AUAWIRLEBEN: ArabQueen oder die Königin ohne Königreich
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„ArabQueen oder das andere Leben“, nach dem Roman von Güner Yasemin Balci, Inszenierung Nicole Oder, Produktion vom Heimathafen Neukölln (Berlin), 02-05-2011 Tojo Theater Reitschule Bern
Eine sehr enge Welt zeigt uns Regisseurin Nicole Oder in ihrer Inszenierung „ArabQueen“, ein weisses Podest, viereinhalb Quadratmeter gross ist die Welt von Mariam, der Protagonistin. Sie ist nicht darin eingesperrt, doch symbolisch daran gebunden. Das weisse Podest ist Küche, Bad, Wohnung der Familie, der arabische Markt, das Hochhausdach, das Bett ihrer besten Freundin und nicht zuletzt erinnert er an den Opferaltar, der ihr Brautbett werden soll.
Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die gerade die Schule abgeschlossen hat, mit arabischen Wurzeln, lebend in Deutschland. Damit scheint ihr Leben anstatt offen in enge, konkrete Bahnen gelenktm, in denen sie nur die Möglichkeit zur Heirat hat. Es ist eine unsympathische, aggressive Pubertierende, der wir zu Beginn zuschauen, wie sie, von ihrer Mutter zum Putzen angehalten, sich in der Form von: „ Heyman, nerv nicht, Schnauze hee“ in einem Arabisch- Deutschen-Mix-Slang äussert.
Nein, das Thema ist nicht ausgelutscht und ja, vor allem muss man es sich antun, wie die drei Schauspielerinnen in verschiedene (Geschlechter-) Rollen wechseln und uns eine Welt öffnen, die geprägt ist von vielen Klischees, in erster Linie aber von Grenzen, die ausgespielt werden. Sie wechseln im Bühnenraum auf drei Stühlen von der Mutter zur Schwester und Tante über arabische Gemüseverkäufer zum französischen Elternpaar zur besten Freundin in sehr präziser schauspielerischer Arbeit.
Nur der Patriarch, der alle Strukturen bedingt, ist nur als Schatten da und bleibt die diffuse Macht hinter, über und in allem. Mariam ist im Chat die ArabQueen ohne Königreich, geschweige denn eines eigenen Raumes. Es wird nachvollziehbar, warum ihr Körper und ihre Sprache in ständig aggressiver Spannung sind: jeder Platz muss erkämpft werden. „Warum guckst du so, man, schaust du mich an, man? Willsde Ärger?“ sind Äusserungen, die Raum schaffen, Abstand schaffen, um die eigene Existenz als Subjekt, nicht als Familienteil, bestätigen zu können.
Ein Subjekt, das hier „nur eine Frau“ ist, jedes bisschen Zeit muss erhascht oder erspielt werden. Frauen müssen vorspielen, krank zu sein, um ihrem Mann nicht nach Istanbul folgen zu müssen, sie müssen Ohnmacht vortäuschen, um Zeit mit einem anderen Familienmitglied zu verbringen und vorgeben, gerne die Füsse des Bruders zu waschen um sein Wohlwollen zu gewinnen.
„Nach den Begriffen von Ehre und Jungfräulichkeit liegt der Ort, an dem sich entscheidet, welches Ansehen ein Mann geniesst, zwischen den Beinen einer Frau.“ Fatema Mernissi
Als Mariam einmal zehn Minuten zu spät nach Hause kommt von einem Treffen mit einem Jungen, ist die Konsequenz die Zwangsehe mit ihrem Cousin. Es gibt keine Diskussion, keine Nachfrage, sie wird eingesperrt und soll verharren, bis ihr Mann sie holen kommt.
Was Mariam tut, bleibt in der Inszenierung offen, es werden keine neuen Möglichkeiten vorgestellt. Suizid, Zwangsheirat oder der ewige Bruch mit der Familie und damit mit allem ihr Bekannten, sind die Handlungsmöglichkeiten. Die Produktion lässt kaum eines der brisanten Themen aus, von Kopftuch über Patriarchat bis zu Gewalt, sexuellen Übergriffen, Steinigung und Zwangsheirat ist alles behandelt, ohne überladen oder vorhersehbar zu sein.
Eine eindrückliche schauspielerische Leistung, die das Herstellen von Geschlecht offen zeigt und sich nicht scheut, politisch brisant zu sein.
Veronika