hundreds_2_dlVor ein paar Jahren träumte Eva Milner, sie und ihr Bruder Philipp würden sich vervielfachen und seien Hunderte. Der Traum, aus dem der Bandname „Hundreds“ und das gleichnamige Album (erschienen 2010 bei Sinnbus) hervorgingen, hatte Folgen: Hunderte Menschen konnten sich seither auf Konzerten von den Klangqualitäten der „Hundreds“ überzeugen, einem dichten Elektrosound gepaart mit dem Aufatmen aus einer anderen Welt. Philipp Milner ist neben den Hundreds z.B. auch Keyboarder bei Clueso, Eva Milner arbeitete mit Kindern in der Musikerziehung, widmet sich dezeit aber nur der Musik. Aktuell spielten sie zum ersten Mal in den USA auf dem South by Southwest Festival in Texas zusammen mit Indiegrößen wie An Horse oder Dum Dum Girls. Mit uns sprach Eva Milner über AnstronautInnen, Atmosphäre in der Musik und die Zukunft der Hundreds.

Das letzte Jahr war sehr ereignisreich. In Deutschland werdet ihr immer bekannter, im Dezember seid ihr mit Bodi Bill durch Europa getourt. Wie war die Reaktion auf eure Musik dort im Vergleich zu Deutschland?

Im Ausland kennt uns ja noch keiner. Es war also ähnlich wie bei unseren ersten Konzerten in Deutschland: halbvolle Säle, aber gute Reaktionen und außerdem viele deutsche Studenten, die Auslandssemester machen.

Bei euren Konzerten arbeitet ihr viel mit Lichtshows. Wie wichtig ist euch die Atmosphäre?

Sehr wichtig. Deshalb arbeiten wir permanent an unserer Live-Performance, haben einen sehr guten Lichtmann, der ständig eigene Ideen einbringt, und zwei sehr talentierte Designer, die in Zusammenarbeit mit uns die Visuals entwickelt haben.

Bei dem Konzert Anfang des Jahres in der Berliner Volksbühne hattet ihr zwei Schlagzeuger dabei.

Das war lange vorher schon unser Plan, dass der Laptop irgendwann durch Live-Musiker ersetzt wird. Und das ist uns gut gelungen, wie ich finde. Der Sound ist dreidimensionaler und lebendiger geworden. Die zwei sind eigentlich drei, der dritte übernimmt, falls einer der anderen nicht kann. Sie sind Freunde von uns und begnadete Musiker: Tim Neuhaus, Jan Roth und René Kollwitz. Sie sind nicht zwingend neue Bandmitglieder, aber auf großen Veranstaltungen, wie Festivals im nächsten Sommer, werden wir versuchen, sie überall dabei zu haben.

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In „Happy Virus“, dem Lied, das die Missy-Compilation eröffnet, singst du von einer „tiny little plastic world“. Ist Musik für dich auch ein politisches Mittel?

Die Texte haben natürlich eine Aussage. Aber meistens kommt dieser Inhalt aus meinem persönlichen Umfeld, so auch bei „Happy Virus“. Während ich diesen Text schrieb, arbeitete ich in der Kinder-und Jugendpsychiatrie und mir fiel auf, wie sehr sich das Leben und die Gedanken der Patienten um Konsum und Statussymbole drehten. Zum Teil in erschreckendem Ausmaß. Ich wollte damit einfach ein Hingucken erreichen. Das Schöne an dem Lied ist, wie ich finde, der Zwiespalt zwischen der poppigen Musik und dem beißenden Text.

Du wohnst in Hamburg und singst in „I love my harbour“ über den Hafen. Du hast in einem Interview aber mal gesagt, dass du hier „noch nie angekommen bist“. Ihr seid viel auf Tour, liegt das daran?

Nein, das liegt nicht am Touren. Momentan sind wir wieder vier Wochen zuhause und ich habe es sehr nötig, viel Zeit in meiner Küche mit Schreiben zu verbringen und mal wieder Monotonie zu haben. Trotzdem bin ich eine ewig Suchende. Das macht mich rastlos, manchmal auch ratlos und meistens gibt es mir die Kraft, das zu tun, was ich mache. Ein Ankommen, wie ich es meine, werde ich mit 70 Jahren hoffentlich erleben. Dann schreibe ich ein Buch, setze mich hin und gucke aus dem Fenster.

Im Video zu „Solace“ bist du eine Astronautin, die etwas verloren wirkt. Der Song ist dann aber doch sehr tröstlich und optimistisch.

Als Astronautin bin ich weit von der Erde entfernt und habe innerhalb meines Anzugs meinen eigenen kleinen Kosmos. Das soll Sinnbild dafür sein, dass man öfter mal ein bisschen Abstand braucht, um bei sich selbst zu sein und die Dinge betrachten zu können, wie sie wirklich sind. Dieser Gedanke hat etwas sehr Tröstliches, aber auch eine große Einsamkeit. Den Text an sich habe ich für eine Freundin geschrieben, die ich trösten wollte. Im Sinne von: ich zeig dir was, wir machen was zusammen, und vielleicht hast du dann eine andere Perspektive auf deine Probleme.

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Du und dein Bruder Philipp sind zusammen Hundreds. Oft ist es in Bands ja so, dass Frauen nur singen und die Männer die Musik machen. Du singst und schreibst die Texte. Wie sehr bist du an der Musik beteiligt?

Ich bin quasi der Filter, durch den alles hindurch fließt, wenn wir im Studio sind. Philipp bedient zwar sehr viel mehr Geräte, Synthesizer und Computer als ich, aber trotzdem bin ich bei allen Entstehungsprozessen dabei und wir entscheiden gemeinsam, wo sich das Lied hin entwickeln soll. Ganz am Anfang des Prozesses steht immer entweder ein Stückchen Text von mir oder ein Melodiefragment von Philipp. So bauen wir aufeinander auf.

Hattest du schonmal den Eindruck, dass du nur als Sängerin wahrgenommen wirst?

Natürlich, aber das ist dann nicht mein Problem. Auf den Konzerten mache ich ja wirklich nicht viel anderes. Wenn man das so wahrnehmen möchte, geht das ganz einfach.

Hast du weibliche Vorbilder?

Ja, und nicht unbedingt nur Musikerinnen. Seit ein paar Jahren bin ich großer Fan von Miranda July, ihren Büchern, Kunstprojekten und Filmen. Und natürlich gibt es auch einige Musikerinnen, Roisin Murphy, PJ Harvey, Barbara Morgenstern, Björk und viele mehr.

Arbeitet ihr gerade schon an neuer Musik?

Erstmal kommt unser Album im April international heraus. Dann werden wir im Ausland wieder von vorne anfangen, ohne die Schlagzeuger auf Europatour gehen. Frühestens im Herbst wird dann wieder Zeit sein, um zusammen ins Studio zu gehen. Aber ich schreibe an Texten und Philipp wird, wenn Zeit ist, sich auch so einiges ausdenken. Und diese Teile werden wir dann zusammenfügen.

Glaubt ihr, dass sich euer Sound durch den Erfolg verändern wird?

Nein, ich glaube nicht, dass das einen Einfluss hat. Aber ich hoffe trotzdem, dass eine Weiterentwicklung auf dem nächsten Album zu hören ist. Wir werden uns da nicht unter Druck setzen, sondern ganz einfach gucken, welche Musik es dann sein wird. Jetzt gerade ist es noch Zukunftsmusik.

Interview: Bettina Wilpert

Foto: Jenny Schäfer

Hundreds live:

09.04.2011 Würzburg, Posthalle
15.05.2011 Gent, Cafe Video
21.05.2011 Mannheim, Maifeld Derby Festival
02.07.2011, Mechelen, Dijlefesten Festival
22.07.2011 Rüsselsheim, Phono Pop
23.07.2011 Diepholz, Appletreegarden Festival