denkwerstatt-rahmenEigentlich mag ich Weihnachten – die mehrtägige Völlerei, den teuren Rotwein und den klebrig-süßen Kinderpunsch und natürlich das Zusammentreffen mit alten Freundinnen und Freunden, die man schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hat, weil sie in Kopenhagen studieren oder in Frankfurt arbeiten. Zu Weihnachten treten sie alle die Heimreise an. Allerdings gibt es da natürlich nicht nur das Wiedersehen mit den Freund_innen, sondern auch mit der Verwandtschaft.

Und auf dieses Wiedersehen bereiten sich viele in meinem Bekanntenkreis bereits wochenlang mental vor. Zumindest alle, die nicht glücklich (heterosexuell) verheiratet sind, zwei Kinder haben, dazu zwei akademische Titel und eine beeindruckend bezahlte Festanstellung.

Im Kreise der Verwandten prallen nämlich meist sehr unterschiedliche (geschlechtlich codierte) Definitionen von Lebensglück, beruflichem Erfolg und Bildung aufeinander. Mindestens einmal pro Jahr muss mensch sich dann vor diesem Hintergrund  für das eigene Lebensmodell rechtfertigen und vor versammelter Mannschaft die bisher verbuchten Erfolge präsentieren. Und das kann einem durchaus den Weihnachtsbraten vermiesen.

Während der Bruder einer Freundin (36, ledig, ohne Partner/in, eigenes Unternehmen) etwa als unabhängiger, „nicht zu bändigender“ Erfolgstyp bei Familienfesten regelmäßig Bewunderung erfährt, wird sie (29) alljährlich dafür bedauert, dass sie „noch immer keinen Mann gefunden hat.“ Ganz klar, hier stimmt etwas nicht. Zu emanzipiert, lesbisch oder einfach zu ungeschickt? – wird hinter vorgehaltener Hand gerätselt. Schließlich dränge die Zeit, da sie ja doch nicht mehr allzu lange im „fruchtbaren Alter“ sei.

Sebastian (Name von der Redaktion geändert), ein Studienkollege, ist noch ärmer dran. Seit er vor drei Jahren seiner Verwandtschaft erklärt hat, dass er schwul ist und keine Schwiegertochter nach Hause bringen wird, wird bei Familienfeiern hinter vorgehaltener Hand beraten, ob da nicht doch ein Arzt etwas machen könnte.

Ich selbst liebe die Frage: „Und was machst du denn jetzt genau?“ ganz besonders. Von den verschiedenen Gesichtsausdrücken, die als Reaktion auf den Terminus „Gender Studies“ folgen, hätte ich gerne ein Fotoalbum. Auch das Wort „freiberuflich“ sorgt immer wieder für Verwirrung und wird von einigen Menschen mit „arbeitslos“ übersetzt. Nachdem ich im vergangenen Jahr jemandem in einer halbstündigen Ausführung erklären musste, was ich denn da genau im Zuge einer „Projektarbeit“ gemacht habe, kam als Antwort: „Nein, also meine Tochter habe ich eigentlich an die Universität geschickt, damit sie dann eine Arbeit bekommt.“

Wie gesagt, eigentlich mag ich Weihnachten.