Gebt der Putzfrau eine Stimme…
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Zum Auftakt des Berlinale-Wettbewerbs gab es heute einen im Ansatz sehr interessanten Film über die Auslöser der Finanzkrise – der mich dann letztlich jedoch nicht in seinen Erzählbann ziehen konnte:
Es handelt sich um ein Finanzdrama des Regie-Debütanten J.C. Chandor um den sogenannten „Margin Call“, ein Film der im Herbst 2008 am Vorabend der Finanzkrise spielt.
Chandors „Lehmann Brothers“ sind: Der junge Spock (Hinweis für Serienjunkies: Der Uhrmacher aus „Heroes“) Zachary Quinto, der den pfiffigen Ex-Raketenwissenschaftler und jungen Analysten Peter Sullivan mimt. Leider lenken mich dessen unglaubliche Augenbrauen immer ein wenig von seinem recht gekonnten Spiel ab. Weiterhin treten auf am Tag der Börsendämmerung: Stanley Tucci als Risikomanagement-Spezialist Eric Dale – der jedoch gleich zu Beginn des Films in einer vielversprechenden Szene gefeuert wird. An dieser Stelle begann ich auf einen ähnlich kritischen, womöglich auch nicht ganz humorfreien Film wie „Up in the Air“ mit George Clooney zu hoffen, dessen aalglatte Praktiken Mitarbeiter zu feuern von „Margin Call“ sogar noch übertroffen wird…(Bei den Finanzhaien bekommen die soeben Gefeuerten übrigens die Hochglanzbroschüre „Looking ahead“ ausgehändigt)
In der fiesen Geldmisere mit drin hängt auch noch Sam Rogers, gespielt von Kevin Spacey: Ein hohes Tier, seit über dreißig Jahren bei dem Unternehmen tätig. Sam, die treue Kaufmannsseele, beginnt während des Films, allmähliche leise Zweifel über den Sinn seiner Tätigkeit zu hegen. Nunja. Als sein krebskranker Hund Ella gegen Ende des Films gestorben ist, kann ich dennoch leider nicht so richtig mittrauern, weil mein Mitgefühl für Finanzhaie leider sehr begrenzt ist. An dieser vorurteilsbeladenen Einstellung vermag dieser letztlich recht harmlose und wenig provozierende Film, der mir das menschliche (und überforderte) Gesicht der
Finanzjongleure zeigen will, nur wenig zu ändern. Irgendwo auf der Karriereleiter steht auch noch Will Emerson, der von Paul Bettany verkörpert wird. Ach und ganz ganz oben mischt auch noch Jeremy Irons als moralloser Oberboss John Tuld mit. Sein erschreckend pragmatischer Schlussmonolog, als die Musik nach seinen eigenen Worten für einen Moment aufgehört hat zu spielen, also nachdem die Finanzblase geplatzt ist und seine Mannschaft durch Verkauf von wertlosen Giftpapieren wissentlich einen Menge Leute in den totalen Ruin getrieben haben, gehört für mich wiederum zu den stärksten Szenen des Films. Hier meint man Chandors Insiderwissen zu spüren, schließlich hat der Vater des jungen und durchaus sympathischen Regisseurs lange Jahre als Finanzberater gearbeitet.
Deshalb funktionieren die trockenen Dialoge über Wirtschaft auch recht gut in „Margin Call“ und später auf der Pressekonferenz gefallen mir auch die nachdenklichen Worte des Regisseurs über die „exzessive Gier“, der wir alle mehr oder weniger erliegen – nicht nur die „Monsterbanker“ – nur hätte ich mir von dem Film im Gesamten eine radikalere Botschaft erhofft. Stattdessen scheint es Chandon hauptsächlich um eine partielle Ehrenrettung der Investmentbanker zu gehen.
So richtig klar geworden ist mir durch den Film nur eines: Über jedem gierigen Entscheidungsträger steht anscheinend noch ein gierigerer Entscheidungsträger – an diesen wird Verantwortung einfach weiterdelegiert. Ganz oben auf der angesägten Leiter steht der maßlose Kunde, der einfach nur möglichst viel Profit machen will, also vielleicht auch wir.
Jeremy Irons hat es in der anschließenden Pressekonferenz ganz hübsch einfach auf den Punkt gebracht: „Das globale Bankensystem ist an sich unmoralisch, da jeder nur Profit machen will. Wir brauchen aber Moral, wir müssen uns z.B. auch um solche Menschen Gedanken machen, denen ihre Häuser weggenommen werden. In der Welt, wie sie ist, können wir so nicht weiterleben. Die Erde hat nur begrenzte Ressourcen – wir müssen einen Weg finden, sie gerecht zu teilen.“
Vielleicht hätte Chandor einfach noch ein paar vielschichtige Frauenrollen in seinen Film einbauen sollen, denn unseren – gestern vorgestellten – Bechdel-Test für „Frauenfilme“ besteht „Margin Call“ leider auch nicht: Zwar spielt noch Demi Moore als Hochrisikoanalystin mit und einen Namen hat sie auch, nämlich Sarah Robertson, aber nicht nur, dass sie nachdem sie ebenfalls gefeuert wurde, in einem Gespräch mit Eric zwischen den Zeilen bedauert nicht doch Kinder bekommen zu haben, statt sich in eine sinnlose Karriere zu stürzen – nein, sie steht zu allem Übel auch noch allein auf weiter Flur. Einmal begegnet sie im Aufzug einer sehr interessant wirkenden Putzfrau, aber die bleibt leider namenlos und stumm.
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