Medienberichten und auch dem Publikumsandrang zur Folge ist Berlin momentan das Mekka der Techno- und Clubkultur, in dessen Zentrum sich ihr Tempel, das Berghain mit der angeschlossenen Panoramabar, befindet. Dieser Club erreicht Superlativen, nicht nur durch das angeblich beste Soundsystem der Welt, das Aufgebot an prominenten DJs, die dort das freigeistige, feierwütige Publikum unterhalten, und die beeindruckenden Räumlichkeiten des ehemaligen Heizkraftwerkes – sondern auch durch seine Ausstattung mit hochkarätiger Kunst.

Die Panoramabar im zweiten Stock hat in diesem Januar ein „face-lift“ verpasst bekommen. Dabei wurden auch die Kunstexponate ausgewechselt. Bleibt man bei der Gleichung des Tempels, so kann man weiter spinnen, dass sich hier, an dem höchsten und verborgensten Punkt – in der Panoramabar im zweiten Stock, um die Ecke, hinter der Bar – der heilige Gral befindet. Vor der Renovierung war das die „Muschi“: Auf Wolfgang Tillmans riesiger Fotografie nackt, 2003, (1,32 x 2 m) präsentierte sich dem Publikum die unbedeckte Vagina einer Frau, die mit gespreizten Beinen auf einem Hocker sitzt. Jetzt streckt sich den BetrachterInnen dort auf gleicher Bildfläche ein nackter Männerhintern entgegen, dem eine Hand hilfreich die eine Pobacke zur Seite spreizt um den Blick auf den Anus freizugeben.

Ich halte beide Bilder für großartig (was mit Sicherheit ein wenig mit meiner Tillmanskunst-Verliebtheit zusammenhängt.) Aber den Austausch der Fotografien an dieser Stelle bedaure ich sehr. Schließlich ist jedes Kunstwerk auch ein Statement, das sich im Kontext von Ausstellungsraum und Publikum unterschiedlich formuliert und so verschiedene Dialoge zwischen BetrachterInnen und Werk hervorbringt. Mein Dialog mit der „Muschi“ war recht komplex. Im Umfeld der kargen Architektur, unterlegt von sterilen Elektrobeats und über dem oft synthetisch beeinflussten Publikum, lümmelte sie da mit entzückender Unverstelltheit, die mir fern von Exhibitionismus erschien, auf dem Hocker.

Von wegen unscharf: Etwas verschwommene Aufnahme der berüchtigten Berghain-Muschi. Foto: mlaiacker, CC
Von wegen unscharf: Etwas verschwommene Aufnahme der berüchtigten Berghain-Muschi. Foto: mlaiacker, CC

„Das Arschloch“ hingegen präsentiert sich durch die gebückte Haltung des Besitzers und die Hilfe der fremden Hand auf eine viel aggressivere und verstärkt sexuell auffordernde Weise. Im Umfeld des vor allem von Schwulen geprägten Publikums und der sehr gleichgeschlechtlich orientierten freien sexuellen Atmosphäre, hatte „die Muschi“ etwas Versöhnliches. Sie war der Nenner, unter dem sich alle Feiernden versammelten, da sie die Gleichheit im Ursprung aller Menschen illustrierte (es sei denn man kommt durch einen Kaiserschnitt zur Welt). Außerdem erschien sie mir immer wie eine Postulierung des weiblichen Geschlechts, als Gegenentwurf zum überwiegend männlichen Publikum. „Das Arschloch“ spiegelt nach meinem Empfinden jedoch die vorherrschende sexuelle Orientierung in diesem Umfeld nur wieder. Es kommentiert sein Umfeld durch eine Wiederholung, statt etwas hinzuzufügen. Nackt hat darüber hinaus nicht nur das unmittelbare Umfeld kommentiert, sondern bereicherte auch durch ein kunsthistorisches Zitat. Die Fotografie war eindeutig eine Neuinterpretation von Gustave Courbets Gemälde Der Ursprung der Welt von 1866, welches den freigelegten Unterleib einer Frau abbildet.

Vielleicht ist das Arschloch ja eine Fortführung oder Neuinterpretation der Muschi, wenn man es auf seine sexuelle Komponente hin auslegt. Auf den Ursprung der Welt kann ich es nun aber nicht mehr beziehen. Bei der ersten Begegnung zwischen mir und dem „Arschloch“ (ob das Bild einen offiziellen Titel hat, weiß ich leider nicht) fiel der Dialog ein wenig einsilbig aus, aber vielleicht müssen wir ja auch erst noch miteinander warm werden. Man verrät sich ja schließlich selten gleich alles bei der ersten Begegnung.

Text: Janina Scheidmann