Kann man im Mainstream-Fernsehen Geschichten unterbringen, die Geschlechterrollen umkrempeln? Man kann es zumindest versuchen. Eine Spurensuche in der US-Serien-Landschaft.

Amerikanische Fernseh-Serien sind auch hierzulande seit ein paar Jahren auf dem Vormarsch – egal ob als DVD-Box, im Internet heruntergeladen oder online geschaut. Selbst der bildungsbürgerliche Kanon lobt mittlerweile die Fortschrittlichkeit, den Mut und die Offenheit vieler jüngerer Showformate. Oftmals zu Recht: Die Serie hat sich längst zum hochwertigen Kulturprodukt entwickelt, das Moralfragen stellt, epische Erzählbögen spannt und Charaktere über mehrere Staffeln zu neuen, auf dem Fernsehbildschirm bislang ungeahnten Tiefen entwickelt. Doch wie sieht es eigentlich mit feministischen und queeren Figuren und Handlungen aus? Gibt es ProduzentInnen und Sender, die sich trauen, Geschichten abseits der immer gleichen Rollenbilder zu erzählen? Oder gleicht es angesichts von starren Senderabläufen- und -Politiken einem Wunder, wenn eine gute Geschichte dann doch mal gesendet wird? So zumindest äußerste es der Serienmacher Rob Thomas einmal in einem Interview.

Tatsächlich ist es heute kaum noch möglich, eine Serie zu produzieren, ohne Geschlechterrollen zu reflektieren. Aber ist zum Beispiel Carrie Bradshaw, die Protagonistin von »Sex and the City«, schon dann eine feministische Heldin, wenn sie ihr eigenes Geld verdient, offen über Sex redet und sich des Faktors Frauensolidarität bewusst ist? Sind Serien wie »Sex and the City«, die sehr wohl »You go girl« rufen, ermächtigend, ermutigend, feministisch? Nein, das Gegenteil ist der Fall: Sie sind bunt verpackte Messlatten dafür, wie das Leben sein könnte, wenn man Diät hielte, sich dem Sport widmete, fleißig und gleichzeitig irre locker wäre. Statt Rollenbilder zu hinterfragen, zementieren sie diese und erhöhen den Druck.

Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen starken Frauenfiguren und feministischen Charakteren. Starke Frauen werden entworfen, weil es eine Frauenbewegung gab, die Rollenbilder veränderte, so dass brave, naive Figuren heute nicht mehr als Identifikationsmodelle taugen. Zuschauerinnen wollen heute starke Frauenfiguren. Explizit feministische Figuren sind hingegen immer noch rar. Sucht man nach aktuellen Beispielen für Seriensituationen, in denen das F-Wort zuletzt positiv besetzt auftauchte, findet man lediglich die ABC-Sendung »10 Things I Hate About You«. Dort soll in einer Folge die Schülerin Kat, politisch und streitlustig, einen Aufsatz über den Tag schreiben, der ihr Leben verändert hat – und wählt dafür jenen aus, an dem sie das erste Mal »Das andere Geschlecht « von Simone de Beauvoir las.

In der Geschichte der Serie seit den 1970er und 80er Jahren gab es immer wieder unabhängige und starke Frauenfiguren, manche von ihnen sogar explizit feministisch. Die erste starke Frauenfigur im Fernsehen war Mary Tyler Moore, Star der gleichnamigen Show. Sie verkörperte in den 1970ern die typische unverheiratete, arbeitende US-Amerikanerin. Der Begriff Feminismus blieb trotzdem außen vor.

Das änderte sich erst mit Beatrice Arthur. In der Serie »Maude« spielte sie eine feministische Aktivistin in ihren Vierzigern, die im Laufe der Erzählung sogar eine Abtreibung vornehmen lässt – damals ein Riesentabu. Die meisten werden Beatrice Arthur aus ihrer späteren Rolle als Dorothy in »Golden Girls« kennen, eine strukturell ähnliche Figur, die vor allem durch ihre sarkastischen Bemerkungen auffällt. Die 1980er brachten uns dann Marcy D’Arcy auf die Bildschirme. Die Nachbarin von Peggy und Al Bundy in »Eine schrecklich nette Familie« verdiente im Gegensatz zu ihrem Mann das Geld, war bekennende Feministin und setzte Al Bundys dämlichen NO MA’AM-T-Shirts ihr FANG (Feminists Against Neanderthal Guys)- Pendant entgegen. Leider oder: natürlich war Marcy die Lachfi gur der Serie.

Eine Figur, die vor allem in den Teen-Formaten immer wiederkehrt, ist das Anglo-American- Girl. Beispiele dafür sind Kelly Taylor (Jenny Garth) aus »Beverly Hills, 90210«, aber auch Veronica Mars (Kristen Bell) aus der gleichnamigen Serie und Buff y Summers (Sarah Michelle Gellar) aus »Buff y the Vampire Slayer«. Im Gegensatz zu Kelly, deren Aktionsspielraum zwischen Tochter, Zicke, Freundin und später noch Mutter variierte, durften Veronica und Buff y immer wieder über sich selbst hinauswachsen, die ihnen zugewiesenen Rollenbilder konterkarieren, selbstbewusst, witzig, widersprüchlich, klug und unabhängig sein. Beide übernehmen zudem traditionell männlich besetzte Rollen: Die eine ist Noir-Detektivin, die andere Vampirjägerin und Actionheldin. Joss Whedon, Schöpfer von Buff y und ausgewiesener Feminist, hat dazu in Interviews immer wieder erklärt, dass er einfach keine Filme mehr sehen wollte, in denen ein blondes Mädchen in eine dunkle Gasse läuft und dort von einem Monster getötet wird.

So fantastisch ihre Abenteuer auch sein mögen – Buffy und Veronica sind realistischere Heldinnen, als die meisten anderen Teen-Formate sie bieten. Ihre Probleme, Geschichten und Konflikte mit Monstern, Vampiren, Drogendealern, Eltern oder LehrerInnen beschreiben auf teilsfurchteinflößend präzise Weise die Kämpfe und Widersprüche junger Frauen in der modernen Welt. Doch besonders in diesem Zusammenhang gerät das Äußere der Schauspielerinnen immer wieder ins Kreuzfeuer. Egal, wie fortschrittlich manche weiblichen Figuren in den aktuellen Serien sind, sie werden meist von sehr schlanken, der Hollywood-Schönheitsnorm entsprechenden Schauspielerinnen verkörpert, die aussehen, als ob sie jede freie Minute mit Diäten und einem Personal-Trainer verbringen würden. Das ist auch bei Veronica und Buffy nicht anders, die beide äußerlich dem Klischee vom blonden, naiven, schwachen, aber attraktiven Mädchen entsprechen.

Im Gegensatz zu anderen Serien, die diesen Widerspruch zwischen Girlie-Look und Heldinnen-Dasein nicht aufgreifen, ist dieser Kontrast in »Buffy« und »Veronica Mars« aber gerade der Punkt: Dass ein blondes, süßes Mädchen die Bösen in den Arsch tritt und als mutige Heldin ihre Familie, ihre Freunde und ab und zu auch mal die ganze Welt rettet, ist genau die Fallhöhe, die diese Serien ausmacht.

Damit solche Geschichten in Zukunft öfter erzählt werden, brauchen wir mehr FeminstInnen oder zumindest Menschen mit einem Bewusstsein für Genderrollen an den Schaltstellen – sei es als ProduzentInnen, RegisseurInnen oderAutorInnen. Roseanne Barr weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig diese kreative Kontrolle ist: »Mit meiner Show ›Roseanne‹ war ich nicht den Launen der Autoren ausgeliefert, die bestimmten, wer ich war und was ich sagen würde. Ich war eine starke Frauenautorin. Und ich kontrollierte das Schreiben für die ganze Show.«

Ob diese AutorInnen, RegisseurInnen oder ProduzentInnen dann Männer oder Frauen sind, ist eigentlich egal. Trotzdem sind die Geschlechterverhältnisse in der Branche bislang ernüchternd. Eine Studie des »Center for the Study ofWomen in Television and Film« der San Diego State University stellte fest, dass im Herbst 2007 rund 70 Prozent der Filmbesprechungen in US-Publikationen von Männern geschrieben wurden. Die Verteilung in den Schreibräumen der TV-Shows sieht genauso düster aus: Der Anteil der Frauen beträgt hier nur 32 Prozent. »Mad Men« ist momentan die einzige Serie im US-amerikanischen Fernsehen, die deutlich mehr Autorinnen als Autoren beschäftigt; darunter auch Marti Noxon, Feministin, erfolgreiche Drehbuchautorin und in dieser Funktion bereits für wunderbare »Buffy«-Folgen verantwortlich. Auf den ersten Blick ist »Mad Men« eine Serie über Männer in den frühen 1960ern, über ihre Karrieren, Rangeleien und heimlichen Affären. Auf den zweiten Blick hat man es mit einer präzisen Analyse der Geschlechterverhältnisse zu tun.

Die Frauen in der Serie sind Gefangene der Rollenzementierung ihrer Zeit, die heute zumindest für Teile der westlichen Gesellschaften überzeichnet scheint. Jeder noch so kleine Sieg im Kampf um Anerkennung von Betty, Joan und Peggy wird als befreiend und gleichzeitig einengend erlebt. Die fast vollständige Abwesenheit von Gleichberechtigung führt die Notwendigkeit dieser umso deutlicher vor Augen, macht sie zum Gegenstand der Erzählung.

Einen anderen Weg hat die erfolgreiche Drehbuchautorin Diablo Cody beschritten, die sich selber in Interviews immer wieder als Feministin ausweist. Ihr Debüt »Juno« erzählte die Geschichte einer großmäuligen Teenagerin, die ungewollt schwanger wird und dennoch klarkommt, und brachte ihr 2008 den Oskar für das beste Drehbuch ein. Seit vergangenem Jahr schreibt und koproduziert sie zusammen mit Steven Spielberg die Serie »United Statesof Tara« mit Tony Colette in der Hauptrolle als Mutter, die an einer multiplen Persönlichkeitsspaltung leidet. Taras Kinder und ihr Mann müssen sich unter anderem mit der konservativen 50er-Jahre-Hausfrau Alice, dem übermaskulinen Vietnamveteranen Buck und dem nachlässigen Teenager T herumschlagen. Während das auf der einen Seite für wunderbar komische, dramatische oder traurige Momente sorgt, hat Cody hier einen guten Weg gefunden, um die verschiedenen Rollen darzustellen, mit denen Frauen heute jonglieren müssen. Ihre Mittel dafür sind komödiantische Übertreibung und der völlige Verzicht auf Opfergeschichten.

Wegbereiterin dieser neuen Comedywelle in Amerika, die Frauen zwischen Mitte 30 und Mitte 40 in den Mittelpunkt stellt, ist Tina Fey. Fey, ehemaliges Ensemblemitglied des NBC-Comedy- Klassikers »Saturday Night Live«, hat alle beschämt, die je behauptet haben, Frauen könnten nicht lustig sein. In ihrer Show »30 Rock« fiktionalisiert Fey ihre eigene Geschichte als Chef-Autorin von »Saturday Night Live«: Sie erzählt auf wahnsinnig komische Weise die Geschichten von Liz Lemon, einer nach äußeren Maßstäben erfolgreichen New Yorkerin, die aber immer wieder mit einem überfordernden Umfeld, ihren eigenen Ansprüchen und denen ihres konservativen Senderchefs zu kämpfen hat. Damit beweist Fey, dass es möglich ist, Frauenbilder parodistisch zu behandeln, ohne dabei auf misogynes Witzniveau zu rutschen.

Noch schwerer als feministische Figuren sind wirklich queere Themen im TV zu finden. Trotz des mittlerweile obligatorischen Quotenschwulen, dessen Geschichte oft stereotyp bleibt und am Rande der eigentlichen Handlung stattfindet, herrscht in den meisten Serien ein eindeutiges Hetero-Klima. Natürlich gibt es Spartenserien wie »L Word«; dort ist man sogar so weit gegangen, den transsexuellen Max (Daniela Sea) während des Umwandlungsprozesses von Frau zu Mann von seinem schwulen Freund schwanger werden zu lassen. Auch sonst wurde darauf geachtet, völlig unterschiedliche Lebenswelten moderner Lesben und Queers in Los Angeles zu berücksichtigen.

Die Bedeutung von Autorinnen und Autoren ist hier nicht zu unterschätzen: Alle Serien mit queeren Hauptfiguren hatten oder haben Queers im Schreibraum sitzen. Das ist auch aktuell bei »True Blood« der Fall. Dort stehen Vampire und ihre Unterdrückung symbolisch für die Kämpfe der Schwulen- und Lesben-Bewegung in den USA. Im Übrigen ist »True Blood« auch eine der wenigen Serien, die mit dem Bartender Lafayette einen schwulen, schwarzen und provokativ-witzigen Charakter als charismatische Nebenfigur hat.

Generell bieten sich Serien im Gegensatz zum Film eher dafür an, Figuren zu realisieren, die von bestehenden Geschlechternormen abweichen. Sie stellen nicht nur ein niedrigeres finanzielles Risiko dar, da selbst teuer produzierte Folgen weit unter dem durchschnittlichen Filmbudget liegen. Sie sind auch allgemein aktueller, weil sie in kürzeren Zeiträumen produziert werden. Das Wichtigste ist jedoch wahrscheinlich, dass sie einer Figur die Möglichkeit bieten, sich über einen längeren Zeitraum zu entwickeln.

Die Mehrzahl der klügeren und feministisch zu lesenden Serien sind überwiegend im amerikanischen Pay TV beheimatet: auf Showtime oder HBO. Beide Sender funktionieren nach einem AbonnentInnenprinzip und haben dadurch größere Budgets zur Verfügung als die meisten Kabelsender. So sind sie finanziell besser abgesichert und der kreative Spielraum ist größer. Da ist es nur passend, dass auf HBO in diesem Jahr endlich auch eine explizit feministische Serie anläuft: »Women’s Studies« ist die neue Comedyshow von Marti Noxon, die sich damit ein lang gehegten Traum erfüllt. Um größere kreative Kontrolle über den Schaffensprozess zu bekommen, hat sie gemeinsam mit Kollegin Dawn Parouse und der Hauptdarstellerin Diane Keaton eine Produktionsgesellschaft gegründet.

In der Serie selbst wird es um eine feministisch bewegte Professorin gehen, die frustriert ihren Uni-Job an den Nagel hängt und ein Pornomagazin für Frauen gründet. Andere SerienmacherInnen haben sich auf der Suche nach mehr Unabhängigkeit komplett vom Fernsehformat abgewandt und ins Internet verabschiedet: So lief Sarah Haskins Comedy-Show »Target Women«, in der sie die Frauenbilder der Werbung auf die Schippe nimmt, nur im Netz. Modelle, wie man mit Internet-TV Geld verdienen kann, gibt es leider noch nicht, es herrscht aber immerhin kreative GoldgräberInnenstimmung. Und von welchem Medium kann man das sonst behaupten?

Text: Nina Scholz | Redakteurin das Berliner »Hate Magazin« und bloggt auf taketheselies.blogspot.com über ihr Spezialgebiet: Fernsehserien.