Die Zwiespältigkeit der Konvention
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Sie sind noch immer nicht wegzudenken, die fiktionalen Fragen über ein Leben ohne Internet. Alltägliche Begegnungen mit einer Wahrnehmung des www als eindimensionalen Suchtfaktor, Anlaufstelle einer fieberhaften Suche nach kurzer Ablenkung, einer neuen Nachricht oder einer süßen Banalität im Workflow. Es war ein bisschen aufregend, als wir uns mit 16, weit entfernt von einem universitären Umfeld bei studiVZ anmeldeten um das social web mit ersten persönlichen Spuren zu füttern. Anfangs noch unschuldige Ablenkung von Hausaufgaben und Schulalltag war die Plattform letzten Endes unbedeutend und doch der Beginn einer Beziehung. Der internationalere Gigant Facebook ersetzte schließlich erste Liebschaften mit dem deutschen Pendant in Kinderschuhen; spätestens seit den Anfangstagen meines Blogs und zögerlichen Berührungen meiner Fingerspitzen mit dem 140-Zeichen-Format ist das web keine Sucht, sondern Leben, Inspiration und Arbeitsplatz, untrennbar verwoben mit offline-Geschehnissen.
Zahlenmäßig sind Frauen gegenüber Männern bei der Nutzung des social web überlegen, wie eine Statistik bei informationisbeautiful.net vergangenen Oktober zeigte. Sowohl die Gründe dafür als auch mögliche Resultate beschränken sich auf Spekulationen und Klischees über Frauen als das kommunikativere Geschlecht, als abhängiger von persönlicher Aufgehobenheit in einem intakten sozialen Netzwerk, nicht zuletzt süchtiger nach dem latest gossip. So weit, so flach. Zu vermuten bleibt jedoch, dass die Vernetzung von Frauen im Internet subtiler, oftmals persönlicher und weniger karrierebasiert funktioniert, beispielhaft dafür die anhaltende Debatte über die Präsenz männlicher Alpha-Blogger und die unzureichende Aufmerksamkeit für interessante, ebenso meinungsmachende und themenvielfältige Blogs der weiblichen Konkurrenz. Patriarchale Dilemmata in der nur beinahe grenzenlosen Freiheit und Weite des webspace, wenig verwunderlich zugleich, kann das Netz bei aller Zügellosigkeit doch nie mehr sein als ein von User_innen bis in kleinste Details gestalteter Spiegel realer Gesellschaften. Unzureichende Wahrnehmung von Frauen geschriebener Schmuckstücke der Blogosphäre und unbefriedigende Erklärungen zwischen mangelndem Egoismus und einer gläsernen Decke im virtuellen Raum.
Gleich ist auf beiden Seiten lediglich das Bauchgefühl eines nicht fassbaren Unbehagens angesichts der Machtkonzentration über persönliche Daten in den Händen von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Wie die Taz nach Veränderung der Privatsphäre-Einstellungen bei Facebook in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die letzte Zäune um intime Informationen einzureißen im Begriff war, berichtete, hielt Zuckerberg das Ganze für nicht mehr als eine Anpassung von „alten Konventionen“, zu denen für ihn die Definition eines Intimbereichs vorrangig zu zählen scheint. Die Arroganz seiner These basiert dabei allein auf der Kenntnis, dass Facebook für die meisten Nutzer_Innen längst zum elementaren Basic der virtuellen Kommnikation aufgestiegen ist. Neben in Sekunden zwischendurch getippter Pflege beruflicher, befreundeter und familiärer Kontakte, dem Hunger nach Information und der Organisation terminlicher Ereignisse sind Facebook sowie Twitter und vergleichbare social web – Plattformen wesentlich Foren der Selbstdarstellung. Miss Creative Classy hat dabei wunderbare Worte gefunden, um die Sucht nach Statuspdates zu umreißen – Charakterisierung eines Phänomens, dessen Versuchung in der Leichtigkeit der Mitteilung in Echtzeit liegt und die Grundlage bildet für eine verstrickte, zwiespältige, symbiotische Liebe zwischen Netz und digital native.