Hier ein kurzer Einblick ins Stück. Mehr reingeworfen als von Aussen. Den Erlebnisbericht habt ihr bereits von Regula bekommen – ich versuche jetzt Ansatzpunkte zu finden in der Performance, einem ständigen, oft abrupten Wechsel von Stille und Bewegung, Atmosphäre und Musik, Tanz, Stimmung und Körperlichkeit. Szenen, die mal fliessend, mal sprunghaft übergehen, von warmer Berührung und Verbundenheit in kalte Blicke und Abweisung. Szenen markiert von Extremen, wie dem Saugen zweier Männer an der Mutterbrust und darauf folgender Zurückweisung, dem hysterischen Schreien einer Frau, die sich windend im Schnee immer wieder im auffordernden Entblössen ihres Geschlechts dem Partner entgegenwirft, dann noch das Gewehr in der Hand des Mannes, der, als Alle erschrocken in Richtung Publikum starren, beruhigend sagt: It`s okay girls… go inside!

Das Alles in einem Beziehungsfeld, welches zum Teil so vertraut, zum Teil wieder so surreal erscheint. Dem Ganzen einen Sinn geben oder einfach nur auf sich einwirken lassen? Wo liegt die Grenze zwischen dramaturgischer Inszenierung und dem, was ich für mich selbst mitnehme, wenn schon im Stück an sich die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verwischen, die Aktion auf der Bühne dich im Ungewissen lässt, was Traum, was Wirklichkeit der Menschen in der rue Vandenbranden ist?

Es beginnt mit einem Rauschen. Wind zieht durch die eisige Umgebung einer Wohncontainersiedlung verlassener, düsterer und kalter Stimmung. Dann das Krachen einer Tür. Ein Baby. Schreiend. Nein, nicht wirklich. Es weint und liegt im Schnee vor dem Container links aussen. Glocken. Leise, aber Schlag für Schlag zunehmend. Eine Frau betritt die Szene. Sie wendet sich dem Baby zu und schiebt es drunter. Schnee hinterher. Aus dem Auge aus dem Sinn. Das Publikum lacht. Und kann selbst entscheiden, ob voyeuristischer Blick von aussen, Distanz zum Geschehen, und Fokus auf tänzerische Einlagen oder sich Einlassen auf ein Wiedererleben, den Übergang in Stimmung und Atmosphäre, Gefühle und Ängste.

Die Performance eröffnet den Raum zum Spiel mit einer Logik, der Wahrheit, oder dem Realen und die Verkehrung in eine Traumlogik, den Weg ins Unbewusste und vielleicht noch weiter dahinter. Das ganze Setting so kalt und abweisend. Die Menschen in dieser Kälte verbunden. Momente der Berührung und Körperlichkeit, dann wieder Momente der Distanz und Einsamkeit. Der ständige Wechsel zeigt das Begehren nach dem Anderen und scheint in der Nähe im Tanz, in der Verschränkung der Körper doch eine Dynamik und eine Logik einzubringen, die immer wieder in der Abgrenzung besteht. Findet sich hier ein Bezug zu unserer Bühne, einer Bühne, auf der auch wir mit einer Subjektivität spielen, die von uns immer wieder die Abgrenzung zum Anderen, sei es dem Männlichen, dem Weiblichen, dem Eigenen und Fremden erfordert, damit wir uns in einer Identität sicher fühlen, die nicht zwischen Nähe und Ferne, dem Schwarz und Weiss verloren geht? Das Spiel von Zärtlichkeit und Brutalität bringt eine Sehnsucht und dennoch Unerreichbarkeit hervor. Eintauchen in eine andere Logik und Zurückgeworfen werden in die Alte.

Eine spätere Szene: Der Wind weht stark. Der Koreaner, der zu Anfang des Stückes mit Koffern aus der Fremde vor geschlossenen Türen stand, nun Teil der Nachbarschaft scheint, kämpft sich ringend mit einem Regenschirm vom äusseren Bühnenrand quer über den Hof. Immer wieder erfasst ihn der Sturm und wirft ihn zurück. Sein Ziel – der gegenüberliegende Container, unter dem in der ersten Szene das Baby verschwand. Er erreicht das geöffnete Eckfenster, hinter dem die Frau schon die ganze Zeit mit herauslangenden Armen, langend nach seiner Ankunft, in seine Richtung stand. Er kommt an. Erreicht sie fast, als der Wind beide erfasst. In der Luft getragen schweben sie nun beide Gesicht zu Gesicht, einander zugewandt. Und doch ein unterschiedlicher Wind.

Sie – im Inneren des Raumes, eher auf der Stelle schwebend, ein Wind, der sie nach oben trägt – wartend? Er – aussen, der Griff am Fenster, Arm in ihre Richtung gestreckt und Blick ihr zugerichtet, als der Schirm, der ihn vorher noch verdeckte, herunterfällt, in dem Moment, wo der Wind ihn ergreift, den Körper eher wegzuziehen scheint, mit ihm spielt, ihn wegreissen will? Er kommt nicht gegen an. Nähe. Fast Berührung und dann wieder weggezogen. Ist es der Wind, Traum, Phantasie, das Unbewusste? Eine Distanz, an sich so eng zusammen und doch zu gross. Schlussendlich scheint das Stück geprägt von der Verzweiflung bei-naher Verbindung.

Sicher kann dem Ganzen jetzt ein psychoanalytisches Konzept und Theoriekonstrukt übergestülpt werden. Aber ehrlich gesagt ist es genau das, was ich am Anfang ansprach. Ein Stück, das vielleicht nicht so eindeutig eine Story erzählt, dich selbst ein wenig in der Schwebe und im Ungewissen hält. Der Wechsel zwischen Realität und Traum, Nähe und Distanz, Fremde und Berührung, Theater und Wirklichkeit und eine Stimmung auf die man sich auch einlassen muss… aber wen Theorie hierzu interessiert und so ists auch nicht geklaut: Irigaray ist toll zu lesen und bezieht sich genau auf das, was hier schon viel zu psychoanalytisch anklang und hat dazu, für die die wollen, auch eine alternative Lesart zu bieten. Ansonsten schaut euch das Video an und holt euch in zweiter Version noch einen anderen Eindruck!

Nora