51xvnbxjyl_sl500_aa300_“Tiger, Tiger”, der autobiografische Debütroman von Margaux Fragoso, liest sich gut, sehr gut sogar. Aber nicht gern. In virtuoser, durch ihre poetische Knappheit beeindruckende Sprache beschreibt die in New Jersey südlich von New York aufgewachsene Schriftstellerin, wie sie und ihre psychisch kranke Mutter unter dem brutalen, hasserfüllten Vater leiden. Und sie beschreibt, wie sie zwischen ihrem siebten und 22. Geburtstag nur einen einzigen Freund hat: Peter Curran, einen 44 Jahre älteren Mann, der in einem Haus voller Tiere lebt und der sie dazu ermutigt, Geschichten zu schreiben. Und der sie, bis er sich schließlich das Leben nimmt, sexuell und seelisch misshandelt.

Auf manche Bilder möchte man als LeserIn lieber verzichten. Von der psychologischen Manipulierung eines nach Liebe und Anerkennung hungernden Kindes bis zum scheinbar einträchtigen Vollzug der Schandtat, über die Geheimnisse, die erniedrigenden Rollenspiele, die Lolita-Repliken, die sie auswendig lernt und teilweise sogar entwirft, die emotionale Abhängigkeiten, die sich zwischen dem Kind und seinem Peiniger anbahnen und sich bis zur zerstörerischen Selbstentfremdung verfestigen; von all dem erspart Fragoso uns keine Details. Sie dienen aber der Schriftstellerin nicht nur zur Verarbeitung ihres Traumas, das sie fast das Leben gekostet hätte: Sie legen vor allem die Mechanismen jenes raffinierten Machtspiels offen, in der Hoffnung, die effektivste Waffe aller Kinderschänder zunichte zu machen: Das Schweigen.

Text: Elise Graton

Margaux Fragoso „Tiger, Tiger“, Frankfurter Verlagsanstalt, 400 S., 24,90 Euro.