Das wundersame Leben im Film
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Die Berlinale hat noch nicht einmal begonnen und ich habe bereits eine neue Lieblingsschauspielerin für mich entdeckt: Ronit Elkabetz, Israelin, Jahrgang 64.
Elkabetz ist gleich zweimal auf der Berlinale zu bestaunen, zum einen in dem Film der Regisseurin Michal Aviad „Invisible“, der im Panorama Weltpremiere feiert. Vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Dauerkonflikts spielt sie eine linke Aktivistin, die durch Zufall einer Fernsehreporterin begegnet, mit der sie ein schreckliches Schicksal teilt. Beide wurden von dem „polite rapist“, wie ihn die Presse einst widerlicherweise salopp nannte, vor Jahren vergewaltigt. Die beiden wunderbaren Frauen freunden sich an und beginnen sich ihrem Trauma zu stellen…
Zudem schlägt uns Ronit Elkabetz in dem Film der französischen Schauspielerin und Regisseurin Brigitte Sy „Les mains libres“ in den Bann. (Womit wir in dem abenteuerlichen Experimentierlabor des diesjährigen Forums-Programm gelandet wären.) Die mutige Filmemacherin erzählt ihre eigene Geschichte, nämlich die einer HIV-positiven Regisseurin, die sich bei dem Dreh zu einem Film im Gefängnis in einen Insassen – gespielt von dem ebenfalls sehr einnehmenden Schaupieler Carlo Brandt – verliebt. Liegt es an der jeweils weiblichen Regiehand oder an der nuancierten Schaupielkunst von Elkabetz – in beiden Filmen verfolgen wir innerlich bebend das Schicksal der jeweiligen Protagonistinnen und hoffen für sie inständig auf bessere Zeiten….Zwei Filme, die tatsächlich aus dem wundersamen Leben gegriffen sind.
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Nach soviel Lob muss auch mal eine Warnung ausgesprochen werden: E-love ebenfalls von einer französischen Regisseurin, nämlich Anne Villacéque und ebenfalls mit einem leider in einer völlig hanebüchenen, pseudomodernen Geschichte herumtapsenden Carlo Brandt, kann frau sich sparen und in der so gewonnenen Zeit lieber mit ihrem Steuerberater chatten…Dieser Film über eine hochneurotische Professorin, die von ihrem langjährigen Ehemann verlassen, sich mit bösen Männern aus dem Internet trifft und mit ihnen Sex hat, den sie später bitter bereuen wird, ist ein Paradebeispiel für jene Filme, von denen in diesem Blog schon öfter die Rede war…Grauenvoll.
Ebenfalls um eine Beziehung, nein halt zwei Beziehungen, die innerhalb von Gefängnismauern aufrecht erhalten werden, geht es dagegen in dem albanischen Film „Amnistia“: Einmal im Monat werden ein albanischer Ehemann und eine Ehefrau im Zuge der Stravollzugsliberalisierung zum einstündigen Beischlaf mit ihren jeweiligen Partnern in eine so was von abtörnende Gefängniszelle gesperrt. Die beiden begegnen sich durch Zufall und trauen sich in ihrem ärmlichen Alltag – ich hatte ja keine Ahnung wie heruntergekommen das heutige Albanien ist – eine Liebesbeziehung zu spinnen. Die Amnestie scheint dann zunächst einmal ihrer Liebe ein Ende zu setzen. Ein in – der Einsamkeit seiner Helden angemessenem – ruhigem Tempo und kühlen Farben erzählter Film, der mir eine Tür zu dem Nachbarland Albanien, von dem ich bislang nur sehr wenig wusste – und in dem Frauen anscheinend noch sehr unter patriarchalen Strukturen leiden – geöffnet hat.
Nicht nur filmische Welten liegen zwischen „Amnistia“ und dem Film „The Ballad Of Genesis And Lady Jaye“ – einem intimen Portrait über den Musikpionier Genesis Breyer P-Orridge (Throbbing Gristle, Psychic TV) und seine Frau Jacqueline Breyer alias Lady Jaye. Die Regisseurin Marie Loisier formiert die kühne Liebesgeschichte der beiden um ihre gegenseitige Geschlechtsangleichung mit dem Ziel durch Operationen eins zu werden, ein drittes, ein Pandrogyn. Ein überaus romantischer, sehr persönlicher und nicht zuletzt durch den überraschenden Tod von Lady Jaye im Jahre 2007 ergreifender Film, der uns nebenbei noch eine Menge über die Anfänge der Industrial Music erzählt. (Zum Abschluss der Berlinale, am 19.2. gibt Genesis Breyer P-Orridge übrigens noch ein Konzert im HAU)
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Sehr beeindruckt hat mich auch eine filmische Odyssee im Erdenraum: Volker Sattels Cinemascope-Dokumentarfilm über die Nuklearindustrie in Deutschland und Österreich mit dem zynisch anmutenden Titel „Unter Kontrolle“. Sattel zeigt uns die Arbeit in einem Atomkraftwerk, lässt Experten und Befürworter zu Wort kommen und enthält sich sowohl filmisch als auch inhaltlich jeglicher Wertung. Ganz strenger Chronist zeigt er uns die mechanisierte Welt einer überalteten Technik – die für den Menschen unvorstellbare Kräfte und Halbwertzeiten verwaltet. Der Zuschauer ist
gezwungen sich selbst mit den zusammengetragenen Fakten auseinanderzusetzen. Ein Ausspruch Albert Einsteins hängt für mich über dem Film wie ein Damoklesschwert: „Die Entfesselung des Atoms hat alles verändert, mit Ausnahme des menschlichen Denkens. Deshalb treiben wir auf eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu.“
Dieses Gefühl verfestigte sich leider auch noch umso mehr, als mir mein Sitznachbar, offenbar ein Bekannter Sattels, auf meine Bemerkung, ob in AKWs eigentlich nur Männer arbeiten würden, antwortete, ja und zwar hauptsächlich Ex-Bundeswehrsoldaten. Dann wies er mich auch noch auf den Abspann hin, Atomtechniker haben hier offenbar in einem einzigartigen Experiment – im Auftrag des wahnwitzigen Regisseurs – 35mm-Filmmaterial Gammastrahlen ausgesetzt…
Auf dem Nachhauseweg fiel mir ein weiterer Ausspruch Einsteins ein, der auch mein vorläufiges Fazit aus dem aufregenden Forumsprogramm sein könnte – in dem u.a. noch ein etwas zu lang geratener, aber nichtsdestotrotz sehr nachdenklich machender viereinhalbstündiger Film von Zeze Takahisa über eine Stellvertreterrache (Heaven’s Story) zu sehen ist:
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
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