Von Hengameh Yaghoobifarah

Stell dir vor, es läuft eine selbsternannte Körperrevolution auf RTL II und keine*r kriegt es mit. Klingt absurd? Ist es auch. Als ich zum ersten Mal vom Casting-Format „Curvy Supermodel – Echt. Schön. Kurvig.“ in einer Pressemitteilung las, vermutete ich bereits, dass die Sendung nicht gerade radikale Fettposivitität promoten würde. Formulierungen wie „gesunde Rundungen“, „kurvig“, „mit Rundungen“ oder „große Größen“ ebnen den Weg für eine Sprache, in der die Selbstbezeichnungen „dick“ oder „fett“ keinen Platz finden und stattdessen durch Euphemismen ersetzt werden.

- Recht zum Abdruck/Darstellung zeitlich/sachlich beschränkt auf die Bewerbung der Sendung
So setzen sich die Top 10 zusammen (v.l.n.r. oben): Fabienne, Samira, Michi, Céline; mittig auf dem Sofa Feenja, Aurelie und Chethrin; unten Polina, Julia und Stella. © RTL II / Magdalena Possert

Im Prinzip ist es eine Casting-Show wie „Germany’s Next Topmodel“, nur in weniger glamourös (ich sag nur: präsentiert von KIK) und Plus-Size. Die Bewerberinnen sind Frauen, die sich als „kurvig“ bezeichnen – was auch immer das heißen mag – und modeln wollen. Die Gewinnerin wird das Gesicht eines Plus-Size-Modelabels und bekommt einen Vertrag bei der Modeagentur des Agenten Ted Linow, der selbst in der Jury ist. Aus Heidi Klum wird Plus-Size-Model Angelina Kirsch, dazu kommen noch der Modedesigner Harald Glööckler und die Tänzerin Motsi Mabuse. In jeder Folge werden die Teilnehmerinnen in Shootings, Catwalks, Challenges und anderen Prüfungen herausgefordert und müssen konstant beweisen, dass sie selbstbewusst, ehrgeizig, talentiert, wandlungsfähig, kurz: als Gewinnerin geeignet sind.

In der ersten Folge stellten sich die Bewerberinnen in Bademode auf einem Laufsteg und mit einem Selbstporträt vor. Inwieweit bereits eine Vorauswahl stattgefunden hatte, wurde nicht kommuniziert. Auffällig war, dass die Begriffe „dick“ oder „fett“ kein einziges Mal verwendet wurden, sondern alle Personen „kurvig“ waren. Kurvig ist sehr vage. Jede Person, die keine gerade Silhouette hat, kann als kurvig gelten. So haben die meisten Bewerberinnen auch die Konfektionsgröße 42, manche 44, eine sogar 38/40. Nur von jenen Frauen, die näher vorgestellt wurden, wurde die Größe eingeblendet. Darunter hatte lediglich eine einzige Person die Größe 48, diese kam allerdings auch nicht in die Top 10. Alle Bewerberinnen hatten eine sogenannte Sanduhrfigur, das bedeutet, dass die Proportionen nicht irgendwie sein „dürfen“, sondern die Brüste, die Hüften und der Hinten groß sind und die Taille hingegen sehr schmal ist. Sogenannte Modelmaße und Schönheitsideale bleiben weiterhin bestehen: Die Körperlänge soll zwischen 1,76 m und 1,80 m liegen, es geht um „die richtigen Kurven an den richtigen Stellen“, der ganze Körper soll eine einheitliche Größe haben (also beispielsweise nicht Oberteile 46, Hosen 52), nichts darf „Pudding“ sein, alles muss straff sitzen. Wampen müssen zu Hause bleiben.

Hätte ich bei jedem Mal, an dem betont wurde, dass die Körper „appetitlich“, ästhetisch, gesund oder anderweitig innerhalb einer gewissen, akzeptierten Norm sein müssen, einen Schnaps getrunken, wäre ich wahrscheinlich mit einer Alkoholvergiftung auf der Intensivstation gelandet. (Ich vertrage auch nicht so viel Alkohol, muss man fairerweise dazusagen.) Das Format ist nicht gegen Körpernormierungen, sondern normiert Körper einfach anders. Einen Ticken breiter. Es geht nicht um Fettpositivität, kaum einer Teilnehmerin würde eine*r das Attribut „dick“ zuschreiben, als Selbstbezeichnung kommt der Begriff erst recht nicht vor. Auch in der Jury gibt es keine dicken Personen. Angelina und Motsi gelten als kurvig, aber kurvig sind demnach auch Angelina Jolie und Beyoncé. Die Bewerberinnen werden so von einer Jury, die in den meisten Fällen schlanker ist als sie selber, bewertet. Diese Jury entscheidet, ob sie auf die richtige Art „curvy“ sind, ob sie auch bloß genug Selbstbewusstsein und -liebe haben und wie gut sie sich vermarkten lassen.

Obwohl sie alle klassisch femininen Schönheitsidealen entsprachen, war ich beim Casting über die unterschiedlichen Bewerberinnen positiv überrascht. Der Anteil an nicht-weißen Personen war relativ hoch und nicht alle trugen 42/44. In die Top 10 schafften es allerdings keine Bewerberinnen, die größer als 44 tragen, und die meisten Frauen sehen sich mit ihren blauen Augen und den blonden Haaren vom Typ her sehr ähnlich.

Der Anspruch, dass besonders bei „kurvigen“ Models ein hohes Maß an Attraktivität, Selbstbewusstsein und Sex-Appeal performt werden muss, zeigt, dass alle, die auch nur ansatzweise von einer stark eingegrenzten Norm abweichen, sich um ein Vielfaches mehr für ihre Anerkennung anstrengen müssen. „Gerade bei curvy muss es schön sein“, sagt ein Jurymitglied und ich möchte brechen. Dieser Satz impliziert so vieles: dass dicke Personen schnell als unattraktiv oder gar ekelhaft bewertet werden, weshalb sie zusätzliche Körperarbeit leisten müssen, um nicht entmenschlicht zu werden.

Dass die Kandidatinnen etwas realistischeren Schönheitsidealen entsprechen als auf Pro7, heißt selbstredend nicht, dass Faktoren wie Rassismus, Klassismus, Sexismus oder Heteronormativität sich in Luft auflösen. So bedienen die Macher*innen der Sendung beiläufig die stereotype Trope der vorsorglichen, mütterlichen Woman of Color, indem Motsi Mabuse die gesamte Emo-Arbeit übernehmen darf – den obligatorischen modeaffinen Schwulen mit dem flamboyanten Stil und den sassy Kommentaren verkörpern sie durch Harald Glööckler gleich mit.

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In der Jury sind der Model-Agent Ted Linow, das Plus-Size-Model Angelina Kirsch, die Tänzerin Motsi Mabuse und der Designer Harald Glööckler. © RTL II / Magdalena Possert

In Folge zwei findet so der Catwalk in Brautkleidern statt, „der Traum einer jeden Frau“ – ein Frauenbild aus dem 19. Jahrhundert. Zuvor allerdings gibt es das berüchtigte Make-over, die Typveränderung. Die Teilnehmerinnen sehen vermeintlich nicht ideal aus, wie sie in die Sendung gekommen sind, sondern werden so umgestylt, dass ihre Vermarktbarkeit steigt und ein Teil ihrer individuellen Persönlichkeit verschwindet. Die 17-jährige Aurelie betont beispielsweise, dass bunte Haare einfach ein wichtiger Teil von ihr sind – doch die müssen dann weg. Als sie und einige ihrer Kolleginnen mit ihrem neuen Look nicht zufrieden sind, werden sie von der Jury als respektlos, undankbar und unprofessionell verurteilt. Dieser Teil war einer derer, die mich am wütendsten gemacht haben. Als nicht normschlanke oder dicke Person erfordert es so viele Ressourcen, sich so zu präsentieren, wie eine*r sich am wohlsten fühlt. Sich nicht zu verstecken oder noch verschärfteren Normen nicht anzupassen – denn meine Figur gilt als „off“ genug, da kann ich nicht noch eine crazy Haarfarbe oder einen flamboyanten Stil pflegen. Viele meiner dicken und fetten Freund*innen und ich sprechen darüber, wie viel Jahre Arbeit in dem steckt, wie wir heute sind. Ich kann mir vorstellen, dass es bei den Teilnehmerinnen nicht viel anders war. Dann kommt ein Stylist und will ihren Typ verbessern, sie an den Markt anpassen. Es ist doch klar, dass sie nicht begeistert und dankbar seine Füße küssen werden. Sätze wie „Dieser Look ist nichts für dich“ sind keine Beratung, sondern Bevormundung.

Ein weiterer Aspekt, der mir große Kopfschmerzen bereitet, ist die erzwungene Ermächtigung. Die findet sich zum Beispiel bei einem Shooting wieder, bei dem sich die Kandidatinnen Begriffe auf den Körper schreiben sollen, die ihnen in der Vergangenheit als Beleidigungen zugeschrieben wurden (und unter Umständen sehr traumatisierend sein können). Mit diesen Begriffen und in Unterwäsche sollen sie in der Münchner Fußgänger*innenzone posieren und somit demonstrieren, dass sie befreit, empowert und selbstbewusst sind. Klingt nicht nur zynisch, ist auch so. Der unmittelbare Vergleich von Nacktheit/Freizügigkeit und Befreiung nimmt schon in weißfeministischen Kontexten den Glauben an eine bessere Welt. Es ist die Annahme, dass für alle Personen die gleiche Sache ermächtigend sein kann, dass die Scheu vor Nacktheit mit Scham und Selbsthass zu tun hat und dass, wer nicht gern nackt ist, nicht frei sein kann. Ich respektiere jede Person, die sich für diese Ermächtigungsstrategie entscheidet, und wünsche ihr wirklich von Herzen das Beste. Ich sehe aber auch die Kämpfe derer, die sich dagegen entscheiden. Das Doppelmaß der Jury zeichnet den schmalen Grad des „korrekten“ Sex-Appeals auf: Die Teilnehmerinnen sollen sexy und selbstbewusst sein. Aber nicht „zu sexy“, denn sonst gibt es Slut-Shaming, wie es an Polina deutlich wird.

Auch die Empörung über die dickenfeindlichen Beleidigungen, die auf ihren Körpern stehen, ist heuchlerisch. Sie sind geschockt über das Ausmaß an Fat-Shaming, das die Kandidatinnen erlebt haben. Sie sind allerdings an dem niedrigsten Punkt der Skala derer, die Dickenhass erfahren. Und gleichzeitig betreibt die Jury selbst Fat-Shaming, indem sie betont, dass nichts wackeln darf und die Körper bloß attraktiv wirken müssen. Sportlich müssen sie sein, ein Verständnis für unterschiedliche Fähigkeiten von Körpern besteht nicht.

Die Macher*innen von „Curvy Supermodel“ betonen die „Echtheit“ der Kandidatinnen und dass auch „kurvige“ Frauen schön sein können. Das ist weder radikal noch revolutionär. Bevor Körpernormierungen nicht umfassend hinterfragt und dekolonialisiert, kapitalitische, neoliberale Selbstoptimierungszwänge entlarvt und die Bewertung weiblich gelesener Körper beseitigt werden, wird sich nicht viel in puncto Körperpositivität ändern. Ob ein Model die Konfektionsgröße 36 oder 42, was in Deutschland zumindest durchschnittlich ist, trägt, ändert an der Realität von dicken und fetten Personen reichlich wenig. Erst recht nicht, wenn die eklige Kommentierung durch einen alten, weißen Typen fester Bestandteil der Sendezeit ist.