Ja, ArabQueen geht unter die Haut. Weil es vom Ensemble Tanya Erartsin, Inka Löwendorf und Sascha Ö. Soydan grossartig gespielt wird: Es ist eindrücklich, wie schnell die Schauspielerinnen innerhalb von Minuten in andere (Geschlechter-) Rollen schlüpfen und dabei jedes Mal überzeugen.

Weil der grosse, bis auf das Podest leere Raum so eng gemacht wird: Trotz der kargen Grosszügigkeit des Bühnenbildes kriegt man mit der Protagonistin zuweilen fast keine Luft ob all der Ansprüche, die aus ihrem familiären Umfeld an sie gestellt werden.

Weil es tiefe Freundschaften und enge herzliche Beziehungen zeigt: Die Freundschaft zwischen der kurdisch-libanesischen Mariam und der deutsch-französischen Lena ist ehrlich und das Verhältnis von Mariam zu den weiblichen Personen in ihrer Familie (ihre Schwester, Mutter und Tante) ist trotz Streitereien tief und verständnisvoll und wird gegen äusserliche Angriffe (insbesondere des omnipräsenten und doch abwesenden Vaters) verteidigt.

Weil es eine Meisternarration erzählt: Eine junge Frau durchlebt einen schmerzlichen Prozess von Selbstfindung und Emanzipation, aus dem sie gestärkt in ein selbstbestimmtes Leben aufbricht. Die arrangierte Zwangsheirat bringt das Fass endgültig zum Überlaufen und nach einem intensiven inneren Kampf, der auf all die kleinen und grösseren Kämpfe im Alltag folgt, entscheidet sich Mariam für ihre Zukunft. Und gegen die Familie.

Und doch. Beim Schlussapplaus frage ich mich: „Habe ich etwas Neues erfahren?“ Das Stück möchte den „Diskurs zum Thema Islam“ (Booklet der Aufführung) um die Menschen erweitern, über die dauernd gesprochen wird, die selber aber nicht zu Wort kommen: die Frauen. Diesem Anspruch wird die Inszenierung m. E. nur teilweise gerecht.

Denn erzählt bekommen wir alle – wirklich alle! – Klischees über familiale Strukturen, Geschlechterverhältnisse, Aggressionspotential und so weiter von „den Muslimen“, wie sie in Medien der Massenkommunikation, populärwissenschaftlichen Debatten und Alltagsgesprächen kolportiert werden. Es könnte um irgendeine muslimische Familie in Neukölln gehen, die „hier mit Hartz IV ein besseres Leben führt, als dies in ihrer Heimat möglich war“. Zwar erfahren wir, dass Mariams Familie KurdInnen aus dem Libanon sind, die ihre Nahrungsmittel „beim „Araber“ und nicht „beim Türken“ einkaufen. Doch wird dieses Differenzierungspotential nicht genutzt.

Daran ändern auch die Aussagen Lenas Mutter nichts (sinngemäss: „Ägypten, Marokko, das ist doch alles etwa ähnlich.“ Und: „Ach, ich dachte, Kopftuchträgerinnen seien gläubig, die anderen nicht“), die chauvinistisch-ignorante Meinungen äussert, über welche sich in diesem Publikum wirklich jede Person erhaben fühlt und fühlen darf. Eine Zuschauerin meinte zudem, dass gerade durch die ungreifbare Omnipräsenz des tyrannischen Vaters doch gezeigt würde, wie sehr diese Frauen die Machtstrukturen verinnerlicht haben und es ihr Denken und Handeln in allen Bereichen bestimmt. Aber darin zeigt sich für mich viel mehr die westlich hegemoniale Konstruktion eines muslimischen Frauenbildes.

Undifferenziert bleibt die Inszenierung auch bei den Darstellungen deutscher Frauen. Diese sind durchwegs blond und blöd. Einmal ist es eine dummschwätzige „Coiffeuse“, das andere Mal eine „Servier-Düse“ in einem Kaffe, die eh nix kapiert, weil sie sich mit dem Kugelschreiber auch noch die restlichen Hirnzellen aus dem Kopf gehämmert hat. Beides mal wird hier ein frauenverachtendes Frauenbild reproduziert, das in seinen Handlungsfähigkeiten – nicht Handlungsmöglichkeiten – den arabischen Frauen, welche sich jeden freien Aktionsraum erkämpfen müssen, „sogar“ unterlegen ist.

Wozu? Politische Unkorrektheit mag Freiheiten bringen, aber müssen sie so dermassen unkorrekt daherkommen? Das Stück hat diesen Wechsel der Ebenen in humoristische Einlagen gar nicht nötig. Eher steht es in Konkurrenz mit der Ernsthaftigkeit des Anliegens, eine weibliche Lebenswelt in einer muslimischen MigrantInnenfamilie darzustellen.

Zu guter Letzt enttäuscht vor allem der Schluss. Wieviel grösser wäre z.B. die Irritation gewesen, wenn Mariam die Ehe mit ihrem Cousin akzeptiert hätte! Ja, die Vorlage gibt aber diesen Schluss nicht vor, sondern dass Mariam vor dieser Zwangsverheiratung und ihrer Familie flieht. Aber dieser letzte Kampf findet zu sehr nur noch auf der inneren Ebene statt.

Wenn schon über 140 Minuten lang die gratwandernde und gewaltdominierte Existenz Mariams gezeigt wurde, so müsste auch ihr Leben nach der Flucht thematisiert werden. Denn der bestimmte, aufrechte und schnurgerade Gang, vom Podest, durch die Bühne und aus dem Gebäude, wird der zukünftigen Lebenswelt dieser jungen Frau – und allen anderen, welche diesen Schritt wagen – nicht gerecht. Ihr Spiessrutenlauf geht weiter. In einem anderen Leben. Ohne uns.

Regula