Von Sophie Charlotte Rieger

Berlinale ist viel mehr als Kino. Es gibt tatsächlich Menschen, die während des Festivals nicht einen einzigen Film sehen, weil sie networken, promoten oder mit anderen eher zwischenmenschlichen Tätigkeiten beschäftigt sind. Zu denen gehöre ich ganz offensichtlich nicht, aber dann und wann verlasse auch ich den Kinosessel, um andere Veranstaltungen zu besuchen, immer dann nämlich, wenn es um Frauen vor und hinter den Kameras geht.

DEU, Deutschland, Berlin-Mitte, Akademie der Künste am Pariser Platz, 12.02.2017: "Reality Check - Wissenschaft meets Comedy" - Pro Quote Regie (www.proquote-regie.de). [Foto + ©: Dietmar Gust für Pro Quote Regie; Mobilfon: +49 (0)172 3016574; web: http://www.gustfoto.de, e-mail: info@gustfoto.de]
Mit Entertainment für die Quote. ©: Dietmar Gust für Pro Quote Regie
Zum zweiten Mal lud Pro Quote Regie während der Berlinale in die Akademie der Künste ein, dieses Mal mit einem umfangreichen, abwechslungsreichen und vor allem unterhaltsamen Programm. Aus den Aktivistinnen sind wahre Entertainerinnen geworden, die jedem biederen Klischee über Feministinnen widersprechen. Ihr diesjähriges Programm allerdings war besonders umfassend.

Nach einer kleinen Ansprache von Akademie-Präsidentin und Regisseurin Jeanine Meerapfel, in der sie auch die Akademie unter die kritische Gender-Lupe nahm, begrüßte Tatjana Turanskyj in gewohnt quirliger Manier die Anwesenden im Namen von Pro Quote Regie und übergab das Mikro an die Moderatorinnen des Events, Bettina Schoeller und Imogen Kimmel.

Der erste Punkt des Hauptprogramms war die thematische Einführung des Publikums in eine Stereotypenperformance, für die sich nun die Versuchskaninchen Esther Gronenborn und Cornelia Grünberg mit der Schauspielerin Julia Thurnau zurückzogen. Sie führten außerdem den „Man for a Day“-Workshops nach einer Methode von Diane Torr durch und ich konnte einen Blick auf die beiden Regisseurinnen – nun mit Bierbauch und Bart – erhaschen.

Zweiter Programmpunkt: Jutta Brückner und ihre erneut und völlig zu Recht umjubelte Ansprache zu unconscious bias, mit einer Fülle an schlauen Ideen zur Angst aller Geschlechter vor den Veränderungen vorhandener Strukturen und mit sehr konstruktiven Lösungsvorschlägen. „Sich für Gendergerechtigkeit einzusetzen ist keine Frage des Geschlechts, sondern der Intelligenz!“, proklamierte Brückner unter Beifall und stellte dann einen Punkte-Plan vor, mit dessen Hilfe – wenn es nach ihr ginge – sich fortan eine Stiftung der Geschlechtergerechtigkeit vor und hinter der Kamera annehmen solle. Bettina Schoeller versprach, die Rede online zu veröffentlichen. Es lohnt sich also, in den nächsten Tagen mal auf der Webseite von Pro Quote Regie oder ihrem YouTube-Kanal vorbeizuschauen.

Auf die Kampfansage Brückners folgte eine dann im Vergleich doch etwas lasche Diskussionsrunde mit drei Schauspielerinnen, nämlich Nina Kronjäger, Belinde Stieve und Julia Thurnau, über die Rollenbilder im deutschen Film. Bitterkomische Anekdoten sorgten zwar für Lacher, konnten aber inhaltlich nur wenig Neues vermitteln. Belinde Stieve stellte ihr neues Projekt „Augen auf, Mund auf“ vor, mit dem sie uns ab sofort alle motivieren möchte, auf Sexismen, wann immer wir ihnen begegnen, öffentlich aufmerksam zu machen, beispielsweise durch einen Tweet. Den entsprechenden Hashtag nannte sie noch nicht, aber in ihrem Twitter-Feed wird er sicher bald zu finden sein.

Der für mich letzte Punkt der Veranstaltung war der Vortrag von Susanne Foidl, Dozentin an der HFF Konrad Wolf in Potsdam, die dem Publikum die Macht des Filmschnitts hinsichtlich der Konstruktion von Geschlecht verdeutlichte. Film und Fernsehen führte sie als „Weltanschauungsmaschine“ vor, die von Editor*innen quasi beliebig programmiert werden könne. Die von ihr und ihren Studierenden angefertigten filmischen Beispiele waren in der Tat augenöffnend. Am Beispiel einer „Tatort“-Szene zeigt Susanne Foidl etwa wie sich der Blick auf Figuren durch den Schnitt ändern kann. Außerdem gab es einen Vortrag von Dr. Maya Götz, eine Gesangsperformance und vieles mehr. Auch hier hoffe ich auf eine Veröffentlichung der Videoaufzeichnung bei YouTube, sodass alle davon profitieren konnten, die es nicht nach Berlin geschafft haben.

Anlässlich der Berlinale nämlich lud außerdem die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Kampagne „Say no! Stop violence against women“ zu einem runden Tisch, an dem über misogyne Gewalt, ihre Darstellung in Film und Fernsehen sowie über Lösungsansätze gesprochen werden sollte.

Am Tisch saßen Vertreter*innen verschiedener europäischer Filmorganisationen. So zum Beispiel Anna Serner vom Schwedischen Filminstitut und Vertreter*innen der Fernsehsender Sky und Arte. Das European Women’s Audivisual Network (EWA) war ebenso präsent wie die Vereinigung europäischer Filmverleiher (FIAD) oder die Society of Audiovisual Authors. Bei den Anwesenden handelte es sich größtenteils um sich als weiblich identifizierende Menschen mit einem beruflichen Hintergrund in der Filmbranche. Moderiert wurde die Veranstaltung von Renate Nikolay, Vorsitzende des Kabinetts um Věra Jourová im Bereich „Justice, Consumers and Gender Equality“ in der Europäischen Kommission.

Anlass für die „Say no!“-Kampagne war im vergangenen Jahr eine europaweite Studie zu Gewalt gegen Frauen gewesen, deren Ergebnisse einen dringenden Handlungsbedarf anzeigten. Gewalt gegen Frauen ist in der EU keine Ausnahme, sondern die Regel – das ist nicht wirklich überraschend, aber manchmal braucht es eben klare Zahlen, um sich allgemeine Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Das Ziel der Diskussion sollte nun vor allem eine Ideenfindung sein, Vorschläge für konkrete Aktionen und Vorgehensweisen, aber auch eine klare Verortung des Problems. Für meinen Geschmack hielt sich die mit 1 ½ Stunden sehr knapp bemessene Veranstaltung zu lange an der Frage nach einer Regiequote auf, was aber auch daran gelegen haben mag, dass ich direkt von der Pro Quote Veranstaltung kam und sich vieles daher für mich repetitiv darstellte. Dennoch hätte ich mir mehr Gespräche darüber gewünscht, wie Gewalt gegen Frauen im Film dargestellt wird und wie das Medium Film im Kampf gegen diese Gewalt genutzt werden könnte.

Mein Fazit ist jedoch ohne Einschränkung positiv, da sich die Europäische Kommission eines Themas angenommen hat, für das ich in meinem beruflichen Alltag meist vergeblich argumentiere. Einerseits habe ich große Schwierigkeiten, in der Filmkritik oder auch der Kommissions- und Juryarbeit, wie beispielsweise beim Grimme-Preis, die Darstellung von (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen überhaupt als valides Argument durchzusetzen. Gleichzeitig sind fiktive Inhalte von Film und Fernsehen im deutschsprachigen Raum noch nicht selbstverständlicher Teil des feministischen Diskurses. Ich jedoch bin überzeugt davon, dass wir nicht nur auf die Inszenierung von Gewalt aufmerksam machen, sondern auch jene audiovisuellen Geschlechterstereotypen kritisch beleuchten müssen, die den Nährboden für eine misogyne Gesellschaft schaffen und/oder aufrechterhalten.

Es ist immerhin eine europaweite Kinotour mit Filmen zu häuslicher Gewalt und entsprechenden Diskussionsveranstaltungen angedacht. Von einer politischen Einmischung, beispielsweise durch die Forderung nach einer Quote, will die Kommission jedoch absehen. In die Redefreiheit der Kunst soll insbesondere in diesen Zeiten auf keinen Fall eingegriffen werden, so Kabinettsvorsitzende Renate Nikolay. Zudem würde bei einem entsprechenden Gesetzesentwurf bis zu seiner effektiven Umsetzung viel zu viel wertvolle Zeit vergehen.

Sophie Charlotte Rieger arbeitet als freie Filmkritikerin und Journalistin. Auf ihrem Blog „Filmlöwin“ widmet sie sich ganz dem feministischen Blick auf Film. Dieses Jahr ist sie für uns auf der Berlinale unterwegs und führt ein Festivaltagebuch.

Mein Eindruck ist: Es bewegt sich etwas. Das Problem ist angekommen. Darauf sollten wir uns aber nicht ausruhen, sondern erst recht in die Vollen gehen. Jetzt ist die Zeit, um etwas zu verändern! Anpacken, mitmachen, weitersagen. Oder wie Belinde Ruth Stieve sagen würde: „Augen auf, Mund auf!“