Die Protagonistinnen in ihren Drehbüchern sind Randgestalten: sympathische Mistbauerinnen, die trotzdem klarkommen. So wie sie selbst: Diablo Cody, Ex-Stripperin, Oscar-Gewinnerin und eine der begehrtesten Nachwuchs-Autorinnen Hollywoods. Ihr neuester Coup: ein Horrorfilm.

Es ist erst sechs Jahre her, da stand Diablo Cody, bekleidet mit nichts als einer blonden Perücke und einem Paar schwarzer Stilettos, auf der Bühne eines heruntergekommenen Strip-Clubs in Minneapolis und versteigerte ihre Unterhose an eine Horde johlender College- Boys. Fünf Jahre später nimmt sie lächelnd von Harrison Ford den Oscar für das beste Drehbuch entgegen, den sie für ihr Debüt »Juno« gewonnen hatte. Das sind nur zwei der Highlights aus dem Leben der Frau, die seit dem überraschenden Erfolg ihres Erstlings – mit mehr als 200 Millionen US-Dollar an den Kinokassen die erfolgreichste Indie-Produktion aller Zeiten – zu Recht als eines der heißesten Talente in Hollywood gehandelt wird.

Der Erfolg katapultierte die 31-jährige Cody von Minnesota nach Los Angeles und dort in eine Position, für die sich viele DrehbuchautorInnen freiwillig ein bis zwei Finger abhacken würden. Als Autorin und Produzentin arbeitet sie mit Steven Spielberg zusammen an der Showtime-Serie »United States of Tara«. Die Geschichte über eine Vorstadt-Hausfrau mit multiplen Persönlichkeiten hat dem Sender dieses Jahr die höchsten Einschaltquoten seit 2004 beschert und wurde nach nur vier Folgen für eine zweite Staffel verlängert. »Wenn jemand mir das vor fünf Jahren gesagt hätte, ich hätte es nicht geglaubt«, sagt Cody. Auch sonst scheint die Autorin hyperaktiv: Seit »Juno« hat sie acht weitere Drehbücher geschrieben, die derzeit alle in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung stecken und für die sie zum Teil siebenstellige Summen einstreicht. Und ganz nebenbei hat sie auch den Stellenwert von weiblichen Netzwerken ganz gut begriffen: Mit den Drehbuchautorinnen Lorraine Scarafia, Liz Meriwether und Dana Fox – alle wie sie um die 30, umwerfend und ebenfalls sehr erfolgreich in Hollywood – arbeitet sie nicht nur regelmäßig zusammen. Die vier machen auch als eine Art weiblicher Gegenentwurf zu den bekannten Boy-Entourages um Schauspieler wie Seth Rogen die Premierenpartys unsicher und lassen die Herren in der Filmindustrie in ihren Armani-Anzügen erzittern. Die »New York Times« widmete der Autorinnen-Gang im März integrieren Aufmacher-Artikel, seitdem heißen sie nur noch »The Fempire«. Sieht man Bilder von ihnen, denkt man unwillkürlich daran, dass selbst die dämlichste Party auszuhalten ist, wenn man nur die richtigen Leute dabei hat.

Dass Cody so sehr im Rampenlicht steht, während viele talentierte DrehbuchautorInnen froh sein dürfen, einen Platz am Katzentisch zu bekommen, liegt sicher auch an ihrer mehr als schillernden Biografie. Aufgewachsen als Tochter liebevoller Mittelstandseltern in einem Vorort von Chicago besucht Brook Busey-Hunt – so ihr Taufname – eine katholische Schule und studiert dann an der University of Iowa Medienwissenschaften. Dort liest sie die feministischen Klassiker, macht brav in acht Semestern ihren Abschluss und sucht sich einen Job in einer Werbeagentur – soweit alles sehr vorhersehbar. Eine unerwartete Wendung nimmt Codys Leben, als sie sich – gelangweilt von ihrem Job in der Agentur – als Stripperin bewirbt. Ein Jahr lang strippt und schlängelt sie sich über männliche Schöße und durch die fiesesten Löcher der Sex-Industrie von Minneapolis (inklusive einem Sexshop, wo sie sich in der Peepshowkabine stundenlang selbst befriedigt, während Kunden ihr durch eine Scheibe zusehen). »Ich bin ein Adrenalin-Junkie. Ich dachte, ich mache lieber etwas Draufgängerischeres, als den Rest meines Lebens in einem Vanille-Gefängnis zu verbringen«, kommentiert sie später lakonisch.

Ihre Erfahrungen verarbeitet Cody als Blog – »Pussy Ranch« entwickelt sich zum absoluten Netz-Hit und wird zur Vorlage für das 2006 erscheinende Buch »Candy Girl«, das aus der Hobbystripperin Cody in den USA eine Fernsehberühmtheit macht. Klar, Sex und Pornografie interessieren ohnehin jeden, aber Cody schreibt dazu pointiert und witzig, das kommt gut an. Sie beginnt, ein Drehbuch zu schreiben, den Rest der Geschichte kennt man. Codys Figuren sind, wie sie selbst, oft Anti-Heldinnen; sympathische, eigenwillige Nerds, die Mist bauen und am Ende trotzdem klarkommen. Randfiguren, die aber in ihren Geschichten in den Mittelpunkt rücken, so wie Cody selbst als Außenseiterin in den Inner Circle der Schönen, Reichen und Braungebrannten einzog – nicht trotz, sondern gerade aufgrund ihrer Eskapaden. Da ist Juno, die großmäulige 16-Jährige mit einem Faible für Horrorfilme, die nach ihrem ersten Mal ungewollt schwanger wird und über die Cody sagt: »Es gab keine authentischen Teenagerheldinnen im Film. Und ich wollte eine Ikone schaffen. Manche Frauen wollen nämlich Heldinnen sein.« Juno macht einen Fehler, bekommt dafür aber narrativ keinen moralischen Deckel verpasst: Ihre Geschichte endet nicht in einer Katastrophe.

Und dann ist da Tara, die Mutter und Ehefrau, die damit beschäftigt ist, ihre Familie, ihren Job und ihre multiplen Persönlichkeiten in Schach zu halten und im Grunde ganz gut zurechtkommt – wenn man bedenkt, dass sie sich ab und zu für einen Vietnam-Veteranen hält und die Freunde ihrer Tochter verprügelt.

Diablo Codys neuester Coup »Jennifer’s Body« geht noch einen Schritt weiter: In diesem feministisch angehauchten Horrorfilm, den sie zusammen mit der Regisseurin Karyn Kusama umgesetzt hat, ist die Perspektive komplett weiblich. Die Heldin Needy (Amanda Seyfried), klein, bebrillt und intellektuell, ist seit Kindertagen Jennifers beste Freundin. Aber die Freundschaft hat sich verändert, seitdem Jennifer das Alpha-Girl der Schule ist. »Hell«, so weiß Needy schon am Anfang des Films, »is a teenage girl.« Wie »böse« Jennifer jedoch tatsächlich ist, wird Needy erst klar, als sie die Freundin blutverschmiert in den Eingeweiden ihrer männlichen Mitschüler wühlen sieht – später stellt sich heraus: Sie ist von einem Dämon besessen, den sie füttern muss. Die Verwirrungen, die jedes Mädchen als Teenager durchmacht, und die Gewalt, die sich Mädchen untereinander antun können, sind die zentralen Themen. Und die ZuschauerInnen bekommen nicht nur eine Heldin, sondern einen weiblichen Killer gleich dazu – eine ziemliche Premiere im Horrorgenre.

Der Film sei eine Hommage an die Lieblingsstreifen ihrer Jugend, sagt Cody. Schon als Mädchen habe sie sich in Horrorfilmen am ehesten wiedergefunden: »Wenn ich Filme wie die ‘Goonies‘ oder ‘E.T.‘ gesehen habe, waren das immer nur Jungs, die Spaß hatten. Wenn ich ‘Nightmare on Elm Street‘ gesehen habe, war das ein Mädchen, das einen Typen mit Pizzagesicht verprügelte. So einfach war das.« Die Idee war, eine Art »trojanisches Pferd« zu schaffen, so Cody, einen doppelt kodierten Blockbuster, der auf feministischen Ideen aufbaut und zugleich – getarnt als Mainstream-Horror – ein Massen- Publikum anspricht. Das erklärt auch, warum der Welt derzeit liebste Sexbombe Megan Fox in der Hauptrolle gecastet wurde – eine Entscheidung, für die Cody in feministischen Kreisen einiges einstecken musste. Das Experiment muss vorerst als gescheitert bezeichnet werden: Der Film hat bisher gerade mal etwas mehr als seine Produktionskosten eingespielt und ist in Deutschland mit nur sechs lausigen Kopien gestartet. Er ist trotzdem eindeutig der bislang beste Horrorfilm des Jahres. Und unsere Feministin in Hollywood wird so schnell sicher nicht aufgeben.

Diablo Cody »Candy Girl. A Year in the Life of an Unlikely Stripper« (Gotham 2006) 224 S. Ca. 10 Euro. Die zweite Staffel von »United States of Tara« läuft ab Anfang 2010 im US-Sender Showtime.

(Text: Chris Köver. Erschienen in: Missy 04/09)