Mit 23 erbte Nayla Tueni den liberalsten Zeitungsverlag der arabischen Welt, weil ihr Vater Opfer eines Attentates wurde. Nun kämpft sie an seiner Stelle gegen den Fundamentalismus im Libanon.

(c) FOTO: NAYLA TUENI / AN NAHAR
(c) FOTO: NAYLA TUENI / AN NAHAR

Früher war Nayla Tueni oft tanzen, im B018 oder einem der anderen legendären Clubs von Beirut. Seit zwei Jahren ist das vorbei, sie würde dort ihr Leben riskieren. Durch die Stadt fährt sie nur noch im gepanzerten Wagen und mit Chauffeur. Und wenn sie sich mit Freunden trifft, dann nur zu Hause zum Fernsehen oder Essen. Die junge libanesische Journalistin steht weit oben auf der Todesliste der fundamentalistischen Hisbollah.

Nayla Tueni wird im Herbst 25 Jahre alt. Vergangenes Jahr ist sie zur stellvertretenden Generaldirektorin von An Nahar aufgestiegen, der mit einer Auflage von 40.000 größten Tageszeitung des Libanon. Die Zeitung hat den Ruf, die liberalste in der ganzen arabischen Welt zu sein. Statt fundamentalistischer Hetze findet man hier Reportagen über die Heirat zwischen Christen und Muslimen, statt verschleierter Frauen sieht man Fotostrecken mit Models in Bikinis. Einen Namen machte sich An Nahar aber vor allem durch die unerschrockene Haltung gegenüber Syrien und Iran, den beiden Ländern, die die UNO für die anhaltende Gewalt im Libanon verantwortlich macht. In dieser Zeitung wurde die so genannte Zedernrevolution angezettelt, die Volksbewegung, welche 2005 die syrischen Besatzungstruppen zum Abzug aus dem Libanon zwang.

Nayla ist zurzeit für die wöchentliche Jugendbeilage »Nahar al Shabab« verantwortlich – eines der wichtigsten Foren für die junge Generation im Libanon – und schließt gleichzeitig ihr Masterstudium der Internationalen Beziehungen ab, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie die Chefredaktion übernimmt. Dass sie früher oder später an der Spitze von An Nahar stehen würde, ist nicht überraschend. Naylas Familie ist, obwohl Teil der christlichen Minderheit, eine der einflussreichsten des Landes. Ihr Urgroßvater Gebran Tueni hatte die Zeitung 1933 während der französischen Mandatszeit gegründet und als Chefredakteur geführt, später hatten ihr Großvater und Vater die Position inne. Dass sie die Verantwortung nun schon so jung übernehmen muss, ist die Schuld der mächtigen Feinde des Blattes.

Am 12. Dezember 2006 starb ihr Vater Gebran, damals Chefredakteur und Führer der Zedernrevolution, bei einem Autobombenanschlag in Beirut. Erst zwölf Stunden zuvor war er auf dem Flughafen von Beirut gelandet, nach mehreren Monaten in Paris, wohin sich die Familie aus Sicherheitsgründen zurückgezogen hatte. Ein Kuss auf die Wange im Halbschlaf war das Letzte, was Nayla von ihm mitbekam.

Auf einmal lag es an der damals 23-Jährigen, die Zeitung, das Land und die junge Generation in die Zukunft zu führen. »Noch auf der Beerdigung kam ein Freund meines Vaters zu mir«, erzählt mir Nayla, als ich sie in Beirut anrufe. »Er sagte: ‚Du kannst jetzt einfach im Libanon weiterstudieren und ein ganz normales Leben leben. Du kannst auch das Land verlassen. Oder du entscheidest dich, die Arbeit deines Vaters fortzusetzen.’ Obwohl ich so schwach war, dass ich kaum sprechen konnte, wusste ich sofort, dass ich weitermachen würde.«

Nayla war von Anfang an mehr als die Erbin einer Zeitungsdynastie. Noch während ihres Studiums der Journalistik schrieb sie als Praktikantin die ersten Artikel für An Nahar. Am Ende wurde sie eingestellt, weil es ihr Ressortleiter so wollte, nicht die Familie. »Die Familie schenkt ihr nichts«, sagt auch Naylas Großvater Ghassan Tueni, der nach dem Mord an seinem Sohn die Chefredaktion wieder übernommen hat. »Wenn sie eines Tages Chefin von An Nahar werden will, muss sie es sich verdienen.« Im Vorstand muss sie sich nun als Jüngste in einer Riege alter Männer behaupten – als einzige Frau. Wird sie Chefredakteurin, stände im patriarchal geprägten Libanon zum ersten Mal eine Journalistin an der Spitze des Blattes.

»Natürlich ist es für mich als 26-jährige Frau schwerer, mir Respekt zu verschaffen, als für meinen 86 Jahre alten Großvater«, sagt Nayla. »Es wird nicht leicht, die Zeitung und den Verlag zu führen.« Dass sie die Tochter Gebran Tuenis ist, macht es aber einfacher: »Die Menschen haben an meinen Vater geglaubt und jetzt unterstützen sie mich.« Nayla weiß um diesen strategischen Vorteil und nutzt ihn, aber sie ruht sich nicht darauf aus: »Ich will beweisen, dass eine Frau eine Zeitung führen und Verantwortung übernehmen kann. Und gleichzeitig will ich zeigen, dass ich nicht nur die Tochter eines guten Journalisten bin, sondern selbst eine gute Journalistin. Mein Vater hat mir einen Namen vermacht, ich muss mir jetzt einen Vornamen machen.«

Manchmal, wenn sie wieder im gepanzerten Wagen durch die Stadt fährt und sich nichts sehnlicher wünscht, als einfach nur allein spazieren zu gehen, oder wenn auf den Straßen Beiruts wieder geschossen wird und die PolitikerInnen sich nicht einigen können, dann träume auch sie kurz davon, den Libanon zu verlassen und ein normales Leben im Ausland zu führen. »Aber von meinem Vater habe ich gelernt, an dieses Land zu glauben und dafür zu kämpfen.«

Text: Chris Köver

Aus: Missy 01/08, Oktober 2008