Claudia Seifert: Wenn du lächelst, bist du schöner
Von
„Mädchen, die pfeifen, und Hühner, die krähn, denen soll man beizeiten den Hals umdrehn“, lautete eine der Weisheiten, die man in den 1950ern und 60ern jungen Mädchen an den Kopf warf. Pfeifende Mädchen waren nicht gerne gesehen, sowieso sollten Kinder sich am besten ruhig verhalten, den Teller leer essen und vor allem brav sein. „Wenn du lächelst, bist du schöner“ heißt der Sammelband, den Claudia Seifert über die Kindheit in den 1950er- und 60er-Jahren herausgegeben hat. Das Buch bietet zum Einen eine allgemeine Darstellung des nach dem Krieg vorherrschenden Modells der Kleinfamilie, in der der Vater das Geld nach Hause brachte und die Mutter sich um Haushalt und Kinder kümmerte, und den Erziehungsgrundsätzen dieser Zeit, die sich durch die Leitbegriffe Pflicht, Leistung, Ordnung, Sauberkeit und Gehorsam charakterisieren lassen. Zum Anderen erzählen sieben Autorinnen von ihrer jeweils eigenen Kindheit in den 1950er- und 60er-Jahren.
Durch die persönlichen Erzählungen lebt diese Epoche plastisch vor den Augen der LeserInnen auf, die Beiträge der Zeitzeuginnen stellen einen direkten Bezug zu den damaligen Lebensumständen her. Zudem enthält der Band – zum Teil auch persönliche – Fotografien, die die Autorinnen beim Sankt-Martins-Umzug oder bei der Einschulung zeigen, zeitgenössische Werbeanzeigen oder Wahlplakate. Weiter aufgelockert wird das Buch durch eingefügte Liedtexte oder Auszügen aus Poesiealben, Infokästen rufen stichpunktartig die historischen Fakten dieser Zeit in Erinnerung. Sowohl die Umstände in der BRD als auch in der DDR werden angesprochen. Eindrucksvoll erzählen die Autorinnen, wie nach dem Krieg fieberhaft die Rückkehr in eine Normalität herbeigesehnt wurde, was bedeutete, die Vergangenheit weder in der Öffentlichkeit, noch in der Familie anzusprechen. Anstandsregeln und Prinzipien bestimmten die Kindererziehung zu Hause und in der Schule, die in beiden Fällen von Kontrolle und Zwang geprägt war. „Aus Kindern, die nicht bestraft wurden, konnte nichts Rechtes werden“, schreibt die 1954 geborene Autorin Marianne Troll über die Erziehungsvorstellungen in ihrer Kindheit.
Besonders interessant ist der Fokus auf die Geschlechterrollen: „Geldverdienen und Spaßhaben war den Männern, so auch unserem Vater vorbehalten“, schreibt Marianne Troll über eine Zeit, in der die Meinung galt, die Gleichberechtigung von Mann und Frau würde Familien zerstören. Frauen mussten um jeden Preis einen perfekten Haushalt führen, Mädchen lernten Anpassung, Aufopferung und Unterordnung. Selbstbestimmte weibliche Vorbilder gab es kaum: „Eine Frau, die zielstrebig ihre Interessen verfolgt, wurde als kalt und berechnend abgelehnt. Eine allein stehende Frau war entweder lächerlich oder eine moralisch zweifelhafte Person. Eine berufstätige Frau war entweder ein Mannweib oder sitzen geblieben“, schreibt Ulrike Speckmann in ihrem Text „Eine Frau muss den Kopf unter den Arm nehmen“.
Es ist interessant, sich mit Hilfe dieses durch seine Vielfalt sehr unterhaltsamen Bandes in die Zeit der 50er- und 60er-Jahre hineinzuversetzen. Die LeserInnen bekommen einen prägnanten Eindruck von der Wirkung der rabiaten Erziehungsmethoden, über die man sich heute nur noch wundern kann, und davon, was es in dieser Zeit bedeutete, als Mädchen aufzuwachsen. Durch die persönlichen Erinnerungen gewinnt dieses Bild an Plastizität. Das Buch, das jetzt in der Taschenbuch-Ausgabe erhältlich ist, regt dazu an, sich intensiver mit diesem Stück Geschichte auseinanderzusetzen. Tipps geben die Literaturhinweise am Ende von „Wenn du lächelst, bist du schöner“, die auf weiteren Lesestoff zur Struktur der Familie und zu den Geschlechterverhältnissen in den 50er- und 60er-Jahren hinweisen.
Claudia Seifert (Hrsg.) „Wenn du lächelst, bist du schöner. Kindheit in den 50er und 60er Jahren“ / dtv, 256 Seiten, 9,90 Euro, bereits erschienen.
Text: Ana Maria Michel