Öde Premierenpartys und schöne Tage in Indien
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Wenigstens eine Premierenparty auf der Berlinale mitzunehmen halte ich für meine Blogbürgerpflicht –auch wenn am nächsten (Sonntag!) Morgen der Wecker wieder um 7 Uhr klingelt, weil die erste Wettbewerbs-Pressevorführung bereits um 9 Uhr morgens stattfindet!
Dieses Mal lande ich auf der Premierenparty von „Almanya“ – ein fröhlich-klamaukiger, aber auch anrührender Film über eine Gastarbeiterfamilie, dieses Mal aber aus weiblich-türkischer Perspektive erzählt! Während der Vorstellung ertappte ich mich bei dem Gedanken, Thilos Sarrazin (samt seiner unbelehrbaren Frau) den Film, so wie einst Alex in Clockwerk Orange, zwangsgucken lassen zu wollen…
Beim Eintreten hoffe ich insgeheim, dass die Musik diesmal besser ist als die Location (eine ehemalige Sparkasse in der Potsdamer Str.) – schließlich handelt es sich ja um den Film der hippen Samdereli-sisters. Stattdessen erwartet uns, nachdem wir 20 Minuten in der Kälte stehen mussten ausgerechnet „Sunshine Reggae“. Auf dem
schmalen Gang zur Toilette, begegnet mir zwar nicht der Abteilungsleiter der Sparkasse, dafür aber die Praxisvertretung von Dr. Dressler aus der Lindenstraße. Na, das kann ja heiter werden. Wird’s aber nicht: Überall, wo meine Freundin und ich uns hinstellen, rammt uns nach kurzer Zeit das äußerst mobile Kamerateam der Partyrakete Dieter Moor. Auf der Tanzfläche flippt inzwischen ein äußerst gelenkiger Businessmann zu den Klängen aus der entschieden falschen Klamottenkiste aus.
Es gibt haufenweise Häppchen und literweise Raki, aber am DJ wurde anscheinend mal wieder gespart. Dabei hätte ein wenig Tanzsport auch mir nach all dem Kinogehocke ganz gut getan. Also nix wie raus hier (auch wenn Madonna in der Stadt weilt und das Gerücht aufkommt, sie würde noch mal reinschauen) – vorbei an Heike Makatsch und dem schnuckligen Fahri Yardim, der in „Almanya“, den Gastarbeiter Nr. 1000001 spielt. Auf der Pressekonferenz behauptete er keck, er sei in erster Linie nicht Deutschtürke, sondern Hippie, Spießer und auch Feminist – ob dem wirklich so ist, werde ich heute abend leider nicht mehr herausfinden.
Hachja, übrigens eine sehr lustige Szene auf der Pressekonferenz: Da stellte eine Journalistin mit starkem französischen Akkzent eine Frage an Fahri Yardim und sagt im Anschluss „Entschuldigen Sie mein schlechtes Deutsch.“ Sagt der in astreinem Alemannisch „Ich find’s gar nicht mal so schlecht.“
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=htEyPqZl6ys[/youtube]
Doch kommen wir jetzt zu etwas völlig anderem: Am Dienstag abend wird auf der diesjährigen Berlinale im Forum zum ersten Mal „Brownian Movement“ der niederländischen Regisseurin Nanouk Leopold gezeigt, ein Film in dem wir Sandra Hüller (Titelstory 2009 im Missy Magazine) in ihrer ersten englischsprachigen Rolle bewundern können. Im August letzten Jahres feierte der Film bereits auf dem Festival in Toronto seine Weltpremiere.
„I’m here with you now, so why can’t that be enough“ – sind die letzten Worte, die die unvergleichliche, furchtlose Sandra Hüller an ihren Ehemann richtet – seine vorausgehende Frage konnte ich leider nicht verstehen, weil ein letzter männlicher Filmkritiker geräuschvoll den Kinosaal verließ… Mir hat sich die stille Charakterstudie tief im Gedächtnis eingegraben, nicht zuletzt weil das unergründliche Lächeln, das Hüllers Mund manchmal umspielt, sich sofort magisch auf mich überträgt. (Und weil ich Hüller sowieso tagelang beim Schauspielen zugucken könnte.) Doch worum geht’s? Vater (Max), Mutter (Charlotte), Kind, wohlbetucht und wohlgebildet und von schönem Wuchs leben zusammen in Brüssel. Doch die in sich gekehrte Charlotte, die als Ärztin arbeitet, beschließt eines Tages eine Wohnung anzumieten, in die sie ein paar ausgewählte Patienten abschleppt – einen Vollbärtigen mit Halbglatze, der es ihr mit der Hand besorgt, einen fürchterlich behaarten (ja auch auf dem Rücken meine Damen) Sumo-Ringer ähnlichen Typ und einen steinalten Stecher mit unappetitlichem riesigen Leberfleck auf dem Rücken. Als sie auf einer Baustelle ihres gutaussehenden Ehemanns zufällig einen ihrer bizarren Liebhaber wiedertrifft und von ihm angesprochen wird, reagiert sie gewalttätig. Und ab geht’s zur Therapie – allein und auch als Paar. Herrlich anzuschauen, wie Hüller in ihrer Rolle als junge Medizinerin sich der Frage der Therapeutin, was diese Männer denn gehabt haben, was ihr Ehemann nicht habe, letztlich mit der Äußerung entzieht, wenn sie jetzt antworte, werde das alles noch schlimmer machen…Nachdem Charlotte im hochehrwürdigen Gerichtssaal die Approbation entzogen wurde, folgt sie ihrem Mann, dem Architekten, zu seiner nächsten Arbeitsstelle nach Indien. (Entrüsteter Kommentar eines weiteren männlichen Zuschauers: „Den Film
hätte man auch in Castrop-Rauxel machen können, das Drehteam hat sich einfach ein paar schöne Tage in Indien gemacht! Der hätte nicht einmal für’s Fernsehen getaugt, weil man gleich weitergezappt hätte. Seine schmallippige Sitznachbarin bestätigt ihm empört: Ich mag diese Hüller auch irgendwie nicht.) Hihi. Jedoch weiter im Film: Alles scheint zunächst wieder in Ordnung, die beiden haben sogar noch einmal Zwillings-Nachwuchs bekommen. Doch die scheinbar perfekte konventionelle Liebesbeziehung bekommt – Hurra! – wieder Risse… Wird Ihr Mann letzlich akzeptieren können, dass man nicht alles miteinander teilen kann?
Die Regisseurin Nanouk Leopold (Jahrgang 68) – Euch vielleicht bekannt durch ihren Film von 2007 „Wolfsbergen“ – moralisiert nicht, sie lässt die Kamera helle, saubere, großzügige, wohldurchdachte, jedoch vor Entbehrung strotzende Räume durchstreifen und verweilt nur allzu gern auf dem Gesicht ihrer unergründlichen Protagonistin Hüller – ein Film der einem tatsächlich ganz viel Raum für eigene Gedanken lässt.
Bedeutet Liebe möglicherweise auch, dass man den anderen niemals restlos verstehen und alles mit ihm teilen kann? Bis solche Gedanken und neue Paar-Konstellationen im mainstream-Kino Einzug halten werden, ist es womöglich noch ein weiter Weg. Die irritierende Braun’sche Molekularbewegung und die Wohlfühlintegrationskomödie hat das Kino erreicht.
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Übrigens ist Sandra Hüller auf der diesjährigen Berlinale in einem weiteren Film zu sehen, dem Debüt von Jan Schomburg „Über uns das All“ – in dem sie eine junge Frau spielt, die jemanden kennenlernt, in dem sie die Züge ihres Ex-Mannes wieder erkennt. Sie beginnt eine Beziehung mit ihm. Hätte Sandra Bullock die Hauptrolle übernommen, wäre ich äußerst skeptisch wegen des Filmplots, aber so….