In „ABGESOFFEN“ von Schauspiel Frankfurt fahren zwei Auftragskiller zum 29. Mal mit einer Leiche – einem Moro – im Kofferraum 700 Kilometer längs durch Spanien. Der Tote soll am Ufer der Strasse von Gibraltar deponiert werden zur Abschreckung von migrationswilligen Menschen in Nordafrika. Auf ihren Fahrten diskutieren die beiden über alles Mögliche, um der Konfrontation mit den wirklich unbequemen Fragen zu entgehen. Doch diesmal kommt es anders und die Fassaden bröckeln. Wer ist Täter, wer Opfer? Und was, wenn sie nur ein Fliegenschiss sind, der dem Universum doch egal ist? Sind (wir) dann alle unschuldig?

Im Anschluss an das Stück wurde in der Publikumsdiskussion (Leitung: Julie Paucker, Dramaturgin am Theater Basel) zusammen mit den Schauspielern Nils Kahnwald und Oliver Kraushaar über Sinn und politische Brisanz des Stücks debattiert. „Abgesoffen“ sei gesellschaftskritisch, gerade weil es scheinbar unpolitisch daherkommt. In der Darstellung eines individuellen Mordvorganges wird ein gesellschaftlicher Umstand überspitzt dargestellt, nämlich die europäischen Bemühungen, Tausende Globalisierungsflüchtlinge dort zu halten, wo sie herkommen.

Dabei wird der europäische Grenzzaun immer weiter weg von der geografisch-physischen Grenze Europas ausgedehnt und das Ertrinken unzähliger Menschen während ihrer Überfahrt von Nordafrika nach Europa in höchst untauglichen Booten in Kauf genommen: „Die aktive Ermordung ist dann nur noch ein kleiner Schritt“ (Julie Paucker). Die Prekarität der Verhältnisse würde gerade dadurch verdeutlicht, dass es keine Finger gibt, die auf Schuldige zeigen und eine (ideologische) Lösung parat halten.

Vielmehr erleben wir, wie zwei Menschen, zwei rassistische Exhäftlinge, Frauenverachter, Juden- und Schwulenhasser, und doch zwei Menschen, zwei traurige Zweifler, Dichter, Philosophen und Freunde, für sich eine Antwort auf diese grossen Fragen suchen und sich im Gespräch die Welt und ihre Situation zu erklären versuchen. Letztlich erzähle das Stück dadurch auch eine wunderbare Freundschaftsgeschichte. Nils Kahnwald sagt dazu: „Für mich war das auch immer eine Liebesgeschichte. Oder beziehungsweise die Geschichte einer, ob zwanghaft oder nicht, grossen Freundschaft.“  Verbunden durch den Job sind sich die beiden Figuren näher gekommen, als sie das erwartet und gewollt hätten. (Der Begriff „altes zankendes Ehepaar“ taucht bei mir auf. – Nein, er führt dann doch zu weit, aber die Beziehung der beiden geht in diese Richtung.) Denn irgendwie haben sie nur sich. („Wer würde um dich trauern, wenn du stirbst?“ – „Niemand.“) Und bei aller Widersinnigkeit der Situation versuchen sie verzweifelt, so etwas wie Normalität herzustellen. – Und halten uns dabei bitterböse den Spiegel vor.

Darin steckt auch m. E. die Stärke des Stückes. Dass es mich im Unklaren lässt, was ich davon halten soll – und damit zum Nachdenken anregt und von mir eine Entscheidung verlangt, die ich nicht treffen kann. Zwar ist es auch eine „schwarze Komödie“ (Nils Kahnwald) die von Pointen lebt, in denen wir uns selbst wieder erkennen. Und zu Beginn lache ich auch noch erstaunt über die Tatsache, dass zwei so gefallene Gestalten populär-philosophische Weisheiten wie „Mit jeder Minute die vergeht, stirbst du ein Stück“, „Es ist alles eine Frage der Werte“, oder „Wesentliche Dinge haben nicht so viele Nuancen“ reproduzieren können. Ab einem Punkt mag ich aber nicht mehr lachen. Die vermeintliche Plattheit der Figuren, welche die gesamte Palette männlicher und chauvinistischer Klischees widergibt, kann ich nur noch schwer ertragen. Bis die Komödie kippt.

Auf die entscheidende Frage, ob sie denn nicht eigentlich unschuldig seien („Gemessen am Universum ist alles ein Fliegenschiss“), lautet ihre Antwort einige nächtliche Autobahnkilometer später, dass sie grosse Sehnsucht verspürten, sich mit den toten Moros ins Meer zu stürzen und unterzugehen. In diesem Moment schreit uns die stumme Sinnlosigkeit ihres Tuns alle an. Und die Tragik holt uns ein. Wer will es sich erlauben, über die Protagonisten zu urteilen? Und urteilen wir damit nicht auch über uns selber? Oder wie nahe beieinander liegen das Deportieren von getöteten Menschen und irgendein anderer bezahlter Job? Genau diese Provokation leistet das Stück und ist damit mehr als „nur“ eine Freundschaftsgeschichte, Satire oder Gesellschaftskritik. Dazu Oliver Kraushaar: „Ich fand das ganz angenehm, dass unser Text über eine amerikanische Coolheit von Tarantino-Filmen hinausgeht. Der Text will nicht beweisen, was Böse ist, sondern zeigen: es ist halt so. “ Und damit lässt uns der Text allein. Weltoffen, es ist halt so?

Regula