cul-de-sac11Im September läuft der Film Cul-de-Sac (Missy präsentiert) auf dem Leipziger Lesbentreffen. Es geht um eine junge Iranerin, die in Teheran von der Uni flog, als sie an einem Film über Lesben im Iran arbeitete. Sie floh nach London, nahm dort das Studium wieder auf. Doch ihr Visum lief aus, ihr drohte die Abschiebung. Was sich wie ein interessanter wie brisanter Plot liest, ist die wahre Geschichte der Aktivistin und Filmemacherin Kiana Firouz.

Anlass genug für Missy, mit einem der beiden FilmemacherInnen zu sprechen: ein Interview mit Ramin Goudarzi Nejad.

Wie bist du Kiana das erste Mal begegnet?

Kiana ist zum ersten Mal mit mir durch meinen Film „have I ever happened“ in Kontakt gekommen. Der Film handelte von einer lesbischen Iraniern, die in Großbritannien Asyl suchte. Kiana war zu dieser Zeit noch im Iran. Sie rief mich an und erzählte, dass sie einen Dokumentarfilm über lesbische Iranerinnen machen wolle und fragte nach Ratschlägen. Leider musste sie nach einer Reihe von Zwischenfällen den Iran verlassen und ihr Projekt unvollendet zurücklassen. Wir trafen uns ein Jahr später, 2009, in London in einem TV-Studio und Mahshad Torkan und ich boten ihr an, in unserem Film sich selbst zu spielen… und wir machten es.

Was  gab den Ausschlag, diesen Film zu machen? Auch wenn es keine offiziellen finanziellen Hilfen oder Sponsoring vom Staat oder NGOs gab? Woher kam die Motivation?

Ich bin Filmemacher, Journalist und Menschenrechtler. Ich habe schon seit 2007 an diesem Projekt  gearbeitet als ich meinen vorherigen Film „have I ever happened“ produzierte. Bisher hat sich kein anderer iranischer Regisseur – auch nicht in eine konservativen Form – diesem Thema angenähert, so dass wir es für die rechte Zeit hielten, damit an die Weltöffentlichkeit zu gehen. Sicherlich ist auch Kianas Courage als erste lesbische Iranerin vor der Kamera zu stehen und ihre  Rechte und die vieler anderer zu kämpfen, ein weiterer wichtiger Punkt, der uns inspirierte.

Die iranische Regierung, Gesellschaft und auch Familien brechen und verstoßen gegen die Rechte Homosexueller. Sie haben nicht einmal die Chance über ihre sexuelle Orientierung zu irgendjemandem zu sprechen, allein gelassen riskieren sie über ihre Rechte zu sprechen. Wenn die Regierung ihre sexuelle Orientierung herausfindet, sind Homosexuelle Bestrafungen ausgesetzt, die bei  Wiederholungen bis zur Hinrichtung und zum Todesurteil führen können. Leider haben wir im Iran in den letzten Jahren von vielen solcher Schicksale erfahren müssen.

Wir empfanden dieses Thema unterrepräsentiert und ebenso überzeugend für uns, dieses unausgesprochene Tabu im öffentlichen Bewusstsein zu reflektieren: im Iran und weltweit. Wir hoffen, auf diese Weise einen Weg zu finden, das gewalttätige Vorgehen zu stoppen und andere zu motivieren, diese verletzliche Minderheit weltweit zu unterstützen. Wie wir schon erwähnten, ist dieser Film ohne finanzielle Unterstützung von privater oder öffentlicher Seite realisiert worden. Wir sind unabhängige FilmemacherInnen und glauben daran, für die Menschheit und Menschenrechte aufzustehen.

Was ist / war die beeindruckendste Erfahrung beim Dreh von Cul-de-Sac?

Filmemachen an sich ist eine beeindruckende Erfahrung, aber in diesem speziellen Fall waren wir mit vielen unerwarteten Herausforderungen während der Produktion konfrontiert: Kianas Asylantrag wurde zurückgewiesen und ihre Ausweisung war zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich. Das heißt also, dass sich ihr reales Leben mit der Filmstory mischte. Mahshad startete eine Kampagne, um Kianas Leben zu retten. Wir sammelten unglaublicherweise mehr als 50.000 Unterschriften im ersten Monat. Ich denke, die beeindruckendste Erfahrung war der Tag, an dem Kiana uns anrief und sagte, dass ihr Asylantrag angenommen wurde. Infolgedessen wurde die Kampagne in eine neue überführt, die sich für eine größere Zahl Homosexueller einsetzt, deren Asylanträge in den letzten Jahren abgelehnt wurden.

Sprechen wir ein bisschen mehr über den Film. Es gibt eine starke Verbindung zu Gedichten – wo kommt das her? Sind sie ein fiktiver Teil oder schreibt Kiana wirklich diese Gedichte?

Wir wussten, dass Kiana Gedichte und Kurzgeschichten schreibt. Wir fragten sie, ob sie uns einige von ihnen geben würde. Letztlich wählten wir eins aus und haben es mit ihrem Einverständnis in die Filmsprache übertragen. Ansonsten hat hauptsächlich Mahshad an den Filmgedichten gearbeitet. Wir haben versucht, eine poetische Atmosphäre für diese verbotene Liebe und all die verzweifelten Momente zu schaffen, denen Kiana ausgesetzt ist. Wir glauben, dass dies ein passender und kraftvoller Weg ist, dies alles auszudrücken.

Außerdem hat der Film einen starken jahreszeitlichen Bezug – London im Herbst -, der  Kianas hoffnungslose Situation zu unterstreichen scheint: Fallende Blätter, regnerisches Wetter, Verlassenheit, Verzweiflung… War das gewollt? Oder zufällig?

Natürlich sind alle Locations absichtlich und alle Elemente ausgewählt worden, um diese melancholische und deprimierende Atmosphäre hervorzuheben: Nichts passiert zufällig.

Bleiben wir bei den Bildern: Am Anfang und am Ende des Films sind Sequenzen in schwarz-weiß, wobei der restliche Film in Farbe ist. Was war hier eure Intention?

Der Establishing Shot zeigt eine Moschee und ist mit einem muslimischen Gebet (AZAN) vertont. Fast die ganze Sequenz ist Schwarz-weiß und eine Allegorie für das dunkle theokratische Regime, das Kiana umgibt; in dem sie zu leben und zu atmen versucht. Die Endsequenz handelt von der Sackgasse, die Kiana auch in Großbritannien geraten ist – ein Land, das die Genfer Konvention unterschrieben hat. Die Sequenz versucht den Fakt zu unterstreichen, dass Homosexuelle nicht nur Rechte in ihren Heimatländern haben, sondern auch in den neuen Ländern, von denen sie internationale Hilfe erwarten, Misshandlungen ausgesetzt sind.

Ein anderer Aspekt des Films ist die Musik. Es gibt Gebete, traditionelle Musik aus dem Iran, Rap und sich durch den ganzen Film ziehende Klaviermusik, die die verschiedenen Stimmungen – von Melancholie und Traurigkeit, von Hoffnung und Optimismus –  unterstreichen. Welche Rolle spielt die Musik?

Ich glaube, alle Punkte, die du genannt hast, treffen zu. Die traditionelle Musik passt sehr gut zu dem Charakter der iranischen Journalistin im Film, weil er ein nostalgisches Gefühl von IranerInnen, die im Exil leben, anspricht.

Roy Todd ist der Komponist und Performer der meisten Teile des Films. Seine Klaviermelodien sind sehr bewegend.

Der Rap stammt von Sayeh Sky, eine bekannte lesbische, iranische Rapperin, die kürzlich aus dem Iran in die Türkei geflohen ist und dort Asyl beantragt hat. Ihre Rapmusik und Lyrics hat sie meistens selbst geschrieben und repräsentieren die Gefühle und Gedanken von lesbischen Iranerinnen, die auf diese Weise herausgeschrien werden können. Wir fanden dies sehr relevant für unseren Film. Leider hat Sayeh Sky bisher noch nichts von der UN Kommissariat in der Türkei gehört. Wie uns erzählt wurde, erfährt sie mit anderen Homosexuellen aus dem Iran einige Schwierigkeiten in der Türkei. Die Türkei ist nicht unbedingt ein sicherer Ort für Asylsuchende, besonders Homosexuelle, die wegen kultureller Restriktion und ihrer Sicht auf bestimmte Minderheiten ihr Heimatland verließen.

Was für Reaktionen kamen bei den Screenings von Cul-de-Sac?

Cul-de-Sac feierte seine Premiere am 20. Mai 2010 in London. Wir erhielten eine Menge positiver Rückmeldungen, besonders von lesbischen Iranerinnen. Da ein Ziel des Film ist, die internationale LGBT Community zu mobilisieren, andere LGBT Mitglieder in weniger demokratischen Ländern zu unterstützen, glauben wir, dass der Film recht erfolgreich ist. Cul-de-Sac bekam globale mediale Beachtung und auch die britische Regierung nahm den Film zum Anlass, ihre Politik zu überdenken. Die Times schrieb im Mai 2010: „Kiana Firouz’s case is a test of the sincerity of Britain’s new government while the Conservative Party promised in its equalities manifesto to „change the rules so that gay people fleeing persecution were granted asylum.“ Das kontroverse Thema des Films veranlasste bisher viele Filmfestivals Cul-de-Sac einzuladen, was für uns eine weitere Bestätigung ist.

Plant ihr bereits Projekte wie dieses für die Zukunft?

Die Antwort ist ja. Aber es hängt von der finanziellen Unterstützung ab, die wir in Zukunft erhalten könnten. Ohne dies wird es schwierig werden, an solchen Projekten weiterzuarbeiten. Als unabhängige FilmemacherIn bist du sehr frei darin, was du tust, anderseits bist du aber limitiert in deinen finanziellen Ressourcen.

Gibt es Neuigkeiten von Kiana?

Ihr Asylantrag wurde angenommen und sie kann als Flüchtling in Großbritannien bleiben. Es geht ihr gut.

Missy-Tipp: Cul-de-Sac läuft auf dem Leipziger Lesbentreffen (14. – 17.10.2010). Missy verlost zusammen mit der Frauenbibliothek MONMAliesA dafür 2 x 2 Karten. Einfach eine Mail mit dem Stichwort „Cul-de-Sac” an redaktion@missy-mag.de schicken.