Roswitha Hoffmann: Das Mädchen mit dem Jungenkopf
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Fanny Lewald (1811-1889) gilt als eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Sie, die nicht weniger prominent ist als George Sand oder George Eliot, setzte sich in ihren Schriften für die Emanzipation von Juden und Frauen ein, da sie selbst wegen ihres Geschlechts und ihrer jüdischen Wurzeln benachteiligt wurde. Lewalds gesellschaftliche Bedeutung ist nicht zu unterschätzen: 1847 galt ihr Berliner Salon als „geistiges Zentrum“ der Stadt.
Die Erziehungswissenschaftlerin Roswitha Hoffmann hat nun ein Buch über diese Schriftstellerin, die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Königsberg stammte, veröffentlicht. „Das Mädchen mit dem Jungenkopf“ ist zwar eine wissenschaftliche Publikation mit Fußnoten und einem mehrseitigen Literaturverzeichnis, doch Hoffmann erzählt lockere, unterhaltsame Anekdoten und manches rührselige, fast kitschige Detail aus Lewalds Kindheit und Jugend, den beiden Lebensabschnitten, denen sich „Das Mädchen mit dem Jungenkopf“ in seinen sieben Kapiteln annimmt. Dabei unternimmt Hoffmann auch einen Exkurs zu den Aspekten der Lebens-, Erziehungs- und Bildungsvorstellungen im Judentum, das Ziel ihrer Publikation ist es, die Rolle des jüdischen Einflusses innerhalb Lewalds Werdegang zu untersuchen. Neben der Fokussierung auf die Schriftstellerin, die selbst 1861 eine Autobiografie verfasst hat, beleuchtet Hoffmann die Rahmensituation, in der Lewald aufgewachsen ist, sie schreibt über die historischen Hintergründe, die vorherrschenden pädagogischen Konzepte und speziell über die Mädchenerziehung im 19. Jahrhundert.
Lewalds früher Bildungsdrang wurde stark durch die Eltern gefördert, denn die älteste Tochter sollte ein Vorbild für ihre jüngeren Geschwister sein. Lewald konnte eine Privatschule besuchen, wo sie gemeinsam mit Jungen unterrichtet wurde. „Dein Kopf hätt auch besser auf ’nem Jungen gesessen!“, musste sich Lewald, die außergewöhnliche schulische Leistungen zeige, dort jedoch anhören. Auch wegen ihrer Religion wurde sie bereits in der Kindheit ausgegrenzt, so durfte sie zum Beispiel nicht zu den Geburtstagen ihrer christlichen Freundinnen eingeladen werden. Die Religion hat in Lewalds Elternhaus zwar keine große Rolle gespielt, dennoch will Hoffmann ihren erfolgreichen Werdegang darauf zurückführen, auch wenn das zu keinem wirklich klaren Ergebnis führt: Obwohl Mädchen weniger gefördert wurden als Jungen, war das Wissen um die frühkindliche Erziehung in der jüdischen Kultur sehr stark. „Sie [Lewald] erhielt eine Erziehung, die weit über ihrer Gesellschaftssicht und über der Norm ihrer Religion lag“, stellt Hoffmann fest.
„Das Mädchen mit dem Jungenkopf“ ist aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive interessant, da sich Hoffmann vor allem auf die Kindheit und Jugendjahre beschränkt. Wer jedoch mehr über Lewalds Schriften und ihre Rolle in der Frauenbewegung erfahren will, kann sich im Literaturverzeichnis Lese-Tipps holen. Lewalds Engagement gegen das Scheidungsverbot, sie selbst war später mit einem bereits geschiedenen Mann verheiratet, thematisiert die Schriftstellerin und Salonière zum Beispiel in ihrem Roman „Eine Lebensfrage“ von 1845.
Roswitha Hoffmann „Das Mädchen mit dem Jungenkopf. Kindheit und Jugend der Schriftstellerin Fanny Lewald“ / Ulrike Helmer Verlag, 160 S., 24,95 Euro, bereits erschienen.
Text: Ana Maria Michel
Bild: Ulrike Helmer Verlag