In ihrem ersten ins Deutsche übersetzten Roman „Traumfabrik“ knöpft sich die Schwedin Stridsberg starken Stoff vor: die amerikanische Extremfeministin Valerie Solanas. Man kann aber nicht nur über Valerie Solanas lesen, sondern auch von ihr: zum Beispiel in „SCUM Manifesto – Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“. Da steht unter anderem Folgendes:

„Heute ist es technisch möglich, sich ohne Hilfe der Männer zu reproduzieren und ausschließlich Frauen zu produzieren. Wir müssen sofort damit beginnen.“

„Der Mann braucht Sündenböcke, auf die er seine Fehler und Unzulänglichkeiten projiziert und an denen er seine Frustration darüber abreagiert, daß er keine Frau ist.“

Solanas 1968 erstmals erschienenes Manifest gibt es seit Anfang September anlässlich Stridbergs „Traumfabrik“ in einer Neuauflage bei Philo Fine Arts für 10 Euro.

Über „Traumfabrik“ schreibt Rezensentin Agnès Toulas in der aktuellen Missy:
Valerie Solanas ist vor allem für zwei Dinge bekannt: den Mordversuch an Andy Warhol 1968 und das „SCUM Manifesto“, in dem sie ein flammendes Plädoyer für die Abschaffung der Männer hält. Nach einer von sexuellem Missbrauch gezeichneten Kindheit studierte die 1936 in New Jersey geborene Solanas Psychologie. Man vermutet, dass sie sich danach mit Prostitution über Wasser hielt, bevor sie sich 1966 in New York niederließ, wo sie das Theaterstück „Up Your Ass“ verfasste. Der Versuch, es von Andy Warhol produzieren zu lassen, scheiterte. Solanas bewegte sich weiter im Kreis von Warhols „Factory“, fühlte sich aber gleichzeitig von ihm ausgenutzt. Nach den Schüssen auf Warhol saß sie ein paar Jahre im Gefängnis, verfolgte ihn weiter, wurde immer wieder in die Psychiatrie eingewiesen und geriet allmählich in Vergessenheit. 1988 starb sie einsam in einem Obdachlosenheim in San Fransisco. Valerie Solanas’ schlecht dokumentiertes Leben räumt viel Platz für Spekulationen ein. Insofern erscheint Sara Stridsbergs Entscheidung, ihren an dieses Leben angelehnten Roman „Traumfabrik“ mehr als literarische Fantasie denn als klassische Biografie zu konzipieren, sinnvoll. Sie verzichtet auf eine chronologische Erzählung und erfindet Dialoge mit real existierenden Personen, wie Solanas’ Mutter Dorothy, und fiktiven Figuren wie Cosmogirl. Sie geht so weit in ihrer Bekenntnis zur Fiktion, dass sie Konversationen zwischen der Erzählerin (Stridsbergs Alter Ego) und Solanas inszeniert, in denen diese sich über die Art und Weise beschwert, wie ihre Geschichte erzählt wird. Schnell wechselnde Szenerien, Refrains, dazwischen geschobene Fragen, allein stehende Dialoge und sogar Listen: Elemente der Lyrik, des Dramas und des Films fließen hier ein. Der Text ist in seiner Form so extrem und experimentierfreudig wie seine von Stridsberg schillernd imaginierte Protagonistin, die sich weder Professoren noch Richtern oder Psychiatern beugt. Auch aus feministischen Kreisen fliegt sie wegen ihres sexy Erscheinungsbilds und ihrer radikalen Positionen raus und wird trotz allem bis zum Schluss mantraartig beteuern, sie sei die einzige Frau, die nicht wahnsinnig sei. In Schweden erregte „Traumfabrik“ große Aufmerksamkeit und erhielt 2007 den Literaturpreis des Nordischen Rates, die wichtigste literarische Auszeichnung Skandinaviens. Schon in ihrem 2004 erschienenen Debüt „Happy Sally“ hatte Stridsberg sich mit einer historischen Frauenfigur auseinandergesetzt, nämlich Sally Bauer, die 1939 als erste Skandinavierin den Ärmelkanal durchschwamm. In ihrem dritten Roman „Darling River“ hingegen, der im März in Schweden herauskam, widmet sie sich einer fiktiven Figur: Nabokovs Lolita.
Rezension: Agnès Toulas, aus Missy Magazine #03/10
Sara Stridsberg „Traumfabrik“ aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, S. Fischer, 384 S., 21,95 Euro.