Gleichberechtigung erreicht? Feministische Rechtswissenschaft heute
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Vielen Dank für die Einladung, bei Missy gastzubloggen und viel Spaß beim Lesen und Diskutieren. Wenn ihr mehr von mir lesen wollt, schaut doch bei rechtundgeschlecht vorbei! Feminismus und Recht ist ein weites Feld und die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat eine lange Tradition. Ich will Euch in meinen Gastblog-Einträgen einige dieser Aspekte vorstellen. Außerdem habe ich mir vorgenommen, hier zumindest ab und an Expertinnen zu Wort kommen zu lassen, die sich besser auskennen als ich (zum Beispiel im Strafrecht). Also lasst Euch überraschen!
Ein Argument, was ich häufiger höre und lese, ist: Was wollt ihr denn, die Gleichberechtigung ist doch bereits erreicht. Oder: Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um gleiche Rechte und die gibt es ja inzwischen für alle Menschen. Sicher kennt Ihr das auch in der einen oder anderen Form.
Es stimmt natürlich, dass der Kampf der Frauenbewegung zunächst einmal (auch) um gleiche Rechte ging. Als Frauen weder Zugang zu Bildung noch zum Wahlrecht hatten, das Familienrecht die Unterordnung unter den Ehemann vorsah und Gewerkschaften nur für Männer waren, war die rechtliche Verankerung von Gleichheitsforderungen natürlich ein wesentliches Ziel. Ein sehr schöner Blogeintrag von Melusine Barby hat vor kurzem an den Kampf einer der Mütter des Grundgesetzes für die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz erinnert. Diese Formulierung wollten nämlich zunächst viele nicht haben. Denn sie befürchteten, dass dann das gesamte Familienrecht verfassungswidrig wäre (war es dann auch!).
Heute knüpfen kaum noch rechtliche Regelungen explizit an die Kategorie Geschlecht an. Fallen Euch welche ein? Ein Beispiel war natürlich die Wehrpflicht. Dann gibt es noch die Definitionen von Mutterschaft (§ 1591 BGB)und Vaterschaft (§ 1592 BGB) im Bürgerlichen Gesetzbuch. Ein schönes Beispiel ist auch die Ehe, welche (fast immer) noch „verschiedengeschlechtlichen“ Paaren vorbehalten ist. Viele Regelungen wurden im Laufe der Zeit geschlechtsneutral formuliert, zum Beispiel „Witwenrenten“ können auch Witwer erhalten ect.
Obwohl es nun nur noch so wenige Regeln gibt, für die die Zuordnung „männlich“ oder „weiblich“ überhaupt benötigt wird, muss eine Geschlechtseintragung nach der Geburt gemäß dem Personenstandsgesetz (§ 21 PStG) erfolgen. Die Eintragung „Zwitter“ oder „Intersexuell“ in der Geburtsurkunde geht nach der Rechtsprechung bisher nicht, weil die davon ausgeht, „Geschlecht“ bedeutet entweder weiblich oder männlich. So wirkt das Recht zum Beispiel mit an der Aufrechterhaltung bestimmter Normalitätsvorstellungen (zum Beispiel, dass es eben zwei immer eindeutig zuzuordnende Geschlechter gibt).
Dieses „geschlechtsneutral“ formulierte Recht trifft nun auf unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und wirkt sich ungleich aus. Wenn ein Tarifvertrag zum Beispiel vorsehen würde, dass Teilzeitbeschäftigte keinen Anspruch auf Urlaubsgeld haben, würde dies überwiegend Frauen betreffen. Das nennen wir dann „mittelbare Diskriminierung“, die man in einigen Rechtsgebieten noch finden kann. Außerdem gibt es rechtliche Regelungen, die zwar geschlechtsneutral formuliert sind, aber bestimmte Rollenannahmen bereits in sich tragen, ohne das auch so zu benennen. Das sind nur zwei Beispiele für Themen der feministischen Rechtswissenschaft heute. Um solche Sachen wird es also unter anderem in diesem Gastblog gehen.
Ist also der Kampf mit der Verankerung formaler Gleichberechtigung vorbei? Ich meine nicht. Das Recht ist immer noch ein Instrument, welches Ungleichheiten verfestigen und Individuen (und Gruppen) benachteiligen kann. Es kann aber auch helfen, Benachteiligungen abzubauen und die Gesellschaft zu verändern. Dazu ist der Staat auch durch die Verfassung verpflichtet, zumindest was die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern angeht. Wie das aber geschehen soll, ist natürlich sehr umstritten (Beispiel Frauenquote, Antidiskriminierungsgesetz).
Wenn ich also sage, ich mache feministische Rechtswissenschaft, meine ich: Einen Blick auf das Recht, der nicht davon ausgeht, dass Recht immer neutral, objektiv und gerecht ist. Sondern einen Blick, der davon ausgeht, dass Recht interessengeprägt, Ergebnis politischer Prozesse und historisch gewachsen ist. Feministische Rechtswissenschaft schaut auf (Geschlechter)Hierarchien, Ausschlussprozesse und Rollenbilder und entwickelt sowohl Kritik der Rechtsanwendung, als auch rechtspolitische Forderungen.
Ich hoffe, Ihr macht alle mit, denn das Recht ist wirklich zu wichtig, um es nur den JuristInnen zu überlassen!