Von Amelia Umuhire

Heute schreibe ich aus Kigali, der 783 km2 großen Hauptstadt Ruandas, in der ich vor 25 Jahren geboren wurde. Ich kehre oft zurück, aber diesmal sind zwei Jahre verflogen, in denen ich nicht mehr hier war. Der Anlass ist die Hochzeit meiner Cousine. Im Dezember ist hier die zweite Hochzeitssaison, in der viele im Ausland lebende Ruander*innen zurückkehren, um Hochzeiten und andere Familienfeste in ihrer Heimat zu feiern.

Der rostrote Pass schützt nicht vor skeptischen oder herablassenden Blicken bei Kontrollen. © Tine Fetz
Der rostrote Pass schützt nicht vor skeptischen oder herablassenden Blicken bei Kontrollen. © Tine Fetz

Mit leichtem Übergepäck, viel Alkohol und in Kleidersäcken verpackten Kleidern für die Hochzeit sind wir in Kigali gelandet. Bei der Landung habe ich ein bisschen geweint, was mich überrascht und beschämt hat.

Ich hatte wie immer den Sitz am Notausgang gewählt, mit dem Nachteil, dass, als mir diese unangenehme Heimatträne über die Wange rollte, der Steward gegenüber von mir nicht ganz wusste, wohin er schauen sollte.

Ich bin eigentlich nicht sonderlich nah am Wasser gebaut, manche würden mich sogar als eher kalt bezeichnen. Das letzte Mal habe ich auf einem Flug geweint, als ich mit zehn Jahren „John Q.“ mit Denzel Washington gesehen habe.

Seit fast 15 Jahren habe ich einen deutschen Pass, also schon mehr als die Hälfte meines Lebens darf ich mich am Flughafen in die schnellen Schlangen einreihen und wo auch immer ich ein EU-Schild sehe, fühle ich mich heimisch.

Ich weiß, was für ein Privileg dieser Pass ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit vor der Staatsbürgerschaft, als Wörter wie Schengen in unserer Familie alltäglich waren, und an die Aufenthaltserlaubnis im dunkelblauen Pass mit dem schimmernden Symbol, das ich als Kind ziemlich beeindruckend fand. Ich erinnere mich auch an eine Beamtin am Düsseldorfer Flughafen, die noch nie zuvor von Ruanda gehört hatte und erst eine Kollegin anrufen musste, um herauszufinden, ob es kein erfundenes Land sei. Bitch, ich wünschte ich käme aus Zamunda.

Heutzutage bekomme ich bei der Passkontrolle noch immer verwunderte Blicke. In Deutschland z.B. sprechen die Beamten oft länger und lauter mit mir als mit den anderen rostfarbenen.

In meiner weiteren Heimat Ruanda wird meine Zugehörigkeit ähnlich geprüft. Meistens werde ich mit meinem ruandischen Nachnamen angesprochen und in diesem Ruanda sehr eigenen Ton, immer an der Grenze zwischen scherzhaft und autoritär, gefragt, warum ich so lange nicht mehr hier war.

Nach einer längeren Zollkontrolle, in der ich trotz heftigem Protest die zahlreichen Alkohol- und Sektflaschen verzollen muss, darf ich endlich durch zu meinen Tanten und Cousins, die schon stundenlang auf uns warten.

Es ist mittlerweile nach Mitternacht, es regnet und allen ist ein bisschen kalt. Mein dreijähriger Neffe erkennt mich nicht wieder und rennt, Daumen im Mund, ins Auto zurück, als ich versuche, ihn zu umarmen. Im Auto angekommen lehne ich mich zurück und höre den vertrauten Stimmen zu.

Wir brauchen keine Zeit zum Eingewöhnen; mein Cousin zieht mich auf, wie immer und meine Tante dankt in ihrem liebevollen und ständig besorgten Ton mehrmals Gott dafür, dass wir gut angekommen sind. Und da bahnen sie sich wieder an, diese heimtückischen Tränen. Aber jetzt erkenne ich auch, was es ist. Es ist vor allem Dankbarkeit, die mich überwältigt.

Ich kenne viele Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen seit Jahren nicht zurückkehren konnten. Menschen, deren Heimat in WhatsApp-Gruppen und -Anrufen stattfindet. Die wichtige Familienereignisse nur aus der Ferne mitbekommen können. Menschen, die einen wichtigen Teil von sich abgekappt haben, um mit der Realität der geschlossenen Heimat zurechtzukommen.

Meine Tante, die meinen emotionalen Moment nicht mitbekommen hat, sagt plötzlich in einen seltenen Moment der Stille hinein: „Manchmal, wenn wir da so auf euch warten, fühlt es sich an, als wäre ein Meer zwischen uns. Spürst du das auch?“