Gebärstreik
Von Denkwerkstatt
Weihnachten naht und die Berichterstattung rund um Shopping-Wahnsinn oder die größte Tanne in Klein-Gigritzpotschn ist um diese Zeit nicht tot zu kriegen. Aber wie Chris bereits erwähnt hat, wird in den kommenden Wochen das Fest der Liebe nicht im Zentrum meines Gastblogs stehen.
Im Übrigen gibt es auch viele andere Themen, die einfach nicht tot zu kriegen sind. So habe ich etwa vor einer gefühlten Ewigkeit eine Seminararbeit über den angeblichen „Gebärstreik“ von Akademikerinnen verfasst und seitdem vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht über einen Artikel stolpere, der sich um das Aussterben von uns Mitteleuropäer_innen sorgt.
Warum die Panik? (Fast ganz) Europa befindet sich in einer Phase des „beschleunigten demographischen Wandels“. Zusammengefasst heißt das: Seit über 150 Jahren sinkt die Geburtenrate, die Lebenserwartung hingegen steigt. Natürlich, die Sorge um den Erhalt einer ganz bestimmten Gruppe ist nicht neu. Schon im 18. Jahrhundert, als die „Bevölkerung“ als politisches und ökonomisches Problem auftauchte (siehe Michel Foucault), machte sich der Adel Gedanken um sein Blut. Und seit einigen Jahren scheint das wieder besonders aktuell zu sein.
„Europa stirbt aus“, „Unfruchtbare Elite“, „Generation kinderlos“ sind da nur einige Schlagzeilen aus den (deutschsprachigen) Medien. Obwohl viele Zukunftsszenarien, die da entworfen werden, eher einem Science-Fiction Film gleichen und auch Methoden der demographischen Forschung umstritten sind, herrscht Einigkeit darüber, dass die demographische Entwicklung ein furchtbares Problem darstellt. „Angesichts der tiefgreifenden Folgen des herrschenden Geburtenrückgangs sind nicht nur Anpassungs-, sondern auch Gegenstrategien zu entwickeln“, ist auf der Website des „Vienna Institute of Demography“ zu lesen.
Deutschland und Österreich werden bald nur noch von Rentner_innen bevölkert sein, die Renten kann keine_r bezahlen, das System kippt – so in etwa lautet die Prognose. Dass Alterssicherung nicht nur ein Problem der Demographie, sondern vielleicht auch eine Frage der Verteilung sein könnte, wird kaum noch diskutiert. Vielmehr rankt sich der Diskurs um sexistische und rassistische Vorannahmen, die sich mehr und weniger offensichtlich in die Debatten eingeschrieben haben. Vor nicht allzu langer Zeit waren es da noch die Karrierefrauen, die akademischen Hedonistinnen, die den demographischen Auftrag verweigerten. Die festgestellte „Bildungsabhängigkeit der Fertilität“ erinnert an einstige Diskussionen, ob ein Hochschulstudium nicht doch negative Auswirkungen auf die Fortpflanzungsorgane einer Frau haben könnte.
Aber da sind doch noch die politischen Rahmenbedingungen. Obwohl das unzählige Studien seit Jahrzehnten belegen, wird der Zusammenhang zwischen Geburtenraten und Betreuungseinrichtungen oder kinderfreundlichen Arbeitsmodellen in Österreich erst jetzt entdeckt. Mensch blickt nach Skandinavien, wo sich die Schwed_innen munter vermehren und die Isländer zumindest für ein Jahr den Nachwuchs hüten. Ein familienpolitischer Wandel scheint notwendig – sonst wären wir schließlich – Panik! – auf Migration angewiesen. Wie bekommen wir „unsere Frauen“ wieder dazu, Kinder zu kriegen, das ist die Frage.
Dementsprechend untersucht das Institut für Demographie auch die „fertility of immigrant women in Austria“. Wer sich also dafür interessiert, welche Themen den Diskurs um unseren Fortbestand beherrschen, braucht nur danach zu suchen, welche Parameter die demographischen Wissenschafter_innen beschäftigen und welche Studien von den Ministerien finanziert werden. Stoff für mindestens zehn Dissertationen (die da vermutlich längst im Entstehen sind). Denn was wir wohl eigentlich brauchen, ist eine Diskussion über die Diskussion.