Von Anna Kipke und Eva-Maria Tepest

Der Film „Daughters of the Dust“ spielt auf den Sea Islands, dem „Schwarzen Ellis Island“ (Julie Dash) vor der Küste der US-amerikanischen Südstaaten South Carolina und Georgia. Hierher wurden bis 1860 400.000 Schwarze Menschen verschleppt – ungeachtet der US-Gesetzgebung, die Sklaverei 1806 verboten hatte. Postsklaverei verblieben viele westafrikanisch geprägte Communitys in der Region und formten eine spezifische Kultur- und Sprachgemeinschaft: die Gullah-Kultur. Der Film spielt 1902 und zeigt den Alltag dreier Generationen von Gullah-Frauen. Anhand der umstrittenen Auswanderung der Familie Peazant aufs nördliche Festland zeigt sich ein unterschiedlicher Umgang mit der näheren Vergangenheit. Der ständige Austausch über Geschichte und Tradition, Religion und Moderne und die verschiedenen Perspektiven darauf durch die Generationen hindurch schließen bei aller Brisanz Verständigung und Aussöhnung nicht aus – und machen sie vielleicht gerade möglich.

© COHEN MEDIA GROUP
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„Daughters“ bricht dabei mit den gängigsten narrativen Strukturen des Hollywoodfilms: Er handelt von Schwarzen Frauen, folgt keiner linearen Erzählstruktur, ist in Gullah und so schön, dass Filmkritiker*innen ihn als zu schön kritisierten. Weiße Menschen werden nicht gezeigt, und die Frauen arbeiten (re-)produktiv, essen, streiten, tanzen, trauern, beten, schwelgen in Erinnerungen, sind intim. Sie sind keine Mammys, Haushälterinnen oder Versklavte. Die Erfahrung der Versklavung einiger älterer Familienangehöriger wird anhand eines außergewöhnlichen Motivs trotzdem deutlich – ihrer permanent tiefblauen Hände von der Arbeit auf den Indigofeldern. All das war 1991 genauso wenig Mainstream wie heute. Dash drehte „Daughters“ in 28 Tagen und mit einem Budget von nur 800.000 US-Dollar, nachdem mehrere Produktionsfirmen ihr Skript abgelehnt hatten und Dash selbst anfangen musste, Geld zu sammeln.

Die in Queens geborene Filmemacherin ist 40 Jahre alt, als „Daughters“ 1991 endlich in die Kinos kommt. Er markiert damit den ersten Kinofilm einer Afroamerikanerin in den USA. Beeinflusst von Schwarzen Autorinnen wie Toni Cade Bambara, Toni Morrison und Alice Walker, in deren Büchern sich Dash wiedererkennt, will sie mit ihrem Werk Geschichten erzählen. Geschichten, die sonst nicht erzählt werden. Obwohl der preisgekrönte Film als avantgardistisches ästhetisches Meisterwerk gehandelt wurde, blieb die Finanzierung weiterer Kinofilme aus. Dem Bild, sie habe seitdem nicht gearbeitet, stellt sich die Filmemacherin aber vehement entgegen. So lohnt sich der Blick auf Fernsehfilme wie „The Rosa Parks Story“ (2002) oder Musikvideos von Interpret*innen wie Tracy Chapman, Adriana Evans und Tony! Toni! Toné!, bei denen sie Regie geführt hat: „Ich schreibe immer noch und ich mache immer noch Filme. Ich habe nie aufgehört. Das ist es, was manche Menschen nicht verstehen. Wenn du keinen Hollywoodfilm landest, denken sie, dass du ganz einfach aufgegeben hast und Krankenschwester geworden bist. Ich bin Filmemacherin, ich war Filmemacherin, lange bevor diese Menschen einen Fuß in die Studios setzten, und ich glaube, es ist zu spät, sich jetzt umzudrehen und davonzulaufen.“

Julie Dash © COHEN MEDIA GROUP
Julie Dash © COHEN MEDIA GROUP

Tatsächlich gingen Dash die Ideen für Kino-Featurefilme auch nach „Daughters“ nicht aus: Filme über Afroamerikanerinnen, die im Zweiten Weltkrieg im Ausland militärisch tätig waren, über die „Colored Conjurers“, eine Familie von Schwarzen Zauberkünstler*innen. Die teils irritierten, teils offen ablehnenden Reaktionen auf ihre Skripte folgten dabei einem ähnlichen Muster. Während ein Dozent sie fragte: „Wieso verschwendest du darauf deine Zeit?“, und der Verleih von „Daughters“ den Erfolg des Films als Glückstreffer bezeichnet, schicken die Agenturen ICM und CAA Dash, anstatt ihre Drehbücher zu verwirklichen, Vorschläge über den Ku-Klux-Klan. Wenig überraschend ist dann auch Dashs Erzählung, dass bei den Filmvorführungen scharenweise Männer aus den Kinosälen flüchteten, scheinbar angegriffen von der Porträtierung Schwarzer Frauen auf der Kinoleinwand.

© COHEN MEDIA GROUP
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Zwar hat sich seit den 1990er-Jahren einiges getan, besonders im Bereich des Independent-Films, wo sich zum Beispiel Cheryl Dune in ihrem Film „The Watermelon Woman“ (1996) eine Schwarze lesbische Filmgeschichte herbeischreibt. Und Ava DuVernay steht als erster Schwarzer Regisseurin für „A Wrinkle in Time“ ein Blockbuster-Budget von 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Dennoch ist dies in einem Rahmen, in dem nach einer Studie des Annenberg Center for Communication von den 600 populärsten Hollywoodfilmen 2007–2013 nur zwei von Schwarzen Frauen gedreht wurden, erst ein Anfang. Grund für den weitestgehenden Ausschluss von Schwarzen Filmemacherinnen aus dem Mainstreamkino, die fortgesetzte einseitige Darstellung von Schwarzen Frauen im Film, ist eine tiefgreifende Misogynoir, die von den Filmverleihen und -klischees bis in die strukturelle Diskriminierung, die in den Filmhochschulen reproduziert wird, reicht. Deshalb ist die Vernetzung und Unterstützung Schwarzer Filmemacherinnen untereinander so wichtig, die zum Beispiel auch unter Julie Dash, Ava DuVernay, Dee Rees, Euzhan Palcy und Leslie Harris stattfindet. Wie sich an Dashs eigener Erfahrung zeigt, ist das aber leider nicht alles: „Du kannst die besten Absichten, Expertinnen und alle Filmkameras auf deiner Seite haben, aber wenn du keine Finanzierung bekommst, um größere Projekte umzusetzen, trittst du auf der Stelle.“

imagesDaughters of the Dust
Regie: Julie Dash
USA 1991

„Daughters“ ist nicht bloß die Vergangenheit, sondern die Zukunft des Hollywoodfilms. So sieht das nicht zuletzt Beyoncé, die dem Film 2016 in ihrem Videoalbum „Lemonade“ thematisch und visuell Tribut zollte: „The past and the future emerge to meet us here. What luck. What a fucking curse.“ Damit gab sie, pünktlich zum 25. Jubiläum von „Daughters“, auch den Anstoß dafür, dass die Cohen Film Collection im vergangenen Herbst die restaurierte Fassung des Films veröffentlichte – die bisher leider nur in kleinen US-Venues zu sehen war.