Wenn es eine Songwriterin gibt, die ich bei melancholischen Anwandlungen – also eigentlich immer – lieber höre als Christiane Rösinger, dann fällt sie mir gerade nicht ein. Niemand, wirklich niemand, kann die alltägliche Tristesse und Depression, die tiefe Sinnlosigkeit, die Arbeit, Liebe und Leben manchmal mit sich bringen, in so bissige, witzige und poetische Liedtexte übertragen wie sie. Das ist natürlich maßlos übertrieben, aber erstens ist mir das jetzt gerade egal und zweitens ist die Superlative im Zusammenhang mit dieser Musikerin ausnahmsweise völlig gerechtfertigt. Wenn es Not tut, ob des eigenen Scheißtags, der Scheißwoche oder des Scheißjahr einfach mal ordentlich zu lachen, und das Johanniskraut wieder alle ist, sind Songs wie „Depressiver Tag“ oder „Irgendwas ist immer“ immer noch das beste Mittel.

Heute Abend spielt Christiane Rösinger auf dem Reeperbahn Festival, eine dringende Programmempfehlung. Zur Einstimmung veröffentlichen wir hier noch mal einen Auszug aus dem Interview, das Sonja Eismann in Missy 04/10 anlässlich ihres ersten Soloalbums „Songs of L. and Hate“ mit ihr führte.

Wann & Wo: Freitag 23.09, 21:30 Uhr,  Fliegende Bauten, Reeperbahn Festival

Wieso mussten wir so lange auf deine erste Soloplatte warten?

Eigentlich bin ich eher der Bandtyp. Es ist ja nicht nur das Zusammen-auf-der-Bühne-Stehen, sondern auch das Zusammen-unterwegs-sein, Proben, was Trinken gehen … Die Band ist so etwas wie eine beste Freundin, das war mir immer sehr wichtig. Gleichzeitig wollte ich immer schon eine Soloplatte machen, vielleicht weil mir bereits in jungen Jahren schwante, dass man das Band-Ding nicht ewig wird machen können. Als wir mit den Lassie Singers unterwegs und gerade mal 27, 28 waren, nannte ein Heft uns schon „die nicht mehr ganz taufrischen Damen aus Berlin“.

Wie bitte? Wo war das?

In irgendeinem Veranstaltungsblatt, ich glaube in Hannover. Da mir immer klar war, dass Frauen auf der Bühne entweder möglichst jung oder sexualisiert sein müssen, dachte ich mir spaßeshalber: Wenn ich älter bin, mache ich auf Chanson. Das ist ja das Genre, das für ältere Frauen als statthaft gilt. Dazu kam noch, dass sich in den letzten Jahren für mich der Indierock, den wir bei Britta gemacht haben, ein bisschen überholt hat. Mir haben die ganz ruhigen Lieder immer schon am besten gefallen. Das Album ist dann doch wieder eine Kooperation geworden: mit Andreas Spechtl von Ja, Panik. Ja, wir haben das zusammen gemacht. Ich habe die Stücke geschrieben, er hat sie arrangiert, verfeinert und Klavier dazu gespielt.

Die Produktion klingt sehr glatt, wohingegen Britta immer diesen leicht schrammeligen Touch hatte.

Das liegt vielleicht an der Instrumentierung. Bei Britta war das Schrammelige ja durchaus beabsichtigt. Wir sind dafür sogar in ein total teures Studio nach Frankreich gegangen, obwohl wir überhaupt kein Geld hatten. Jetzt steht die Stimme plus Klavier im Vordergrund, Schlagzeug gibt es nur bei manchen Stücken. Da fallen schon viele Probleme weg (lacht). Andreas und ich waren uns von Anfang an einig, dass es sehr edel klingen soll. Das Klavier ist leicht verstimmt und Andreas würde auch behaupten, dass er nicht spielen kann, was natürlich nicht stimmt. Er spielt eben eher so ein John-Cale-artiges Loshämmer-Klavier.

Mit dem Album zitierst du Leonard Cohen und Bob Dylan: den einen mit dem Titel, den anderen mit dem nachgestellten Cover. Waren das wichtige Einflüsse für dich oder ging es darum, den männlichen Kanon aufzumischen?

Beides. Die Idee zum Cover kam von Andreas. Ich fand die Rollenumkehrung sehr gut. Bei Dylans „Bringing It All Back Home“ hockt ja die Frau des Managers als Muse im roten Kleid hintendran, bei uns Andreas im roten Ensemble. Ich habe bestimmt zehn Dylan-Vinylplatten, aber ich war nie ein arger Fan. Klar fand ich die Stücke toll; jeder, der Songs schreibt, wird sich irgendwie auf Dylan beziehen. Aber als Typ war er mir immer zu miesepetrig. Schon als Teenager hat mich gestört, wie er über Frauen herzieht. Cohen dagegen habe ich stets verteidigt gegenüber den Deppen, die gesagt haben: Bäh, das ist doch Deprimusik. Ich wollte immer eine Platte haben, die heißt, „Christiane Rösinger: Songs“, so wie es von Cohen die „Songs of Love and Hate“ gibt.

Hast du auch weibliche Vorbilder?

Auf jeden Fall Nina Hagen. Das liegt natürlich an der Zeit, in der ich groß geworden bin. Als 1978 Nina Hagens Platte rauskam mit dem Stück „Unbeschreiblich weiblich“, wo sie singt „Ich war schwanger, mir ging’s zum Kotzen“ – das war schon aufregend, als das bei mir im Dorf ankam. Sie hat mich beeinflusst in dem Sinne, dass man sich erst etwas traut, wenn man sieht, was möglich ist. In meiner ersten Band in Rastatt habe ich versucht, sie ein bisschen zu imitieren, ihre Art zu singen – was aber sehr schwer mit dem Südstaatenrock der Band zusammenpasste, den ich mir selbst immer als Punk schöngeredet habe (lacht). Weil
es in meiner Jugend ja noch kein Musikfernsehen gab, hat man sich getroffen, um die ganze Nacht Rockpalast zu schauen. Da kam dann einmal Patti Smith, was auch sehr prägend war.

Dein ganzes Werk durchzieht ja die Bemühung um die Dekonstruktion des bürgerlichen Ideals der Liebe …
Ja, die RZB – das ist meine hämische Abkürzung der romantischen Zweierbeziehung …

Trotzdem ist dein Album sehr emotional und persönlich. In „Verloren” singst du zum Beispiel ein renitentes Gegenüber mit wachsender, sehnsüchtiger Verzweiflung an. Holt dich das Thema Liebe doch immer wieder ein?
Das ist das letzte Mal jetzt! Das ist eine Teufelsaustreibung (lacht). Mein nächstes Buch, an dem ich gerade schreibe, handelt davon, alle Liebestheorien seit Platon ad absurdum zu führen. Aber nur, weil man eine Konstruktion durchschaut, heißt das
noch lange nicht, dass man darüber hinweg ist, dass man nicht drunter leidet. Man weiß, dass die RZB nicht funktioniert.

(…)

Ist es schwierig, mit den sehr persönlichen Stücken raus auf die Bühne zu gehen?

Nein, es ist ja auch sehr viel Witz und Humor drin, zum Beispiel bei „Hauptsache raus“ und „Es ist so arg“, wo ich mich selbstironisch über das eigene Gejammer lustig mache. Klar gibt es daneben auch viele Lieder, die mir sehr nah gehen. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass das Erlebnis, das zu so einem traurigen Lied inspiriert hat, sehr bald zurücktritt. Das Lied dagegen bleibt. Eines meiner berühmtesten Lieder, „Ich glaube, ich hab’ ein Faible für Idioten“, habe ich 1994 oder 1995 in größter Verzweiflung geschrieben. Und heute weiß ich nicht mal mehr, wegen wem! Es gibt ja dieses Klischee, dass Frauen, wenn sie Kummer haben, sich Handtaschen oder schöne Cremes kaufen oder Schokolade essen. Als Songwriterin hat man stattdessen die Lieder! Das ist total praktisch: Aus jedem traurigen Erlebnis kann man ein schönes Lied machen, und das hält dann länger vor als so eine blöde Handtasche oder Creme.

Deine Songs sind sprachverliebt und bissig, dann aber auch wieder abgrundtief traurig und poetisch. Woher kommt dieser ganz eigene Rösinger-Sound?

Ich glaube, ich traue mich jetzt mehr als früher.In dem einen Lied kommt die Zeile vor „als ob das Herz recht angenehm verblute“, das ist ein Heine-Zitat aus dem Wintermärchen. Früher hätte ich mich nicht getraut, das einfach so zu verwenden. Bei Blumfeld beispielsweise fand ich immer so schön „eine Sprache aus Trauer“, und hinterher merkte ich: Das ist gar nicht von Jochen Distelmeyer, das ist Ingeborg Bachmann! So etwas gibt einem dann selbst mehr Freiheit, zu zitieren und zu montieren.

Wie gehst du damit um, für jüngere Frauen ein Vorbild zu sein?

Oh je. Da wird mir immer ganz anders! Ich denke dann: Ich habe doch mein Leben gar nicht im Griff! Natürlich gibt es Sachen, auf die ich zurückblicken und die ich gut finden kann. Ich habe ein Kind alleine großgezogen und immer Musik gemacht, ohne Eltern, die mich finanziell unterstützt haben. Aber andererseits fragt man sich immer noch: Mache ich das jetzt richtig, wie ich lebe?

Du hast auch mal gesagt, du magst es eigentlich nicht, als Vorbild für
ein würdiges weibliches Altern im Pop verhaftet zu werden.

Mittlerweile bin ich ein bisschen versöhnt mit dem Gedanken. Ich habe in meiner Laufbahn gemerkt, dass man immer alles selbst machen muss als Feministin. Wenn man jung ist, muss man sagen: „He, es gibt auch Bands mit vier Frauen, und man kann auch ein Kind alleine großziehen, man muss nicht in einer unglücklichen Beziehung bleiben.“ Jetzt ist vielleicht die Zeit zu zeigen, dass man auch über 40 noch ein junges Leben führen kann.

Das vollständige Gespräch mit Christiane Rösinger wurde in Missy 04/10 veröffentlicht. Hier nachbestellen.