ein gutes und selbstbewusstes Gefühl, mir beiläufig Geld auf den Tisch zu legen, um mich dann auszuziehen und zur Tat zu schreiten. Einige mögen es sehr sanft, viele haben Fantasien davon, ausgeliefert, gefesselt und gepeitscht zu werden, allerdings nicht zu fest. Das sind die meisten. Eine wollte mal selbst ausprobieren, wie es ist, eine Frau mit einem Strap-on zu vögeln. Sie war gar nicht schlecht.

Dies sind reale Begebenheiten aus meinem Arbeitsalltag. Ich habe sie geringfügig verfremdet, damit meine Kund*innen, sollten sie dies lesen, sich nicht direkt beschrieben sehen. In meinem Beruf ist eines der obersten Gebote Diskretion. Ich bin Sexarbeiterin und wende mich mit meinem Angebot explizit an Frauen, Männer und nicht-binäre Personen, darunter einige Transpersonen.

Meine Hauptklientel sind Cismänner, und sie werden es vermutlich auch bleiben, wenn Sexarbeit meinen Lebensunterhalt sichern soll. Aber den Anteil von Frauen, die sich an mich wenden, würde ich inzwischen mit 20 Prozent beziffern.

Frauen als Kundinnen in der Sexarbeit? Gibt es das überhaupt? Wie kann das sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Kundinnen in der Sexarbeit – das kollidiert mit einigen unserer wichtigsten Annahmen und Tabus von – insbesonderer weiblicher – Sexualität. 5 Vorurteile.

© Flickr/Andree Kröger/CC BY-SA 2.0
© Flickr/Andree Kröger/CC BY-SA 2.0

1. Sexarbeit ist frauenfeindlich.
Sexarbeit, so habe auch ich es in meiner feministischen Erziehung und Bildung gelernt, ist der Inbegriff der Unterdrückung von weiblicher Sexualität. „Käufliche Liebe“ so heißt es in dieser Logik, die vor allem von einem zutiefst konservativen Flügel der Frauenbewegung propagiert wird, fordern ausschließlich Männer gegenüber Frauen ein.

Dies entspräche vom Tatbestand schon beinahe einer Vergewaltigung, denn „das kann doch keine Frau freiwillig tun“ (O-Ton Alice Schwarzer) – „ihren Körper verkaufen“ nämlich. Dass es sich um sexuelle Dienstleistungen handelt, und nicht um den Körper eines Menschen, die Kund*innen bei einer Sexarbeiter*in erwerben können; dass es eine Aktivität ist, diese Dienstleistungen anzubieten und dass sich dort eine Person befindet, die entscheidet und handelt – das wird in diesem Diskurs tunlichst nicht erwähnt.

Die „Prostituierte“ muss in dieser Erzählung das Opfer bleiben, gefickt von der Übermacht patriarchaler Gewalt. Und sie wird dazu gemacht – ausgerechnet von Feminist*innen, im festen Schulterschluss mit erzkonservativen Kräften. Jede Hure, die sich wehrt und auf ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung pocht, jede Hure, die benennt, was sie will, um ihren Arbeitsplatz erträglich oder gut zu finden und ihn nicht verlieren möchte, kann nur „geisteskrank“, traumatisiert oder von der Zuhälterlobby gesponsert sein. Wild und pervers ist sie allemal, und glaubwürdig schon gar nicht. Sie gilt als Verräterin, Verräterin an allen „Frauen“ und sie wird von Feminist*innen so genannt.

Sexarbeit – ein Bereich, in dem die geschlechtlichen Rollenzuschreibungen so klar sind, was sollen Frauen da auf der anderen Seite? Frauen als Kundinnen können ja nur ebenso wirr und wild sein wie die Sexarbeiter*innen, die behaupten, ihr Problem sei nicht die Arbeit, sondern das Stigma, das nach wie vor auf ihrer Tätigkeit laste.

2. Frauen wollen Sex nur in Beziehungen
Ein weiterer Grund, warum Frauen für viele nicht als Kundinnen vorstellbar sind, ist die Annahme, Frauen könnten die Kommerzialisierung von Intimität nicht attraktiv finden. Frauen sollen auch im 21. Jahrhundert noch wissen, wie Sexualität eigentlich gelebt werden sollte: unter dem Dach einer monogamen Zweierbeziehung, am besten sogar innerhalb der Ehe.

Die Fähigkeit zur Trennung von Sexualität und „Gefühl“ ist ein Privileg, das Männern vorbehalten bleiben soll. Dass Frauen diese Trennung sehr wohl vornehmen – und das auch genussvoll –, kann ihnen auch heute noch den Ruf einer Schlampe einhandeln – und das ist ja von der Hure nur einen Steinwurf (sic!) entfernt.

3. Frauen haben kein Geld.
Doch damit ist es noch immer nicht zu Ende gedacht. Wenn auch vielleicht die „promiskuitive Frau“, die loszieht, um sich Genuss zu verschaffen, heute schon mehr und mehr denkbar wird/ist: Die Frau, die das tut und Geld dafür ausgibt, ist es in jedem Falle nicht. Warum? Weil auch Geld patriarchal aufgeladen ist. Frauen haben faktisch weniger Geld als Männer. Und auch wenn Frauen immer mehr über finanzielle Ressourcen verfügen – also durchaus potent und mächtig sind –, die verschwenderische, hedonistische Geste ist weiterhin eine männliche. Das selbstverständliche und selbstherrliche Einstehen und Investieren für die eigene Lust ist eine Tradition der Männerbünde.

4. Frauen müssen nicht für Sex bezahlen.
Frauen, die sich „etwas Gutes tun“ wollen, gehen zur Kosmetik, zum Sport oder Shoppen. Denn, nicht zuletzt: Die Frau, die für Sex bezahlen muss, ist zu bemitleiden. In einer Welt, in der Frauen eigentlich nichts tun müssen, um Sex zu haben, muss eine Frau, die dafür bezahlt, ein Problem haben. Sie ist nicht begehrenswert, zu alt, zu dick, zu hässlich oder sie hat ein sexuelles Problem, mit dem nur ein Profi umgehen kann. Die selbstbestätigende Geste mit dem Geldschein erstarrt, ausgeführt von einer Frau, in unserem Köpfen zu dem Wedeln mit dem Defizit. Die Frau ist im Mangel, wie immer sie es wendet.

5. Es gibt gar kein Angebot für Frauen.
Die Angebote sexueller Dienstleistungen, die es für Frauen gibt, unterscheiden sich stark von denen für Männer. Es gibt eigentlich keine Bordelle für Frauen, keine Wellnessfarm, in der sich Frau die hübschesten Kerle oder Frauen aussuchen kann und mit aufs Zimmer nimmt. Mittlerweile gibt es zwar einen Sextourismus von Frauen in nordafrikanische Länder und vereinzelt Boys-Striptease, der als originelle Geburtstagfeier mit den besten Freundinnen zelebriert wird. Dies kann jedoch nicht mit den flächendeckenden, das Internet und die Vorstädte beherrschenden, Angeboten für Männer konkurrieren.

Offensichtlich unterschätzen die Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen das Potenzial von Frauen als Kundschaft. Eine Ausnahme bildet die Tantraszene, die Frauen als zahlungskräftige Klientel entdeckt hat. Das Angebot für Frauen bewegt sich im engen Rahmen, den unser Denken über weibliche Sexualität erlaubt und in dem sich Frauen bewegen sollen. Das Angebot für Frauen wird gleichsam entsexualisiert: Es wird viel von „Sinnlichkeit“ und „Bewusstwerdung“ gesprochen. Langsamkeit und Vorsicht werden gegenüber der – als schützenswert angenommenen – Sexualität der Frau betont, Genitalien werden verschämt und verschleiernd in einer altertümlichen Sprache benannt; der Anspruch wird formuliert, sich mit der sexuellen Praxis auch auf einem spirituellen Weg zu befinden. Peinlich genau wird bei den meisten Tantrakursen auf eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern geachtet – damit die heteronormative Ordnung ja nicht ins Wanken gerät. Das Angebot ist defensiv und suggeriert, Frauen wollten, wenn sie sich ihrer Sexualität widmen, entweder geheilt werden oder etwas über sich lernen.

Die aggressive, die sexuell fordernde Frau ist ein Tabu. Die sabbernde Frau, mit der ich es zu tun habe, oder die, die mir zuruft, ich solle sie gefälligst heftiger vögeln. Die Frau, die sich nicht gefällig und ansehnlich verhält und nicht darum buhlt, begehrenswert für Männer zu sein. Die Frau, die sich verhält wie ein Kerl, der es egal ist, wie sie aussieht, wie sie riecht und ob sie Diät gehalten hat, wenn sie nur Geld hat, die davon ausgeht, dass andere für ihr Vergnügen da sind.

Diese Frau ist gefährlich. Denn sie wäre nicht mehr kontrollierbar. Sie ist gesellschaftlich nicht erwünscht, deshalb wird sie auch nicht offensiv als Kund*innengruppe angesprochen. Frauen haben das verinnerlicht und wollen sich deshalb auch nicht so sehen. Sich auf einem spirituellen Weg zu befinden und dabei eine gute Figur im Lunghi (der Berufsbekleidung in Tantragruppen) zu machen, ist ihnen manchmal lieber, als als fordernde und sexuell hungrige Person zu gelten. Einer solchen Person würde nämlich schon im nächsten Atemzug ihre „Weiblichkeit“ abgesprochen.

Fazit: Was wollen Frauen in der Sexarbeit?
Meine Erfahrung ist, dass Frauen gar nicht so viel anderes wollen als Männer. Sie haben Lust und sind neugierig, sie verfügen über Ressourcen, um sich zu verschaffen, was sie interessiert. Die Frauen, die zu mir kommen, wollen oft ein Stück ihrer Sexualität erforschen. Sie suchen Neuland, sie stehen häufig an einer Schwelle. Vielleicht haben sie eine Trennung hinter sich oder einen Lebensabschnitt abgeschlossen, die Kinder sind aus dem Haus oder eine berufliche Phase geht zu Ende.

Da ich in diesem Bereich spezialisiert bin, wenden sich viele Frauen mit Fantasien zu BDSM an mich. Sie haben schon lange Interesse daran, gefesselt zu werden, haben submissive Fantasien oder möchten lernen, dominant zu sein. Sie kennen keinen Ort oder keine Person, der sie vertrauen, so dass sie diese Fantasien in die Tat umsetzen könnten. Einige sind lesbisch und haben ihr Leben oder Teile davon partnerschaftlich mit Frauen verbracht. Oder sie hatten lange den Wunsch danach, manche entdecken ihn auch gerade. Diese Frauen suchen gezielt die sexuelle Begegnung mit einer Frau.

Es gibt Frauen, die von Alltag und Beruf so gestresst sind, dass sie spüren, wie sie sich kaum noch auf ihre Sexualität konzentrieren können. Sie suchen nach einer angemessenen Adresse, um sich fallen zu lassen. Es kommen auch Transpersonen zu mir, die sich gerade im Prozess der Geschlechtsangleichung befinden oder ihre Identität nur temporär leben können oder gerade entdecken, in diesem Fall mit mir.

Einige Frauen haben konkrete Fragen zu ihrer Sexualität, zu ihrem G-Punkt, zu unterschiedlichen Orgasmusformen, zur weiblichen Ejakulation, zur Sensibilisierung der Vulva. Manche befinden sich in Partnerschaften, in der sie einiges, aber nicht alles leben können, was sie möchten. Manche sind single. Viele Frauen kommen mit ihrem Partner, dann haben wir eine Session zu dritt. Meist ist die Frau in der Beziehung die treibende Kraft für das Treffen.

Kristina Marlen arbeitet als tantrische Domina in Berlin. Ihre Spezialität ist japanische Seilbondage. Sie setzt sich für eine emanzipatorische Praxis in der Sexarbeit ein – sowohl am individuellen Arbeitsplatz als auch in der medialen Darstellung des Berufs.

Fakt ist: Frauen kommen nicht, weil sie ein Defizit haben. Die Tatsache, dass sie mir Geld geben, führt zu einem Gefühl der Selbstbestätigung. Frauen wollen etwas erfahren, sie lernen und haben Lust. Männer übrigens auch. Dass sie mich als Sexarbeiterin respektieren, mir vertrauen und mich bezahlen, wertet ihr Erlebnis bei mir auf. Sexarbeit kann ein Ort für eine sexuell emanzipatorische Praxis sein. Für Sexarbeiter*innen. Für Kund*innen. Unglaublich. Aber wahr.

 – Dieser Beitrag ist eine Wiedergabe eines im juridikum – Zeitschrift für Kritik Recht, Gesellschaft, Heft 3/2016 erscheinenden Artikels, dessen Schwerpunkt anlässlich des Feministischen Juristinnen*tags 2016 feministische Rechtspolitiken bilden. –