Was sie schon immer tun wollte
Zelda Sayre Fitzgerald lebte in den Zwanziger Jahren, wie es ihr gefiel. Vieles, was unter dem Namen von F. Scott Fitzgerald erschien, hatte sie geschrieben. Was wäre heute aus ihr geworden?
»Der Name einer Dame sollte nur dreimal im Druck vorkommen: bei ihrer Geburt, bei ihrer Heirat und bei ihrem Tod.« Anfang des 20. Jahrhunderts, als Zelda Sayre Fitzgerald in Montgomery, Alabama, aufwächst, ist das ein ernst gemeinter Grundsatz. Zelda hat ihn offensichtlich als Herausforderung verstanden, in ihrem Leben genau das Gegenteil zu erreichen. Sie und ihr Ehemann, der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald, werden zum Glamour- und Skandalpaar der Zwanziger Jahre. Im Nachhinein lassen sie Kate Moss und Pete Doherty wie blasse NachahmerInnen aussehen: Sie feiern und trinken sich durch das New Yorker Nachtleben. Sie brechen nachts betrunken in die Küche des Waldorf Astoria ein und tanzen auf dem Tisch. Sie lassen sich johlend auf dem Dach eines Taxis durch Manhattan fahren. Noch bevor Zelda ihr 22. Jahr vollendet, ist sie auf den Titelseiten aller wichtigen Klatschblätter der USA und Europas.
Aus heutiger Sicht ist die junge Zelda das, was man eine coole Frau nennt. In ihrer Heimatstadt Montgomery gilt sie als Draufgängerin. Von einer »Southern Belle« wird damals erwartet, sie solle zierlich, fügsam und möglichst unauffällig sein. Zelda dagegen steht von Anfang an am liebsten im Mittelpunkt. Sie tanzt den als anzüglich gelten den Charleston und trägt zum Schwimmen einen engen fleischfarbenen Badeanzug, der sie aussehen lässt, als sei sie nackt. Und während »ehrenwerte« Mädchen damals allenfalls ihrem Verlobten einen verschämten Kuss auf die Wange geben, flirtet und knutscht Zelda, mit wem es ihr gefällt. Ihr Ruf ist entsprechend miserabel, aber als jüngste Tochter eines angesehenen Richters kann sie sich das erlauben. Zelda war nicht die einzige junge Frau, die sich damals austobte. In der kurzen Zeit vor der Weltwirtschaftskrise, den »Roaring Twenties«, hießen Frauen wie sie »Flappers«, und sie lebten, wie es zuvor keine Frau in den USA oder in Europa gewagt hatte: Sie trugen Lippenstift und kurze Kleider, fuhren Auto, gingen nachts in Jazzclubs und tranken öffentlich Alkohol. Zelda schreibt über diesen Frauentyp und damit letztlich sich selbst rückblickend: »Sie erwachte aus ihrer Lethargie, schnitt sich das Haar kurz, (…) wappnete sich mit großer Kühnheit und viel Rouge und schritt in die Schlacht. Sie flirtete, weil es Spaß machte zu flirten, und trug einen eng anliegenden Badeanzug, weil sie eine gute Figur hatte; sie (…) malte sich an, weil sie es nicht nötig hatte, und sie lehnte es ab, sich zu langweilen, weil sie nicht langweilig war. Sie war sich bewusst, dass alles, was sie tat, das war, was sie schon immer tun wollte.«
An einem Juliabend im Jahr 1918 lernt Zelda im Country Club den jungen Leutnant Scott kennen, er ist damals 22, sie 18. Die beiden verlieben sich sofort heftig ineinander. An Zeldas Gewohnheiten in Liebesdingen ändert das aber wenig. Sie verlobt sich zwar mit Scott und hat auch keine Bedenken, schon vor der Hochzeit mit ihm ins Bett zu gehen (»Wir hatten hemmungslosen Sex«, notiert Scott später fassungslos in seinem Tagebuch). Sobald er aber außer Sicht ist, knutscht und flirtet sie weiter. Als er ihr daraufhin eifersüchtige Szenen macht und sie zur Hochzeit drängt, löst sie die Verlobung.
Irgendwann schafft Scott es doch, sie zu überzeugen. Am Ostersonntag 1920, kurz nachdem er mit seinem ersten Roman »The Other Side Of Paradise«über Nacht berühmt geworden ist, heiraten die beiden in New York. Zelda wird Scotts Muse, die Vorlage für nahezu jede seiner späteren Romanheldinnen. In der Öffentlichkeit ist sie Mrs. Fitzgerald, die schöne und wilde Ehefrau des »genialen« Autors.
Was weniger bekannt ist: Sie war selbst eine begabte Schriftstellerin. Mehrere Kurzgeschichten, die unter Scotts oder ihren beiden Namen erscheinen, stammen allein von ihr – so zum Beispiel die 1925 veröffentlichte Story »Our Own Movie Queen«. Scott gibt hier nur den letzten Schliff, trotzdem stimmt Zelda diesem Textklau zu: Die Texte bringen mehr Geld, wenn ihr Name ungenannt bleibt – ein durchschlagendes Argument für das Paar, das mit Geld nicht umgehen kann und ständig verschuldet ist. Scott übernimmt auch immer wieder ganze Passagen aus Zeldas Tagebüchern und Briefen für seine Romane. Bei all dem lässt ihn Zelda gewähren. Sie will nach eigenem Bekunden gar nicht berühmt werden, sondern möchte lediglich etwas Eigenständiges in ihrem Leben erreichen, mehr sein als Scotts Frau. Glücklich ist sie mit der Situation trotzdem nicht. In ihrer späteren Rezension eines seiner Romane für die New York Tribune stichelt sie: »Mir war, als hätte ich einige Stellen aus einem alten Tagebuch wieder erkannt, das mysteriöserweise kurz nach meiner Heirat verschwand, ebenso aus Briefen. Mr. Fitzgerald scheint der Überzeugung zu sein, dass Plagiat daheim beginne.«
Ein Kind (Tochter Scottie wird 1921 geboren und größtenteils von Kindermädchen erzogen), viel Alkohol und noch viel mehr Ehedramen und Skandale später, wird Zelda mit 30 Jahren in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Bis zu ihrem Tod im Alter von 48 Jahren wird sie diese nicht mehr oft verlassen. Auf Anraten ihrer Ärzte schreibt sie schließlich 1932 innerhalb weniger Wochen ihren einzigen Roman »Save Me The Waltz«. Als Scott herausfindet, dass sie darin die gleichen Erlebnisse aus ihrem
gemeinsamen Leben verwertet, die er für seinen Roman »Tender Is The Night« beansprucht, ist er außer sich. Er beschimpft sie als »drittklassige Autorin« und fordert, sie solle die entsprechenden Passagen streichen: »Ich bin der professionelle Schriftsteller und sorge für dich. Das ist alles mein Material, nichts gehört dir.« Zelda gibt nach und Scott hilft ihr großmütig dabei, das Manuskript »zu überarbeiten«. Der Roman erscheint schließlich ohne die kritischen Stellen und bleibt weitgehend unbeachtet.
Was heute aus Zelda geworden wäre? Vermutlich hätte sie ähnlich viele Paparazzi an den Hacken wie die heutigen Skandalgarantinnen Britney Spears und Amy Winehouse. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass Zelda ein längeres Leben gehabt hätte. Statt der Schizophrenie, die man ihr diagnostizierte, würde man bei ihr heute wohl eine manisch-depressive Störung feststellen und diese ordentlich behandeln. So wäre sie vielleicht nicht so jung während eines ihrer Aufenthalte bei einem Klinikbrand gestorben. Stattdessen würde sie sich beim Ingeborg-Bachmann-Preis einen Eimer Schweineblut über den Kopf gießen, eine ihrer sich rasend überschlagenden Geschichten vorlesen und danach von der Literaturwelt als begnadete Chronistin ihrer Generation gefeiert werden.
TEXT: CHRIS KÖVER
Aus: Missy 01/08, Oktober 2008