liverbirdsGestern rief Mary Dostal, Ex-Gitarristin der 60ies R&B Girl-Rock-Combo The Liverbirds bei mir an. Sie erzählte mir, dass die auf dem Hamburger Star Club Label erschienen Alben und Singles der Band nun wiederveröffentlicht wurden. 51 Jahre nach der Bandgründung.  Über die Liverbirds, die Urahninnen aller rockenden Ladies berichtete ich in Missy 02/2010. Mary, die in Hamburg lebt, hatte mir die Geschichte der Band erzählt. Ich dachte mir damals schon, das man irgendwie diese alten Aufnahmen wieder herausbringen sollte, denn bis auf ein paar Youtubeclips mit Aufzeichnungen der Fernsehshow Beat Club war es unmöglich, die Stücke zu hören. Kurze Zeit später war es soweit. Auf der Platte finden sich neben vielen Coversongs von Interpreten wie Chuck Berry und Bo Diddley auch zahlreiche Eigenkompositionen der Band. Mein Lieblingsstück ist Leave all you Old Loves in the Past, ein einfach rührender Song über die neue Liebe aus dem Jahr 1965. Die CD ist mit einem Booklet bestückt. Ausführlichen Linernotes und zahlreiche Fotos erzählen die Geschichte der Band. Manche Informationen sind mit Vorsicht zu genießen, weil ein gewissener Joe Flannery als Quelle genannt wird, der laut Mary die Band betrogen hat und bis heute falsche Informationen über sie verbreitet. Also lest lieber nachfolgend meinen Text, der hat die Fakten aus erster Hand.


»WIR SIND THE LIVERBIRDS«
»Vier Mädchen machen den Stones Konkurrenz«, titelt das »Hamburger Abendecho« im September 1965. Gemeint sind die Liverbirds, die mit gerade mal 18 Jahren von Liverpool aufbrechen, um als erste Girl-Rock-Band die Welt zu erobern.

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The Liverbirds

• Gegründet: 1962 in Liverpool • Aufgelöst: 1968 in Hamburg, weil zwei der Bandmitglieder Familien

Gründeten • Bekannt: In den 1960ern als die »weiblichen Beatles«, dann lange Zeit vergessen. Erst 1998 kam es zu einem von der Band Die Braut haut ins Auge organisierten Reunion-Konzert • Hätten bekannt werden müssen: Als Urahninnen der Riot-Grrrls. Sie waren eine der ersten All- Girl-Bands, brachten sich die Instrumente selbst bei und waren mit ihrem roughen Stil musikalisch ihrer Zeit voraus.

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Liverpool 1962. Der Cavern Club ist der angesagteste Club der ganzen Stadt. Hier spielen sie Rock’n’Roll und R’n’B, die coolste Musik der frühen 1960er. Hier treten auch die frühen Beatles auf, die gerade von ihrem vierjährigen Aufenthalt in Hamburg zurückgekehrt sind. Vier Mädchen, alle um die 16 Jahre, wollen rein und dazugehören. Aber so einfach ist das nicht, denn die vier – Mary McGlory, ihre Cousine Sheila, Valerie Gell und Sylvia Saunders – sind erstens noch nicht volljährig. Außerdem arbeiten sie alle in langweiligen Bürojobs – nicht die besten Voraussetzungen, um ins Cavern zu gelangen oder das Interesse der dort rumlungernden Objekte des Begehrens zu wecken. Im Nachhinein muss man sagen: Was für ein Glücksfall, dass die vier so versessen darauf waren, Teil der Cool Crowd zu sein. Denn um mit den angesagten Musikern der Stunde abhängen zu können, kaufen sie sich Instrumente und verkünden kurzerhand: »Wir sind The Liverbirds.« Die erste Girl-Rock-Band der Welt wird geboren. Es folgen Tourneen, Auftritte vor bis zu 20.000 Fans und Einladungen in die ganze Welt. Spielen können sie am Anfang zwar nicht, aber das macht erst mal nichts. Denn der Trick funktioniert: Eine reine Girl-Band ist eine noch nie da gewesene Sensation unter der gerade aufgehenden Beat-Sonne, und sie werden Stammgäste im Cavern Club. Irgendwann will Cavern-Manager Bob Wooler die Band dann doch live sehen. Die Mädels schwitzen, so richtig geprobt haben sie noch nie, aber jetzt aufzugeben wäre feige und so beginnen sie zu üben. Sie spielen, wie die anderen Bands damals auch, die angesagten Hits der Zeit: Chuck Berry, Bo Diddley. Ihre Vorbilder: Die Rolling Stones. Nach einem halben Jahr haben sie ihren ersten Auftritt im Cavern. Noch läuft es nicht so rund, man merkt, dass die Mädchen Anfängerinnen sind, und John Lennon lässt sich zu dem Kommentar hinreißen, dass Frauen und Rockmusik einfach nicht zusammenpassen. Die abfällige Bemerkung erfüllt ihren Zweck: »Danach wollten wir es den Jungs erst recht zeigen und wurden richtig gut«, erzählt Mary McGlory. Sie heißt mittlerweile Mary Dostal und lebt in Hamburg. Die Liverbirds halten nicht viel von der Behauptung, dass Frauen irgendetwas nicht könnten. Sie beginnen regelmäßig im Cavern aufzutreten und werden immer bekannter. Sheila McGlory wird von Pamela Birch ersetzt. Pam ist nicht nur eine tolle Musikerin und Sängerin, sondern hat auch einen extravaganten Stil und schreibt eigene Songs. In der neuen Besetzung touren die Liverbirds 1962 mit den damals noch recht unbekannten Rolling Stones
durch England. Die Kinks stellen die Band ihrem Produzenten Larry Page vor. Dieser lädt die vier Frauen zu Probeaufnahmen in sein Studio ein. Weil am selben Tag die Instrumente der Kinks gestohlen werden, spielen diese ihre berühmteste Nummer »You Really Got Me« auf den Instrumenten der Liverbirds ein. Nachdem ihr Manager sie betrügt, machen sich die vier auf die Suche nach neuer Vertretung. Als die Liverbirds wieder mal im Cavern spielen, ist Henry Henroid, der damalige Chef des Star Club, zu Besuch und hört die Band. Der Hamburger Club ist das Mekka der britischen Musikszene der frühen 1960er Jahre, wichtiger als Liverpool und London zusammen. Henroid bucht die Band für einen Zeitraum von sechs Wochen. Ein Riesentriumph. Jetzt gibt es nur noch ein Problem: Um im Star Club zu spielen, müssen die Frauen volljährig sein. Doch Sylvia ist erst 17, und die Eltern der Mädchen sind alles andere als begeistert von den musikalischen Ambitionen ihrer Töchter. Die vier versprechen, keinen Mist zu bauen, und so geben Sylvias Eltern, wohl mit der leisen Hoffnung, dass diese Phase schnell vorbei sein wird, ihre Erlaubnis.

»Vier Mädchen haben sich entschlossen, die Welt zu erobern und ein praktisches Beispiel der vielzitierten Gleichberechtigung zu geben.« (Flyer Beat-Festival, Stadthalle Wien, 12.03.65)

Die Eltern sollten sich dramatisch irren: Die Band erobert den Star Club im Sturm. Das Hamburger Publikum reagiert noch enthusiastischer auf die »weiblichen Beatles« als das britische. Männer wie Frauen drehen durch, sobald die Band die Bühne betritt. An dumme Sprüche von Männern erinnert sich Dostal nicht. »Wir hatten eher Angst, dass uns die Frauen als Konkurrenz empfinden würden, vor allem die Barfrauen im Star Club. Es gab dieses Ritual, dass sie die Lampen über dem Tresen zum Schaukeln brachten, wenn sie die Musik mochten. Bei unserem ersten Auftritt starrten wir total nervös auf diese Lampen. Als sie zu wackeln begannen, waren wir erleichtert.« Die Band spielt schneller und rougher als viele Bands der damaligen Zeit. Valeries tiefe Stimme korrespondiert wunderbar mit den Tunes. Doch der eigentliche Star ist Schlagzeugerin
Sylvia Saunders. »Sie hatte einfach eine wahnsinnige Ausstrahlung, und eine Frau am Schlagzeug war wirklich etwas Besonderes.« Nur die Outfits brauchten noch eine Überarbeitung: Die braven Röcke, die junge Frauen damals trugen, passen nicht zum harten Rock’n’Roll der Liverbirds. Astrid Kirchherr, die auch schon die Pilzköpfe der Beatles erfand, kleidet die Band neu ein: Sie tragen nun Herrenhosen, weiße Rüschenblusen und schwarze Herrenwesten. Die Abende im Star Club sind lang – meist dauern die Partys bis sechs Uhr morgens und danach geht es weiter ins Hotel. Als die sechs Wochen um sind, kommt Star-Club-Besitzer Manfred Weißleder auf die Band zu und bittet sie, auf seinem Label Star Club Records eine
Platte zu veröffentlichen. Das lassen sich die Liverbirds nicht zweimal sagen. Es folgen zwei Alben und fünf Singles, ihr Cover von Bo Diddleys »Diddley Daddy« schafft es 1965 auf Platz fünf der Deutschen Single-Charts. Bei einem Konzert in der Berliner Waldbühne bauen die Fans die Bühne unter ihnen ab.
1968 werden die Liverbirds nach Japan eingeladen. Doch Sylvia hat gerade geheiratet und ist schwanger. Sie kann nicht mitfahren. Auch Valerie kann nicht mit, ihr Ehemann verbietet ihr die lange Reise. Auf der Bühne mag die Emanzipation mit den Liverbirds zumindest begonnen haben – in der Gesellschaft hat sie es kaum. Mary und Pam spielen die Japantour mit Ersatz, so richtig glücklich sind sie aber nicht. Sie beschließen aufzuhören. Mary bleibt in Hamburg, heiratet, bekommt zwei Kinder und gründet den Ja/Nein Musikverlag. Val zieht nach München und Sylvia nach Spanien. Pam macht weiter Musik und arbeitet als Barfrau. Sie stirbt 2009 mit 65 Jahren. Obwohl die Liverbirds zumindest in Deutschland Stars waren, sind sie heute nur noch wenigen bekannt. Dabei waren sie nicht nur eine fantastische Live-Band, die die Menge zum Toben brachten, sie prägten auch ihren für die damalige Zeit eigenen Stil, der Garage-Rock-
Qualitäten hat. Zu einer Zeit, als es nirgends weibliche Vorbilder im Rock’n’Roll gab, brachten sie sich ihre Instrumente selber bei, schrieben ihre eigenen Songs und zogen erfolgreich ihr eigenes Ding durch. Man kann die Liverbirds definitiv als die Urahninnen aller rockenden Ladys bezeichnen.
30 Jahre nach Auflösung der Band kommt es zu einer Reunion. Die Bandmitglieder von Die Braut haut ins Auge sind große Fans der Liverbirds und organisieren einen Auftritt im Hamburger CCH. Dostal erzählt: »Das Konzert war großartig. Wir sind wohl die einzige Band, die im Original-Sixties-Sound spielt, weil wir zwischendurch nie wieder gespielt haben!« Und das ist wirklich schade. Text: Stefanie Lohaus