Als sie kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center in die USA einreisen wollte, wurde Arahmaiani – weil in ihrem Pass verzeichnet ist, dass sie Muslima ist – für mehrere Stunden in einem Hotelzimmer in L.A. festgehalten. Wie es ist, kategorisiert zu werden, hat die indonesische Künstlerinnen, die auch international aktiv ist, also am eigenen Leib erfahren. Für die Vorstellung der Anthologie „Über Lebenskunst. Utopien nach der Krise“ ist Arahmaiani am vergangenen Sonntag im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit der türkischen Schriftstellerin Sema Kaygusuz zusammengekommen. Anlass war das Festival Über Lebenskunst, das sich den unterschiedlichsten Perspektiven einer nachhaltigen Lebenskunst widmete. Auch Kaygusuz kennt das Schubladendenken: „Du isst mit Genuss, was die Welt nur zu bieten hat, aber von deinen Tischgenossen verlangst du gleich einen Stammbaum!“, heißt es in ihrer Kurzgeschichte „Das Gelöbnis“, die sie für den Sammelband verfasst hat.

Arahmaiani ist in einem Land aufgewachsen, das von der kulturellen Vielfalt aus islamischen, hinduistischen und buddhistischen Einflüssen lebt. Mit ihrem Beitrag „Gedanken einer träumenden Nomadin“ hat sie einen Text veröffentlicht, der die „Vertreibung“ aus diesem bunten Paradies, das heute von Egoismus zerstört wird, thematisiert. „Die Menschen leben in Furcht, ihr Leben ist schwer, sie verlieren die Hoffnung“, schreibt sie über ihr Heimatland und lässt damit auf die Situation der gesamten Menschheit schließen. „Der moderne Mensch kennt die Natur nicht mehr, kennt auch nicht sich selbst.“

Obwohl der Mensch sich kaum etwas mehr wünscht als Beständigkeit, ist nichts ewig – auch die Kunst nicht, merkte Arahmaiani an, die vor allem in ihren Performances versucht, diese flüchtige Eigenheit der Realität darzustellen. Die Politiker und die Schönheitsexperten, die den Frauen diktieren, dass sie abnehmen sollen, sprechen die Sprache der Propheten, sagte Kaygusuz. KünstlerInnen würden durch ihre Arbeiten dagegen eine Sprache sprechen, die offen sei und die LeserInnen dazu einlade, in einem kreativen Prozess frei zu interpretieren und eigene Lösungsansätze zu finden.

Auch wenn sich die Autorinnen in ihren grundlegenden Ansätzen einig sind, fanden sie jeweils einen anderen Weg, diese in dem Sammelband „Über Lebenskunst“ umzusetzen: Kaygusuz reichte die Kurzgeschichte „Das Gelöbnis“ ein, die anhand eines Gesprächs zwischen der Schneiderin Helin und dem Studenten Bora das fragwürdige Verhältnis zwischen Mensch und Natur thematisiert. Arahmaianis Text beruhte dagegen auf einem Brief, den sie an einen tibetischen Mönch geschrieben hat.

Diese beiden intelligenten Texte, die jeweils ihren eigenen Charakter haben und doch das Problem genau treffen, regen zum Nachdenken über unseren Umgang mit der Natur an. „Der moderne Mensch, der so davon überzeugt ist, dass seine rationale Denkweise unfehlbar ist, ist offensichtlich in eine Falle geraten: Die Falle seiner Fehleinschätzung, dass die Welt allein durch den Verstand gesteuert werden kann“, schreibt Arahmaiani in ihrem Beitrag. Auch Kaygusuz greift in ihrer Geschichte den Gedanken auf, dass der Mensch mehr ist als Ratio: „Wir trennen Körper und Seele, wie man vom Baum eine Frucht pflückt. So wird der Körper zu etwas Rohem, was nicht denken kann.“

Beide Autorinnen setzen sich für ein kreatives Denken ein, das frei von stupiden Kategorisierungen ist. Die Menschen sollen gemeinsam kreativ werden und kritische Fragen in den Raum stellen, um vielleicht so doch noch eine Art Ausweg aus der von zerstörerischer Gier und Egoismus beherrschten Realität zu finden.

Katharina Narbutovic und Susanne Stemmler (Hrsg.) „Über Lebenskunst. Utopien nach der Krise“ / Suhrkamp, 389 S., 11,95 Euro, bereits erschienen.

Text: Ana Maria Michel