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Ab Samstag neu auf Kampnagel in Hamburg: ein Stück mit „dunklen Mädchen“ – so bezeichnet das Produzenten-Team die Gruppe an Künstlerinnen, die sie für die poptheatrale Umsetzung von Erik Saties Kammeroper „Socrate“ von 1917 gewinnen konnten. Im Klartext gibt es zu sehen: Musiktheater. Erik Saties minimales Spätwerk widmet sich in drei Teilen dem Leben und Sterben von Sokrates. Als Text verwendete Satie Ausschnitte aus der französischen Übersetzung von Platons Originaltexten über seinen Lehrer. Das Stück wird von vier Künstlerinnen gesungen und gespielt und von einer Band begleitet. So viel zu den Fakten. In der folgenden Gesprächsskizze gibt es eine Sammlung von Denkanstößen der künstlerischen Leitung (Thomas Fiedler, Jan Dvorak, Christian Wiehle) und der Darstellerinnen (Pia Burnette: Phaidon, Cordula Grolle: Phaidros, Jacqueline S. Blouin: Alkibiades, Franziska Junge: Sokrates). Da die Sprechreihenfolge aufgrund der Stimmanzahl nicht leicht zu rekonstruieren war, habe ich auf eine namentliche Trennung der Aussagen verzichtet. Habt Verständnis und Spaß.

I: Wer sind die „dunklen Mädchen“?
Das sind wir vier – die Band.
Naja, Music Hall ist die Band.
Ja, aber wir sind die Girlgroup sozusagen.

I: Kanntet ihr euch schon vorher?
Ne, wir wurden von der männlichen Crew, unseren drei Regisseuren, engagiert.
Zusammengecastet also.

I: Spielt ihr auch Instrumente?
Nicht in der Produktion.
Ich spiele Cello.
Stimmt, ich spiele Zimbel.
Die Band ist im Hintergrund auch mit auf der Bühne.
Das Ganze ist von Satie, eigentlich eine Oper für klassische Frauenstimmen. Jacky sagt auch immer so schön: wir haben das ganze verpoppt.
Dunkler-Mädchen-Style, sozusagen.
Das heißt, wir haben die Oper ins Jahr 2010 übersetzt. Mit einer Rockband, einer Lightshow und einer Popbühne. Die Geschichte ist die gleiche geblieben.

I: Wie fühlt sich das für euch an so wichtige Philosophen der griechischen Antike zu spielen?
Der einzige Philosoph ist eigentlich Franziska, wir anderen sind Schüler…
Nee, ich bin ja keine Philosophin, wir singen Erik Satie. Also ich spiele nicht Sokrates, das wäre auch vermessen, das zu behaupten.
Es ist im Stück nicht so, dass Sokrates irgendwelche Weisheiten von sich gibt. Das war sowieso nicht sein Ding. Er wollte nicht schlauer und besser sein als die anderen. Es ging ihm eher um eine Haltung und darum sich als Lehrer anzubieten, in den sich Schüler verlieben können.

I: Und was passiert in dem Stück genau?
Es gibt drei Teile. Das erste ist ein Portrait des Sokrates. Es geht darum, dass Alkibiades, das bin ich, ein Loblied auf Sokrates singt: wie sehr ich verliebt in ihn bin und wie toll er ist, ich lasse mich da voll darüber aus – über seine Genialität. Das Ganze passiert auf einer Party, wo wir uns systematisch betrinken und dabei philosophieren. Wir stellen das nach, holen das Publikum auf die Bühne und es darf mit uns trinken.

Im zweiten Stück geht es um Phaidros und Sokrates. Phaidros ist auch total verliebt in Sokrates und die beiden spazieren an einem Fluss. De facto passiert aber eigentlich gar nichts. Es ist eher eine Szene, in der man die Anziehung zwischen den Beiden spürt.
Diese Anziehungskraft liegt die ganze Zeit in dem Stück. Man hat quasi die Ebene unserer Beziehungen, aber auch diese sonderbaren Texte darüber, die teilweise stark symbolisch sind.

Es war Sokrates Mittel, zu ermöglichen, dass sich seine Schüler in seine philosophische Haltung verlieben konnten. Es ging weniger darum, das dann auszuleben, sondern eigentlich damit zu spielen und diesen erhöhten Seins-Zustand zu erreichen, den man während der Verliebtheit hat.
Verliebtheit als einen anregenden Zustand anzustreben, finde ich super spannend. Eigentlich suche ich das für mich als Künstlerin auch als Inspirationsquelle. Aber das ist ja heute gar nicht möglich: du darfst nicht untreu sein und viele Affären haben. Sokrates hat aber auch nicht rumgevögelt mit seinen Knaben, sondern hat das wirklich genutzt, um Wissen zu transportieren.

Im dritten und letzten Stück geht es um den Tod des Sokrates. Das ist eine Szene im Gefängnis, in der sich die Schüler noch mal um ihn versammeln, um Abschied zu nehmen. Das ist sehr traurig.
Er hat Gift getrunken. Zwar nicht freiwillig, aber er hat sich dazu entschieden nicht zu fliehen, um konsequent zu bleiben.
Und dadurch wurde er dann noch mehr zur Legende.

I: Und wie ist die popmusikalische Umsetzung dieses Stoffes entstanden, wie seid ihr mit Saties Stück umgegangen?
Die Töne blieben unverändert. Ich habe nichts umkomponiert, sondern nur neu instrumentiert – mit Bandinstrumenten eben. Nur den Schlagzeugpart habe ich hinzugefügt.
Die dunklen Mädchen haben vor der Sommerpause von mir eine Aufnahme mit Klavier und klassischer Sängerin bekommen und sich ihre Fassung vollkommen eigenständig erarbeitet. Nach der Pause war es total faszinierend zu sehen, was an völliger Neuinterpretation entstanden war.
Dieses Stück ist nicht wie ein Popsong, den du dreimal anhörst und dann kannst du ihn. Es fließt vor sich hin und nie wird ein Abschnitt wiederholt. Es braucht unglaublich viel Zeit, bis man sich das merken kann. Außerdem ist alles in einer anderen Sprache geschrieben (Anm.: französisch). Aber durch den mühsamen Arbeitsprozess ist es unser eigenes geworden.
Insgesamt entsteht eine Musikrichtung, die könnte sich gestern jemand ausgedacht haben. Ich glaube, dass das auch ein Ziel von uns ist, so einen merkwürdigen zeitlosen Zustand zu erzeugen, der von 400 v. Chr. bis heute reicht.

I: Könnt ihr erklären, warum männliche verliebte, sexy Philosophen von weiblichen Darstellerinnen gespielt werden? Wäre es nicht passender gewesen, das mit Männern zu besetzen?
Die Vorlage zum Musiktheater von Erik Satie schreibt nun mal die Frauenstimme vor und wenn man das jetzt mit Männerstimmen besetzt, verändert man das Werk in seiner Substanz radikal – das hätte dann nichts mehr mit Satie zu tun.
Naja, man hätte die Stimmen schon auch mit Countertenören besetzen können.
Ich glaube, dass du dich an einer Situation störst, die so ist, weil ich ein Mann bin und keine Frau. Nur diese Situation kann ich nicht ändern.
Ich hatte zuerst ein ähnliches Problem. Ich hatte das Gefühl, ich werde als Frau ausgestellt und soll komische sexy Gesten machen. Da hatte ich echt Schwierigkeiten damit. Im Laufe der Produktion habe ich entdeckt, dass darin auch Stärke steckt, diese männergemachte Schönheit selbst zu genießen.
Aber das arbeitet doch mit Gegebenheiten. Du bist ja Objekt, als Frau bist du einfach Objekt.
Die Frage ist nur, ob du dich damit ausstellst oder nicht.
Ich finde es selbstbewusster zu sagen, ja bitte, ich bin ein Objekt, und zu fragen, na, bin ich schön oder scheiße. Es ist doch Quatsch, das zu ignorieren und so zu tun, als wäre nichts.
Aber zeigt die weibliche Sexyness in dem Stück nicht einen Verlust der Sexyness auf männlicher Seite? Das unterstelle ich jetzt einfach mal, denn die alten Griechen fanden den männlichen Körper genauso sexy und erotisch, wie es heute vielleicht unter Schwulen selbstverständlich ist. Aber das Interessante ist, dass in der Antike zwar nicht alle schwul waren, aber das ganze Geschlechterverhältnis, auch zu den Kindern, zu den Knaben total anders war – das wird heute ganz anders beurteilt. Aber ich finde es interessant, genau darüber nachzudenken, weil das im Kopf etwas aufbricht, was in der Gegenwart so festbetoniert scheint. Deswegen glaube ich nicht, dass unser Projekt eines über Frauenrollen ist, sondern eines über Männerrollen. Weil du denkst, kann das sein, kann Sokrates so gewesen sein? Dann sagt man erstmal nein, auf keinen Fall. Unmöglich. Aber vielleicht ist es gar nicht so unmöglich. Das meine ich, der Hebel funktioniert in die andere Richtung.

Wann & Wo?
Samstag, 23.10.2010, 20 und 22 Uhr
Sonntag, 24.10.2010, 20 Uhr
Dienstag, 25.10.2010, 20 Uhr
Mittwoch, 27.102010, 20 Uhr
K2, Kampnagel Hamburg, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg, 12€ (8€ erm.)

Bild: Christian Wiehle