TEAM TV: DAS BILD DER FRAU IM MUSIKCLIP
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Ein Musikstück, das filmischer Umsetzung bedarf, dient – so die ursprüngliche Absicht der Plattenfirmen – zur Verkaufsförderung sowie Imagepflege von MusikinterpretInnen und ihren Medienerzeugnissen. Dass dabei nicht selten gut inszenierte und vor allem geschlechtsneutrale Videodarstellungen entstehen, ist angesichts kritischer Genderdebatten um stereotypisierende und/oder sexualisierende Geschlechterinszenierungen nicht zu leugnen. Dennoch gibt es das eine oder andere Musikgenre, das in misogyner Machart daherkommt. Zu solchen Musikgattungen gehören mitunter Hip-Hop, Heavy Metal sowie Hard- oder Shockrock.
Darin visualisierte Sexualisierungsprozesse lassen sich manchmal ganz offen und direkt, manchmal nur subtil und versteckt beobachten. Bildlich-offen und textlich-direkt ist im Übrigen auch Kanye Wests Musikvideo „Monster“, das in Kollaboration mit Roc-a-Fella-Kollege JAY-Z, Folklore-Sänger Ben Iver, Rapper Rick Ross und Senkrechtstarterin Nicki Minaj auf seinem neusten Album „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ zum Besten gegeben wird. Der US-amerikanische Rapper, Sänger und Musikproduzent darf seit seinem im Jahre 2004 erschienen Debütalbum („College Dropout“) weltweit zu den erfolg- und einflussreichsten männlichen HipHop-Künstlern gezählt werden. Der Videoclip, bei dem Jake Nava Regie führte, ist seit Januar diesen Jahres im Internet zu sehen. Ob (Musik-)Fernsehsender den als sprachlich explizit gekennzeichneten Clip zur Ausstrahlung bringen, sei aufgrund der auf Bild- und Textebene evozierten, überspannten Darstellung von Frauen dahingestellt. Doch nun mehr zu(m) „Monster“.
Der nach etwa 16 Sekunden in Blutrot eingeblendete Titel „Monster“ und der zeitgleich aus dem Off erwartungsvoll fragenden Stimme „Are you willing to sacrifice your life?“, folgen zwei Nahaufnahmen, die halbnackte, top gestylte, am Strick hängende, weisse Frauen zeigen. In einer nächsten Detailaufnahme sehe ich ihre in der Luft baumelnden Füsse. Die RezipientInnen werden in eine dunkle und verrauchte Atmosphäre hineingeworfen, die vom Gesang des US-amerikanischen Folklore-Stars Bon Iver begleitet wird. Unverkennbar sind die ersten charakteristischen Merkmale eines „male-adress-video“. Für (gender-) sensible RezipientInnen sind das meiner Meinung nach auch die ersten Anhaltspunkte, das Video zu stoppen und weg zu klicken. Der noch 6 Minuten andauernde Videoclip bietet nämlich genügend Grundlage zu einer nicht minder gewaltverherrlichenden, sexistischen und rassistisch-sexualisierenden Inszenierung von Frauen. Schnitt.
Es ist Nacht. Ein monströser Schrei des Hungers, angetrieben vom Durst nach (Männer-) Blut, leitet nach der Eingangssequenz zu Rick Ross´ sprechgesanglichem, aber kurzen Rap-Intro über. Er sitzt im Chefsessel, raucht eine Zigarre und trägt eine zur düsteren Umgebung so gar nicht passende Sonnenbrille. Männliche Coolness (Zigarre und Kopfschmuck) wird hier gross geschrieben. Von der Decke hängen um ihn herum – ich habe es schon angedeutet – drei in High-Heels und knappen Dessous bekleidete Frauenleichen. Skilltechnisch auf höchstem Niveau übergibt nun Ross seinerseits gekonnt an Kanye West, der in der nächsten Szene mit nacktem, unbedingt gut trainierten Oberkörper zu sehen ist. Zahllose durch ein Tor greifende Frauenhände zerren und kratzen an ihm, doch es kommt nicht zu dem von mir erwarteten Biss. Die sexy gestylten, Männer mordenden, Vampir-ähnlichen Frauen kriegen ihn nicht.
Im nächsten filmischen Aufzug sitzt „Ye“, so wird der Musikkünstler auch genannt, aufrecht im Bett und trägt ebenfalls eine Sonnenbrille. Ein Accessoire, das wohl unbedingt zum Hip-Hop-Genre gehört. Neben ihm wiederum zwei weisse Frauenleichen. Er legt ihre Gliedmassen nach Belieben zurecht, als würde er mit zwei geschminkten und aufreizend gekleideten Puppen spielen. Bemerkbar machen sich die ersten textlich markierten Überlegenheitsmetaphoriken, die wohl an Wests KonkurrentInnen in der Musikindustrie gerichtet sind. In einer Zwischensequenz beobachte ich, wie einem männlichen Vampir der Todesstoss durch den Absatz eines von einer Frau getragenen High-Heels verpasst wird. Zudem wird den Zuschauenden eine weitere Massakerinszenierung gezeigt, in der zu Monstern gewordene Frauen einen Mann verstümmeln, seine Innereien essen und sein Blut trinken. Das gleichzeitig verbal artikulierte Dominanzverhalten Wests ergibt für mich langsam aber sicher Sinn. Auch der millionenschwere Roc-a-Fella-Label-Gründer und Rapper JAY-Z steht dem bei seinem Rap-Einsatz in nichts nach. KonkurrentInnen werden nicht geduldet. Sie haben die Wahl zwischen Leben oder Tod. Während JAY-Z also seinen Text zum Besten gibt, sehe ich im Hintergrund eine halbnackte, weisse Frau tot auf einem Sofa liegen. Ein Schnitt, ein Szenenwechsel.
Im Fortgang des Beats und der Melodie, die rhythmisch miteinander harmonieren, sieht man den nun in Sakko und Hut angezogenen, rote Gummihandschuhe tragenden und an der Wand lehnenden Hauptprotagonisten. In der rechten Hand hält er den abgetrennten Kopf einer weissen Frau. Sie ist das zum Tode geweihte Opfer und wird durchgängig als erotisiertes Objekt oder tot inszenierter Leichnam visualisiert – als „Sexy Dead Woman“. Schwarze Frauen, die nun auch vermehrt wahrzunehmen sind, werden als animalische und wild gewordene Gestalten veranschaulicht. Sie sind genauso aufreizend angezogen und bewegen sich meist im passiven Hintergrund.
Das Ende des Clips, in dem Nicki Minaj den wohl eindrucksvollsten Part übernimmt, ist nicht weniger sexualisierend. Abgesehen ihres Monster-Rap-Solos, verkörpert sie – durch den perspektivischen männlichen Kamerablick – das (für Männer wohl nie verfügbare) Objekt der Begierde. Die Femme Fatale des Rap drängt mich in die Rolle des voyeuristischen Bobachters: Ich sehe eine sehr freizügig gekleidete, die Peitsche in der Hand haltende Nicki Minaj und muss gestehen, dass sie die Figur einer Lack und Leder tragenden Domina recht überzeugend rüber bringt. Ihr „Opfer“ sitzt an einen Stuhl gefesselt inmitten eines ebenfalls dunklen Raumes. Unter dem schwarzen über dessen Kopf gezogenen Sack kommen pinke Haare zum Vorschein. Die das Opfer darstellende Akteurin trägt im Gegensatz zur schwarz gekleideten Protagonistin, ein weisses Kleid und weisse High-Heels. Als ihr Gesicht enthüllt wird, bin ich nicht überrascht, Nicki Minajs zweites, womöglich die weisse Frau verkörperndes Ich zu sehen. Nicki in doppelter Ausführung – einmal in dominanten Schwarz, ein zweites Mal in unschuldigem, engelhaften Weiss –, eine narrativ zum Höhepunkt gebrachte, sexuell-konnotierte Szenerie, die die Männerphantasie schlechthin visualisiert?! Der musikalische Rahmen schliesst sich mit den wiederum von Bon Iver gesungenen Strophen, die mit „I-I crossed the line-line“ beginnen.
Mir wird als Zusehender (und Zuhörender) immer bewusster, welche Grenzen Kanye West mit seinem Musikvideo (bewusst?) überschreitet. Er macht von den so genannten weiblichen Ausgrenzungs- oder Verfügbarkeitsvisualisierungen Gebrauch und bedient damit die Bedürfnisse des adoleszenten, vorwiegend männlichen Zielpublikums. So lässt sich ja bekanntlich auch das grösste Geld verdienen … Das Bild der Frau entspricht dabei traditionell-geschlechtlichen Rollenstereotypisierungen, den sich im kollektiven Gedächtnis befindenden Geschlechterverhältnissen und einem visuell-hierarchisierten, männlichen Blick („male gaze“). Die in Musikclips allgemein benutzten, dichotomen Frauenbilder sind die der Heiligen oder Hure, melancholy victim, iron bitch, Krankenschwester oder None.
Auf „Monster“ übertragen, werden die klischiert-inszenierten Rassen- und Geschlechterverhältnisse gelungen gegeneinander ausgespielt. Doch suggeriert mir der damit hergestellte Kontrast lediglich eine neue Musikvideo-Ästhetik, die sich des in jüngster Zeit wieder populär gewordenen Vampir-Mythos (Twighlight) bedient. Letztlich werden visuelle Inszenierungen, die sich nach tradierten Vorstellungen einer Frau im Hip-Hop-Video richten, bloss in neuem Gewand präsentiert. Es wundert mich daher kaum, wenn etwa Feminist-Frequency-Bloggerin Anita Sarkeesian von „Monster Misogyny“ spricht oder Samhita Mukhopadhyay (Feministing-Blog) sein als Kunst artikuliertes Monsterdasein und den ihrer Meinung nach misslungenen Versuch avantgardistischen Schaffens anprangert: „I have great contention with this actually being a new frontier in music or art.“
Nun, in Anbetracht an die Bildsprache des Clips eine durchaus berechtigte Kritik.
Bist Du bereit, dein Leben zu opfern?
Andreas