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Heute bin mal nicht ich der „Stargast“, sondern im Mittelpunkt steht die Musikerin, Labelbetreiberin und Radiomacherin Gudrun Gut, die ihren 50. Geburtstag feiert. Am Dienstag habe ich einen Ausflug nach Schöneberg gemacht, ins Headquarter ihres Labels Monika Enterprise. Anlass war ein neues Album, das sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Antye Greie gemacht hat.

Auf dem neuen Album haben die beiden experimentellen Elektronikmusikerinnen ihre geballten musikalischen und menschlichen Erfahrungen zusammengeworfen – die neun Jahre jüngere, in der DDR sozialisierte Greie und die in der Lüneburger Heide aufgewachsene Gut, die man aber inzwischen als Berliner Urgestein bezeichnen kann. Auf die Frage was Greie an Gut so faszinierend findet, folgt eine Lobpreisung nicht nur einer tollen Musikerin, sondern auch eines wichtigen weiblichen Rollenvorbilds. Als dann noch das Wort Legende fällt, grinst Gut ein wenig verlegen, sagt „Ach“ und wischt es mit der Hand weg. Aber natürlich weiß sie um ihre musikalische Bedeutung und ihrer Vorbildrolle.

Gudrun Gut 2010
Gudrun Gut / Foto: Barbara Mürdter

Als Teenager war sie nach Berlin gekommen – zum Studieren, aber auch, um die Stadt zu erleben. Sie stürzte sich in die Schöneberger Szene, arbeitete in einem Plattenladen und betrieb später den eigenen Laden „Eisengrau“ mit Bandkollegin Bettina Köster, wo Punkmode verkauft wurde und der auch Kassettenlabel war.

Mehr und mehr wandte sie sich der Musik zu. Die erste Band war Mania D mit Köster und Beate Bartel. Die selbstbewussten Mädel, die ohne große musikalische Vorkenntnisse einfach loslegten, erregten schnell Aufsehen in der Berliner Szene. Es war die Zeit der Neuen Deutschen Welle, des New und No Wave – die Berliner Undergroundszene war zwar bitterarm, aber innovativ. Es herrschte eine musikalische Aufbruchstimmung. Auf die Frage nach Rollenvorbildern sagte Gut (die nebenbei auch zu den Gründungsmitgliedern der Einstürzenden Neubauten gehörte) damals, dass sie zwar Liebelingsmusiker hätten, aber deren Musik nicht nachmachen würden: „Die Musik kommt aus uns heraus.“ Musikerinnnen, an denen man sich orientieren konnte, gab es um 1978 eh kaum – zwei der wichtigsten und im Zweifelsfall auch die einzigsten waren Nico und Pattie Smith. Die Frauenband machten sich nicht nur Freunde – einigen Männern, aber auch Frauen waren sie zu forsch und souverän im Auftreten. Es gab heftige Sprüche und Keilereien. Als „emanzipatorisch“ (=feministisch) wollte Gut ihre Arbeit damals aber nicht sehen.

Video: Mania D ca. 1980
Video: Gudrun Gut Interview ca. 1980
Video: Malaria! – Your Turn To Run (1981)

Nach Mania D ging es mit Malaria! weiter, die sogar international bekannt wurden und in New York nicht nur spielten, sondern auch aufnahmen. Offiziell existierte die Band 12 Jahre, aber die wichtigste Zeit bleibt die bis 1983, als das kulturelle Rückgrad, die Berliner Szene, sich zu kommerzialisieren begann. Trotz aller Bewunderung blieb der kommerzielle Erfolg der Band aus – ihr erster und einziger Top 10 Hit war der Chicks On Speed Remix von „Kaltes Klares Wasser“ – im Jahr 2000. Gut spielte gleichzeitig auch in der Band Matador und arbeitete als DJ. Sie begann sich immer mehr für elektronische Musik zu interessieren und mit Computern zu arbeiten.

In den 90ern begann sie mit der kanadischen Künstlerin Myra Davis zusammen zu arbeiten und ging mit ihr unter dem Namen Miasma auf Tour. „Da gab es eine klare Arbeitsteilung: Sie war für die Texte und Inhalte zuständig, und ich für die Musik,“ erzählt Gut.

Video: Intro MIASMAMovie / Soundtrack: Gudrun Gut
Video: Gudrun Gut / Anita Lane: Firething (1996)

Mitte der 90er sammelte sie alte und neue Weggefährten zusammen – unter anderem Blixa Bargeld und Anita Lane – und veröffentlichte in Kollaboration mit ihnen ein „Pseudo-Soloalbum“ (O-Ton Gut). Das Album wurde 2004 von renommierten Musiker/innen noch einmal remixed, z. B. von Ellen Allien und Guts Lebensgefährten Thomas Fehlmann.

1997 folgte dann das erste und bisher einzige Soloalbum „I put a record on“. Gleichzeitig fing sie an, den Ocean Club auf dem Berliner Sender radio eins zu gestalten und gründete – während der Zeit des Labelsterbens antizyklisch handelnd – ihr eigenes Label Monika Enterprise. Für diese suchte sie vor allem nach Künstlerinnen und Bands mit signifikanter Frauenbeteiligung. Sie veröffentlichte die ersten Alben von damals aufstrebenden jungen Bands wie Contriva und den Quarks, aber auch Platten von ihrer Altersgenossin Michaela Mélian, die um 1980 mit der Band FSK bekannt geworden war.

Video: Gudrun Gut: Celle (1997)
Video: Gudrun Gut und Michaela Melián Little Sister (Nico)

Mit „Baustelle“ folgt nun eine neue Arbeit, die das Thema Gender evoziert, ohne dass es die Künstlerinnen in den Mittelpunkt gestellt sehen wollen: Sie hätten halt beide gerade gebaut, als sie mit der Zusammenarbeit begonnen haben. Dass der Bauarbeiter ein urmännliches Klischee ist, sei da eher ein Nebeneffekt gewesen. Aber Greie betont noch einmal die Wichtigkeit von alternativen Rollenvorbildern für Frauen, und solchen Frauen wie Gudrun Gut: „Zu sehen, die macht das so viele Jahre und mit so einer Standhaftigkeit – das ist eine Eigenschaft, die Frauen sowieso haben. Aber aus irgend einem Grund gibt es sehr wenig Vorbilder.“

Für die erste Single haben sie einen alten Song von Palais Schaumburg ausgegraben, einer NDW-Band aus Hamburg, die zur gleichen Zeit wie Malaria! aktiv war und zu der u. a. Thomas Fehlmann gehörte.

Video: Greie Gut Fraktion: Wir bauen eine neue Stadt

Rückblickend besonders auf den Beginn ihrer Karriere sagt Gut: „Das war halt wichtig für mich in der Zeit. Das ist ein Teil von mir, so wie alte Liebschaften, die Schwester, oder der Bruder. Und für meine musikalsiche Geschichte ist es wahrscheinlich wichtig. Aber persönlich – das ist jetzt so lange her, und ich habe ja immer eine intensive Zeit gehabt. Es war ja nie so, dass ich mich zurückgelehnt habe und gesagt habe, ach, was habe ich damals für tolle Sachen gemacht. Ich habe ja immer weiter gearbeitet. Aber prägend war es auf jeden Fall.“

Danke an Gudrun Gut für 30 Jahre tolle Musik, Labelarbeit – und Vorbildrolle – sagt

Eure Barbara / Popkontext

Auf die nächsten 30!